Was ist für einen geschmeidigen Berufseinstieg nach dem Studium wichtiger: die pure Leistung oder vielleicht doch eher ein enges Netzwerk? Gibt es eine Karriere ohne Kontakte? Versuch einer Annäherung an ein sehr österreichisches Phänomen.
In Österreich, so eine verbreitete und nicht ganz unbegründete Meinung, braucht es zwei Voraussetzungen, um etwas zu werden: Erstens muss man einen Titel haben, zweitens jemanden kennen. Der erste Teil ist vergleichsweise einfach zu absolvieren, der zweite ist kniffliger.
Das müssen die Damen und Herren bei typischen Vortrags- und Empfangsabenden üblicherweise am eigenen Leib erfahren. "Networking“ ist da heutzutage zumeist dezidiert angesagt, doch das ist leichter gesagt als getan. So stehen die Teilnehmer einer solchen Veranstaltung betont unverkrampft um die kleinen Tischchen herum, ein bemühtes Lächeln im Gesicht, die Hand umklammert das Glas Prosecco. Soeben haben sie einen langweiligen Vortrag gehört, nun wollen sie endlich wichtige Leute kennen lernen, sich selbst ins Rampenlicht rücken, schließlich Visitkarten austauschen - und damit etwas für ihre Karriere tun.
Doch schon der Small Talk ist eine harte Prüfung: Heikle Themen müssen ausgeklammert werden, etwa religiöse Ausrichtung und politische Vorlieben. Übers Wetter kann man nicht sprechen, ohne geistlos zu wirken. Bleiben Gespräche über Eurokrise, den Kurs des Schweizer Frankens und über die Facebook-Aktie. Am Ende werden die jungen Anwesenden froh sein, nicht negativ aufgefallen zu sein.
"… mit anschließendem Networking“ heißt es heute in den Einladungen vieler Veranstaltungen, und das aus gutem Grund: Für die Karriere ist es unverzichtbar, die richtigen Leute zu kennen. Wie meinte schon Josef Hickersberger als Trainer der Fußballnationalmannschaft: Er werde nicht die besten Leute auswählen, sondern die richtigen. Genau nach diesem System funktioniert recht viel in Österreich, nicht nur im Fußball, sondern auch in der Politik und im Wirtschaftsleben. Man kann das gut oder schlecht finden, jedenfalls ist es ein Faktum, das gerade Berufseinsteiger zumindest im Hinterkopf behalten sollten. Und kluges Kontakteknüpfen - wie immer man dieses in der Praxis anstellen mag - hat ja noch längst nichts mit Mauschelei zu tun.
"Funktionierende Seilschaften erleichtern uns das Leben“, erkannte selbst Magda Bleckmann. Die ehemalige Politikerin, unter anderem als Nationalratsabgeordnete des BZÖ von eher nicht überbordend nachhaltiger Bedeutung, hat sich zur Netzwerkexpertin erklärt und ist damit eine von mehreren tausend in Österreich. Bleckmann hat sogar ein Buch zum Thema verfasst: In "Die geheimen Regeln der Seilschaften“ ließ sie unter anderem Elmar Oberhauser und Eva Dichand zu Wort kommen. Braucht es mehr, um Networking made in Austria zu verstehen?
Nun ist Vernetzung an sich nichts Verwerfliches. Es riecht in Österreich aber stets ein wenig nach Freunderlwirtschaft und undurchsichtigen Verbindungen. All die Skandale der jüngeren Vergangenheit gediehen stets in einem Klima aus Freundschaft, Abhängigkeit und Gefälligkeiten. Das Ganze ist nicht zuletzt historisch bedingt: Im ausufernden Beamtenapparat der Monarchie hatte nur derjenige eine Chance, der die richtigen Beamten kannte.
Auch in anderen Staaten geht es nicht ohne Kontakte, doch dort kommen zuerst die Regeln, dann die Freunde - in Österreich ist es vielfach umgekehrt: Da kommen zuerst die Kontakte, dann werden die Regeln mitunter adaptiert. Oder auch kreativ ausgelegt: Vor Kurzem gab es Aufregung um eine Dekanin einer Wiener Universität, die Aufträge eines Förderungsfonds an Familienmitglieder und Bekannte vergeben hatte. Sie habe keine einzige Vorschrift verletzt, meinte die Dame - was offenbar tatsächlich der Fall war.
Was also lernen Absolventinnen und Absolventen daraus? Ohne Freunde und Verbindungen keine Karriere? "Karriere schaffen alle, die wirklich gut sind“, sagt Barbara Sporn, Vizerektorin der Wirtschaftsuniversität Wien. Doch auch sie gibt zu, dass Netzwerke wichtig sind fürs Vorankommen. Die werden beispielsweise über die Alumni-Clubs der Universitäten geflochten (siehe auch Kasten auf Seite 8). "Diese Idee hat bei uns aber nicht so eine Tradition“, bedauert Helene Czanba, Geschäftsführerin des Career Center der Technischen Universität Wien und Leiterin der Servicestelle Alumni. "Gute Kontakte sind ein Geben und Nehmen“, sagt sie.
