Kaum ein Tag, an dem nicht eine neue Studie zur veränderten Arbeitswelt und den Jobs von morgen erscheint. Doch selbst vor dem Hintergrund der Digitalisierung schaut es erstens anders – und zweitens besser aus, als man denkt.
Immer diese Hiobsbotschaften. 45 Prozent der Beschäftigten werden in den kommenden zwei Jahren in Deutschland durch die Automatisierung gefährdet sein, berechnete die Unternehmensberatung A. T. Kearney in einer Studie über die Arbeitswelt von morgen. Gleich 47 Prozent der uns bekannten Berufe seien dem Untergang geweiht, prognostizierten die zwei Oxford-Wissenschafter Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne in ihrer vor drei Jahren publizierten Untersuchung “Die Zukunft der Beschäftigung. Wie empfindlich reagieren Jobs auf die Digitalisierung?“. Und der radikalste unter den Arbeitsapokalyptikern, Thomas Frey, Gründer des Thinktanks DaVinci Institute, verkündet überhaupt in seinen Vorträgen, dass bis zum Jahr 2030 zwei Milliarden Jobs verschwunden sein werden. Die Wahrheit ist: So schlimm wird es vermutlich nicht kommen.
Denn was bei Betrachtungen über Arbeit und Automatisierung häufig zu wenig beachtet wird, ist, dass der Mensch, ohne viel Aufhebens, mit den Veränderungen mitzieht. Es mögen sich die Berufsbilder verändern – viele Felder bleiben gleich. “Den Beruf des Automechanikers gab es schon vor 100 Jahren, und es wird ihn auch in den nächsten 100 Jahren geben“, sagt Franz Kühmayer vom Zukunftsinstitut – “aber die Qualifikationen ändern sich von einem mechanischen Job zu einem Spezialisten, der sich mit der Software in einem Auto auskennt“. Ähnlich beschreibt Beate Sprenger, Sprecherin des Arbeitsmarktservice Österreich (AMS), die Entwicklung: “Die automatische Telefonvermittlung hat in der Vergangenheit das ‚Fräulein vom Amt‘ ersetzt, heute arbeiten aber mehr Personen in der Telekommunikationsbranche denn je.“ Interessant sind auch die Beobachtungen von Christoph Weissenböck, Sprecher von Österreichs größter Jobbörse, karriere.at: “Konkrete Änderungen auf unserem Jobportal, wie zum Beispiel Jobs, die einfach nicht mehr gefragt sind, kann ich nicht nennen. Was wir aber schon merken, ist, dass sich die Namen der Jobs in Bezug auf die Anforderungen, die viel breiter geworden sind, ändern.“
In dieses Bild fügt sich das Ranking der “Top 10 der ungefährdeten Berufe“, die A.T. Kearny in seinem Bericht “Wie wir morgen leben“ erstellte. Es liest sich wie ein Treffen mit alten Bekannten: Berufe in der Kinderbetreuung, -erziehung, Gesundheits-und Krankenpflege scheinen da ebenso auf wie Berufe in der Maschinenbau-, Betriebs- und Kfz-Technik, Hochschullehre oder interessanterweise auch im Vertrieb, dem ja immer wieder ein starkes Automatisierungspotenzial nachgesagt wird. Nichts Überraschendes also. Die US-Jobdatenbank Career Cast zeigt bei der Auflistung ihrer “10 Great Jobs for Generation Z“ – unter diesen soziologischen Sammelbegriff fallen die Geburtenjahrgänge von 1995 bis 2010 – bereits eine auffallende Affinität fürs Digitale. Unter anderem werden Computer- und IT-System-Manager genannt, IT-Sicherheitsexperte, Umwelttechniker, Softwareentwickler oder Statistiker. Fast ist man geneigt, zu sagen: So wie in den 1980er-und 1990er-Jahren “alles mit Medien“ ein Erfolgsgarant war, ist es jetzt alles, wo ein “IT“ oder “Data“ davorsteht.
Um jedoch einen vernünftigen Blick auf die Zukunftschancen von morgen zu bekommen, muss man die richtigen Fragen stellen. Und zwar jetzt. Zukunftsforscher Kühmayer filtert diesbezüglich drei Punkte heraus, die da lauten müssten: “Erstens: Wie verändern sich bestehende Berufe? Zweitens: Welche neuen Berufe entstehen? Drittens: Bleiben diese neuen Berufe bestehen?“
Betrachtet man das bereits erwähnte Beispiel der Medienbranche, sieht man, dass vieles, was einst mit großen Versprechen verbunden war, heute ordentlich Risse abbekommen hat. Kühmayer ist überzeugt, dass gerade im Segment der derzeit neu entstehenden Berufe vieles “nicht lange haltbar bleiben“ wird. So seien bis vor Kurzem Social-Media-Spezialisten stark gesucht gewesen – “heute sind sie nicht mehr nötig, weil die Programme und Anwendungsbereiche besser und leichter benutzbar sind“. Also sollte man sich nicht auf ein spezielles Berufsbild festlegen, sondern eher auf die Frage, welches Problem man lösen will.
