Dynamisch wie ein Gründer: Unternehmen suchen heute dringender denn je Absolventen mit Start-up-Mentalität, die im Job permanent Vollgas geben. Die Trefferquote bleibt gering – was aber nicht nur an den Jungakademikern liegt.
“Start-up-Mentalität bedeutet vollen Einsatz für jede Aufgabe, ständige Weiterentwicklung und das Verfolgen von Zielen, ohne ein Mal vom Gas zu steigen. Egal, was einem dabei in den Weg gelegt wird. Aber auch das Zulassen von Niederlagen gehört dazu, um zu lernen. Kein Thema hingegen ist das Ausruhen auf den Lorbeeren bei Erfolgen. Das schafft man nur, wenn man anders herangeht, mit Konventionen bricht und Vorgesetzten zeigt: Ich bin nicht nur hier, um Kaffee zu kochen und Excel-Sheets zu jonglieren.” Überflieger-Parolen wie jene von Benedikt Böcker kommen wohl in jeder Chefetage als Gute-Laune-Macher an. Der Marketing-Manager von McDonald’s Österreich zählt zu jenem Typus von Mitarbeitern, von denen Personalisten träumen. Es sind junge Absolventen, die im Betrieb nicht bloß brav ihren Job erfüllen und manchmal eine halbe Stunde länger bleiben, sondern so agieren, wie man es von Gründern erwartet: mit Energie, Kompetenz, Visionen, Durchhaltevermögen und Effizienz.
“Böcker war bereits 2009 für ein Praktikum im Marketing-Department und beeindruckte schon damals, sehr jung und im frühen Stadium seiner Ausbildung, durch Engagement, Umsetzungsstärke und Kreativität. Bei seiner Rückkehr in das Unternehmen Ende 2013 zeigte er sich dann persönlich wie fachlich sehr gereift und hat vom ersten Tag an Vollgas gegeben”, vermerkt Yvonne Schulz, Human-Resources-Managerin bei McDonald’s Österreich.
Mit seiner Haltung passt der ehemalige Student der Betriebswirtschaftslehre an der School of Management in Ingolstadt perfekt zu einem Recruiting-Trend, der gar nicht so leicht zu erfüllen ist. Denn laut einer Studie des globalen Forschungs-und Beratungsunternehmens Universum suchen derzeit Konzerne, KMUs und frisch gegründete Firmen mehr denn je gezielt nach Personal mit ausgeprägter Start-up-Mentalität.
“Topleute waren immer gefragt, aber erst in letzter Zeit bemühen sich Firmen verstärkt darum, Nachwuchs zu rekrutieren, der nicht nur über beste Fachqualifikationen verfügt, sondern auch unternehmerischen Geist aufweist. Vielen Managern, etwa in der Finanzindustrie oder der Automobilbranche, ist klar geworden, dass sie dringend Talente mit speziellen Fähigkeiten benötigen”, weiß Stefan Lake, Country Manager Deutschland bei Universum.
Es ist eben keineswegs die pure Freude an motivierten Menschen, die Entscheider nach Betriebshelden fahnden lässt. Hinter der Jagd verbirgt sich nicht zuletzt das Thema der Zukunftssicherung in harten Wettbewerbszeiten: Junge Könner bringen Zeitgeist-Fitness mit, die Unternehmen flexibel macht, wie häufig der Online-Bereich dokumentiert. Lake: “Die Existenz vieler Industrien hängt davon ab, ob sie neue Technologien wie Apps in ihren Betrieb integrieren können. Jungen Talenten ist die digitale Welt bestens vertraut. Es handelt sich also auch um einen Wissenstransfer, der frischen Wind in die Büros bringt.”
Von der Klimaverbesserung sollen beide Seiten profitieren, Youngster wie Arbeitgeber. “Wenn wir solche Leute rekrutieren, die Dinge massiv bewegen wollen und wie Unternehmer agieren, trägt das zum Erfolg unseres Betriebes bei. Umgekehrt haben Absolventen und frische Trainees die Chance, sich am Arbeitsplatz zu profilieren und effizient zu entwickeln”, sagt Cornelis Vleugel, Talent Manager von Ikea Österreich.
Solche Sichtweisen sind offenbar mehr als bloße Recruiting-Romantik. Stefan Haunlieb, seit Mai als Sales Manager-Trainee beim schwedischen Möbelhaus tätig, passt ins Raster der Aufstiegswilligen, die keine gemütliche Rolle in der zweiten Reihe anstreben. Der frühere Student an der Fachhochschule Wien und am Campus Wieselburg der Fachhochschule Wiener Neustadt setzt auf intensivierte Betriebstemperatur: “Jeder kann durch Einsatzbereitschaft und Interesse von Anfang an ein positives Beispiel für seine Kollegen sein. Bei Ikea heißt es: Ärmel hochkrempeln und anpacken -gepaart mit einem unternehmerischen Denken, das aber in Österreich oft vernachlässigt wird.”
Diese Einschätzung dürften so manche Personalisten teilen – besonders jene, deren Suche nach Lichtgestalten mit Gründermentalität bloß Frust hinterlässt. Dass jene Spezies auch international eine Rarität verkörpert, signalisiert die Untersuchung von Universum. Schon während des Studiums kristallisiert sich heraus, dass Macherqualitäten über wenig Popularität verfügen. In Deutschland planen nur 7,5 Prozent der angehenden Ökonomen und ganze 8,5 Prozent der Studierenden der Ingenieurwissenschaften nach ihrem Lern-Finale eine Firmengründung oder das Anheuern bei einem Start-up. Was nicht gerade auf ein Potenzial an zu allem entschlossenen Könnern hinweist.
