Die meisten Unternehmen ignorieren die Pflicht zur Gehaltsangabe in Stelleninseraten. Sowohl drohende Strafen als auch Vorteile bei der Positionierung als attraktiver Arbeitgeber sollten das ändern.
Seit genau einem halben Jahr dürfte es in Österreich eigentlich keine Stellenausschreibung mehr ohne konkrete Gehaltsangabe geben - egal, ob es sich um ein großflächiges Inserat im Karriereteil einer Zeitung oder um einen Anschlag am Schwarzen Brett handelt. In der Praxis wird diese im Gleichbehandlungsgesetz verankerte Bestimmung weitgehend ignoriert: Maximal 20 Prozent der Ausschreibungen, so übereinstimmende Schätzungen mehrerer Personalberater, entsprechen der Vorschrift.
Dabei haben sich sowohl Berater als auch Betreiber von Online-Jobbörsen durchaus Mühe gegeben, ihre Klienten - also Unternehmen, die Jobs anbieten - über die Rechtslage zu informieren und gesetzeskonforme Formulierungen vorzuschlagen. "Unsere Kunden wissen Bescheid, aber wir drängen sie nicht“, sagt Eva Schlader, Geschäftsführerin des Personalberaters Pendl & Piswanger (P&P).
Tabuthema Gehalt. Mit dem Gesetz, das zum Ziel hat, Einkommensdifferenzen zwischen Männern und Frauen zu verringern, hat Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek jedenfalls eine Schneise in ein heimisches Tabuthema geschlagen. "Professionelle, international agierende Unternehmen mit klaren internen Gehaltsstrukturen wie OMV und Siemens haben kein Problem, Gehälter zu nennen“, weiß Deloitte-Partnerin Gundi Wentner. "Schwieriger ist es für typisch österreichische Mittelständler, wo man Gehälter im stillen Kämmerchen ausmacht. Die sind nicht begeistert“, beschreibt Eva Schlader die Stimmungslage der Mehrheit.
"In KMUs und im Mittelstand, wo es oft keine klaren Gehaltsstrukturen gibt, kann das zum Dilemma werden“, konkretisiert Martin Mayer, Geschäftsführer der Iventa Personalberatung, das Problem: "Wenn bestehende Mitarbeiter konkrete Gehaltsangaben lesen, hinterfragen sie natürlich ihre eigene Bezahlung.“ Das würde bei Unternehmen zur Tendenz führen, eher niedrige Beträge zu veröffentlichen, womit die ausgeschriebene Position für qualifizierte Kandidaten aber unattraktiv erscheint. Bei der Angabe breiterer Gehaltsbänder fürchten die Personalisten hingegen, dass sich alle Bewerber am oberen Ende orientieren.
Garaus für Gehaltspoker. "Wenn ein Unternehmen einen Controller mit fünf Jahren Erfahrung sucht, dem es 60.000 Euro Jahresgehalt bietet, und es bewirbt sich auch ein junger Studienabgänger, dem man den Job ebenfalls zutraut, dann wird der frustriert sein, weil man ihm natürlich kein so hohes Gehalt bezahlt“, argumentiert Iventa-Chef Mayer mit einem konkreten Fallbeispiel. Bei Deloitte, wo man sich seit dem ersten Tag flächendeckend an die neuen Vorschriften hält, streicht Gundi Wentner hingegen die Chancen heraus, die konkrete Gehaltsangaben für Unternehmen bringen - man hebt sich damit im Wettbewerb um die besten Kandidaten ab und positioniert sich als attraktiver Arbeitgeber. Und: Selten gab es einen besseren Anlass, interne Gehaltsstrukturen zu modernisieren und die Systeme zu professionalisieren. "Ich sehe das Gehalt nicht als Ergebnis von Verhandlungen, sondern abhängig von Aufgabe, Qualifikation und Leistung“, betont Wentner. P&P-Geschäftsführerin Schlader bestärkt diesen Standpunkt: "Das ist ein Anlass, dem Gehaltspoker den Garaus zu machen.“
Strafen, Spitzen, Strategien. Um das zu erreichen, sollten die Gehaltsangaben aber nicht nur den Buchstaben des Gesetzes entsprechen, sondern auch aussagekräftig sein. Doch daran mangelt es selbst bei den Vorreitern noch. Laut einer Umfrage des Forum Personal geben 77 Prozent das kollektivvertragliche Mindestgehalt an - was genau dem Minimalerfordernis entspricht. Im Gegensatz zu einer verbreiteten Interpretation muss aber auch dabei ein konkreter Betrag genannt werden; nur der Hinweis, welcher Kollektivvertrag zur Anwendung kommt, reicht nicht (s. auch Formulierungsbeispiele Kasten rechts). "Ich denke, das ist eine Hilfsvariante, die in der Übergangszeit bis zum Jahreswechsel angewandt wird“, erklärt Armand Kaáli-Nagy, Generalsekretär des Forum Personal. Ab Jahreswechsel drohen nämlich bei Verstößen Geldstrafen.
Jürgen Smid, Geschäftsführer der Online-Jobplattform karriere.at, meint: "Gerade bei Jobs mit höherem Qualifikationsniveau bringt die Angabe des Mindestgehalts wenig, da das Lohnniveau fast immer über dem KV-Gehalt liegt und die tatsächliche Lohnhöhe im verborgen bleibenden Bereich der Überzahlung liegt.“ Mit dem Appell, "das Gesetz mit Praktikern neu auszuformulieren“, schleudert Skeptiker Mayer eine Spitze Richtung Politik: "Man merkt, dass das von Leuten geschrieben wurde, die nur das starre Entlohnungssystem der öffentlichen Hand kennen.“
Kaáli-Nagy vom Forum Personal beobachtet: "Die meisten warten auf den Jahreswechsel und schauen, was die anderen tun.“ Sollten ab 2012 tatsächlich alle Stelleninserate mit Gehaltsangaben erscheinen, wäre das wohl eher modernen Employer-Branding-Strategien zuschreiben als der dann geltenden Strafandrohung: Bis zu 360 Euro Verwaltungsstrafe (im Wiederholungsfall!) lässt die Personalisten nicht sehr erzittern.
MICHAEL SCHMID