Diesen Ansatz, in breiteren Korridoren zu denken, wählte auch das AMS bei seinem Projekt “Standing Committee For New Skills“: Gemeinsam mit Personalisten und Personalentwicklern großer Betriebe werden laufend die nachgefragtesten Qualifikationen in den neun wichtigsten heimischen Branchen erhoben. So ist in der Sparte “Energie und Umwelttechnik“ mit “spartenübergreifenden Ausbildungen“ und “Mut zur Weiterentwicklung“ zu punkten; in der Sparte “Büro“ wird “selbstständiges, lösungsorientiertes und konzeptionelles Arbeiten“ verlangt. Im Tourismus gewinnen “Online-Vertrieb und Online-Marketing: Internetbuchungsportale; Webauftritt gestalten, Datensicherheit, Content Management“ an Bedeutung. Und im Cluster “Handel“ kommen die Beschäftigten am besten mit “Multi-Channel-Retailing“ sowie “Informationsrecherche und Produktvergleich“ weiter – wobei warnschildartig festgehalten wird, dass die Kundinnen und Kunden heute “immer besser vorinformiert“ seien. Ziel dieser Aufgabe ist, “die Ergebnisse in die Weiterbildungsangebote des AMS einfließen zu lassen“, so Sprecherin Sprenger.
Was bei den angeführten Skills auffällt: Sie ermöglichen nur bis zu einem gewissen Grad Routine. In einem wesentlich höheren Grad verlangen sie aber nach der Bereitschaft des Einzelnen, in Bewegung zu bleiben. “Permanentes Lernen wird wichtig“, sagt Zukunftsforscher Kühmayer. Auch die vom Wifi Management Forum erstellte Studie “Arbeit 2040“, die vor wenigen Tagen präsentiert wurde, weist einleitend darauf hin, dass “lebenslanges Lernen und ständige Weiterentwicklung im Job notwendig und wichtig sein werden“. Dieser in den vergangenen Jahren arg strapazierte Slogan kann sogar belegt werden – 80,6 Prozent der 479 befragten Studienteilnehmer gaben ihn als Kernbotschaft aus.
Damit verlagern sich automatisch die Kompetenzanforderungen. Angeführt wird die Liste von “digitalen Kompetenzen“ (76 Prozent), gefolgt von “persönlichen Kompetenzen“ (58 Prozent). An dritter Stelle kommen die “sprachlichen“ beziehungsweise “interkulturellen Kompetenzen“ mit 53 Prozent. “Fachkompetenz“ erreicht nur mehr eine Notwendigkeit von 34 Prozent, so die Ergebnisse der Wifi-Studie.
Die große Herausforderung der kommenden Jahre liegt somit darin, die existierenden Ausbildungssysteme dieser Qualifikationslandschaft anzupassen. Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier ortet bereits Schulreformen in diese Richtung: “Es gibt einen Ausbau der Fachhochschulen, die mehr den Fokus auf die Praxis legen. Die Tendenz geht ganz allgemein in Richtung vernünftiges, brauchbares Wissen und weg vom theoretischen Studium.“
Gleichzeitig ist Heinzlmaier einer der wenigen, der die im Zusammenhang mit der neuen Arbeitswelt geforderte Flexibilität äußerst kritisch beäugt: “Mit ihr zerfällt die Gesellschaft. Die unteren Schichten mit geringer Bildung können nicht flexibel sein, sie wollen eine Hierarchie und Stabilität“, gibt er zu bedenken.
Eine der dringlichsten Aufgaben wird daher darin liegen, einen gewissen Bildungsgrundstock breitentauglich zu machen, der jedoch über dem heutigen Niveau eines Pflichtschulabschlusses liegt. Auf diesem Fundament kann der Arbeitgeber mit betriebsinternen Schulungen und Weiterbildungsprogrammen weiter bauen, wie dies heute in zahlreichen österreichischen Leitbetrieben ohnedies der Fall ist – profil berichtete bereits mehrfach über derartige Initiativen, etwa in der Steiermark oder Niederösterreich.
Das bedeutet aber: Von einer Neupositionierung der Anforderungen sind auch Führungskräfte nicht ausgenommen. Verantwortung erschöpft sich nicht mehr in Unternehmensentwicklung, Sachfragen, Repräsentationsaufgaben oder Befehle-Ausgeben. Chefs sind wieder verstärkt angehalten, ihre Belegschaften mitzunehmen, indem sie “die Bedürfnisse und Qualifikationen der Mitarbeiter produktiv zur Steigerung der Arbeitsleistung zu nutzen wissen“, so der deutsche Wirtschaftswissenschafter Dirk Holtbrügge.
Zukunftsforscher Kühmayer zeigt sich indes wenig besorgt, wenn er einen Ausblick auf die Jobs von morgen wagt. “Die Arbeit geht uns nicht aus. Nur die Lohnarbeit tut es“, ist er überzeugt. Das Rad dreht sich weiter – nach dem ewigen Grundprinzip: Das Bestehen einzelner Berufsgruppen werde davon abhängen, wie diese mit den sich auftuenden Möglichkeiten umgehen: “Zusammenfassend kann man sagen: In einer Zeit der großen Umbrüche können wir auch mehr Arbeit für die Menschen schaffen. Von den einen wird das als Chance, von anderen als Bedrohung wahrgenommen.“
Quelle: profil, 26. September 2016