Diese Misere nervt aber keineswegs nur die Chefbüros in Deutschland. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten sieht die Lage zwar etwas anders aus, entspricht aber ebenfalls kaum den Erwartungen der Bosse: In den USA liegt der Anteil der Wirtschaftsstudenten mit Startup-Mentalität gemäß Universum bei 11 Prozent; 13,5 Prozent beträgt der Wert bei den Nachwuchsingenieuren.
Die Suche nach den Ursachen, warum der Nachwuchs so wenig von Karriere-Tempo hält, endet meist bei einseitigen Schuldzuweisungen. Doch das Wehklagen diverser Manager über FH-und Uni-Absolventen, die bestenfalls beim Clubbing Energie zeigen beziehungsweise Beamten-Flair in die Hörsäle tragen, sind nicht immer berechtigt. Talenteknappheit entpuppt sich oft als hausgemachtes Defizit. Schließlich erwarten gerade Youngster mit profunden Fähigkeiten vom Arbeitgeber mehr als gute Bezahlung und einen modernen PC am Schreibtisch – aber auch hier zählen Enttäuschungen zur Tagesordnung.
“Nur wenigen jungen Menschen mit starker Einstellung wird ein Umfeld geboten, in dem sie sich wohlfühlen und entfalten können. Solange Bürokratie und Machtspiele in den Betrieben dominieren, werden Mitarbeiter mit einer Gründermentalität nicht zu gewinnen sein. Schließlich erwarten diese kurze Entscheidungswege und rasche Umsetzung von Ideen und Strategien. Flippige Stelleninserate helfen da nur wenig. Ob diese Kultur gelebt wird oder nicht, spüren jene Personen schon im Bewerbungsprozess”, betont Sandra Gaisch, Partner der Personalberatung NGS Global.
Das bringt wiederum Unternehmensstrategen in Zugzwang, die Strahlkraft von Betrieben – vor allem nach außen hin – glaubwürdig zu erhöhen. Es geht um das richtige “Aufbrezeln”, damit die smarte Braut auf dem umkämpften Markt ein “Ja” überhaupt einmal in Betracht zieht. Der Aufbau einer Marke als toller Arbeitgeber, dem kein High Potential widerstehen kann, erfordert einiges an Mühe: Teure Werbung, gestylte Stellenanzeigen, die Teilnahme an Karrieremessen oder Firmen-Events für den Nachwuchs kann sich nicht jedes Unternehmen leisten.
Wie heikel die Materie ist, signalisiert eine Untersuchung, die das Online-Portal karriere. at gemeinsam mit dem Marktforschungsunternehmen Marketagent.com zum Thema “Employer Branding” startete. Dieser Begriff bezeichnet in der Fachsprache das gezielte Positionieren einer Firma als Topadresse für Bewerber. Ermittelt wurde dabei auch, welche Faktoren potenzielle Kandidaten abschrecken können: Wirkt ein Unternehmen unseriös oder scheint dessen Name nicht im Stelleninserat auf, wird dies ebenso als No-Go-Kriterium gewertet wie ein unsympathischer Auftritt oder fehlende Identifikation mit diesem Betrieb.
Pikantes Detail am Rande: Erst an fünfter Stelle wird der Faktor Gehalt als Betablocker genannt. karriere.at-Geschäftsführer Jürgen Smid wundert das gar nicht: “Es zeigt sich einmal mehr, dass Geld bei einer Jobentscheidung zwar eine wichtige, aber nicht mehr die einzig wichtige Rolle spielt. Sogenannte weiche Faktoren, die auf das Image des Unternehmens abzielen, treten jetzt hingegen mehr in den Vordergrund.”
Das könnte für manches Unternehmen , das sich bislang wenig um sein öffentliches Erscheinungsbild oder den guten Ruf gekümmert hat, eine alarmierende Botschaft darstellen. Ein Auftritt als Jobhafen für kommende Stars mutiert dann häufig zur Mission Impossible. “Als Unternehmen muss man sich heute jung, dynamisch und attraktiv darstellen. Aber das ist für viele Firmen mitunter echt schwierig. Ein Kompromiss könnte darin liegen, dass man selbst ein Start-up oder Innovations-Lab gründet, wo jungen Talenten jenes Umfeld geboten wird, das sie brauchen. Modern, zukunftsorientiert und eben anders”, erklärt Florens Eblinger von der Personalberatung Eblinger & Partner.
Diese Option dürfte in immer mehr Chefetagen Anklang finden. Eine Reihe von Unternehmen wählt inzwischen die Offensive, um jene Feelgood-Zone zu schaffen, die High Potentials glücklich macht und motiviert. So hat T-Mobile seine Abteilung für New Business gleich als internes Start-up aufgestellt und mit entsprechenden Mitarbeitern bestückt.
Dort kümmert sich Johannes Bauerstätter seit Jänner dieses Jahres unter anderem um die Evaluierung neuer Geschäftsmodelle oder denkt über zeitgemäße digitale Entwicklungen für den Mobilnetzbetreiber nach.
Bauerstätter, selbst Absolvent des Studiums der Betriebswirtschaft an der Universität Wien, verweist aber auch darauf, dass es mit dem Image des Jung-Machers mit Start-up-Mentalität alleine lange nicht getan ist: “Die bestehenden kreativen Freiräume sind jetzt meine Spielwiese. Trotzdem muss man die Verantwortlichen erst von seiner Vorgangsweise überzeugen und die zu schaffenden Freiräume verteidigen. Den Weg in der Organisation geht man ohnehin selbst. Oder man legt diesen gleich richtig an, indem man Mauern dafür einreißt.”
Quelle: profil, 27. Juni 2016