Bei den Treffen der Ehemaligen werden nicht nur bestehende Kontakte gepflegt, sondern auch neue geknüpft - etwa zu Headhuntern, die sich bei solchen Gelegenheiten nach potenziellen Kandidaten für attraktive Positionen umsehen. Das ist wichtig, weil gut die Hälfte aller Managementjobs über den so genannten verdeckten Arbeitsmarkt vergeben, also niemals in Inseraten ausgeschrieben wird. Wer da nicht auf den Listen der Personalberater auftaucht, bleibt karrieretechnisch zwangsläufig unter dem Wahrnehmungsradar. Und die entsprechenden Entscheidungsträger lernt man eben nicht im Supermarkt kennen, sondern beispielsweise auf solchen Events.
Eine Befragung des Portals karriere.at im Vorjahr ergab, dass mehr als ein Drittel der österreichischen Arbeitnehmer glauben, dass schon bei der Jobsuche ohne Beziehungen gar nichts geht. Nur ein Fünftel glaubt, dass eine gute Qualifikation ausreicht, um an die begehrte Stelle zu kommen. Und bereits vor einigen Jahren hatte eine Studie über das Management österreichischer Unternehmen, die von einem Beratungsunternehmen und der WU durchgeführt worden war, ernüchtert festgestellt, dass die objektive Bewertung von Managementleistung in Österreich fehle - dies sei ein Zeichen für die weitverbreitete Freunderlwirtschaft.
Aber welche Persönlichkeit muss man selbst haben, um in der österreichischen "Habererkultur“ zu bestehen, wie es der Sozialwissenschafter und Freizeitforscher Peter Zellmann einmal ausdrückte? Die Ratschläge der zahllosen Karriereexperten und Ratgeber sind so gut gemeint wie banal respektive nutzlos: auf andere Leute zugehen können, eine positive Grundstimmung haben, Verständnis zeigen, sympathisch erscheinen, Kommunikationsfähigkeit, Offenheit.
Vereinfacht ausgedrückt: Wer keine ausgeprägte Sozialphobie hat, hat das Zeug zum Netzwerken. Und sogar diejenigen, die menschlichen Kontakt vermeiden, wo es nur geht, haben heute eine Chance auf professionelle Vernetzung: Internet-Plattformen wie Xing, LinkedIn oder auch Facebook verschaffen uns einen Bekanntenkreis, um den uns Monarchie-Hofräte beneidet hätten. Da braucht es keine Abendveranstaltungen, um neue Seilschaften für die Karriere zu knüpfen, es reicht die Absendung einer Freundschaftsanfrage - zumindest ein erster Schritt ist damit getan. Auf einen Klick hat sich damit das Netzwerk vergrößert, und über die Freunde der Freunde der Freunde landen wir in Zirkeln, von denen wir nicht mal wussten, dass sie existieren.
Wer doch den realen mitmenschlichen Kontakt braucht, hat ebenfalls reichlich Möglichkeiten: neben den Alumni-Clubs etwa auch Studentenverbindungen. Hier hat man die Wahl zwischen katholisch-konservativen Vereinen wie dem Cartellverband (CV) oder den umstrittenen Burschenschaften aus dem nationalen Lager. Während bei Letzteren bekanntlich eher martialisch-politische Gedanken zwischen Mensur und Vaterlandstreue im Vordergrund stehen, geht es beim CV doch auch um die Karriere, selbst wenn die Kontaktpflege etwas verschämt hinter christlichen Werten und konservativer Haltung versteckt wird. Ganz offiziell wird zwar kaum jemand zugeben, einen Job wegen einer Mitgliedschaft in einer Verbindung erhalten zu haben, doch die Realität zeigt ein anderes Bild: Karrieretechnisch hat es noch niemand bereut, gut verbunden zu sein. Und durch die Netzwerke wird man mit einiger Sicherheit auch aufgefangen, wenn die Karriere mal stagniert.
Über ganz Österreich liegt ein feines, kaum sichtbares Netz aus Verbindungen, komplizierter und verästelter als alle Kupfer- und Glasfaserleitungen des Landes. Doch dieses Netz ist in Bewegung, ständig werden neue Abzweigungen geschaffen, alte werden stillgelegt - nicht zuletzt abhängig von der politischen Situation im Land. Das könnte andererseits bedeuten, dass Netzwerke jenen helfen können, die familiär nicht mit guten Verbindungen gesegnet sind. Genau das geschieht aber kaum: Alle Untersuchungen der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass bei Ausbildung und Karriere erst recht jene die besseren Chancen haben, deren Papi und Mami etwas sind. "Bildung ist in Österreich nach wie vor vererbt“, konstatierte erst vor Kurzem ein OECD-Bericht. Nicht nur Bildung - auch das Netzwerk wird folglich vererbt.