Um die besten Köpfe zu finden und zu halten, kommt immer öfter BIG DATA zum Einsatz. Was macht Sinn und wo sind die Grenzen für die digitalen Recruiter?
Willkommen an Ihrem neuen Arbeitsplatz! Machen Sie es sich gemütlich – aber nicht zu sehr, denn in fünf Jahren kündigen Sie ohnedies
Auch wenn Sie gerade voll Euphorie den ersten Tag in Ihrer neuen Firma beginnen, Ihr Arbeitgeber weiß jetzt schon, wann Sie wieder gehen wollen. Möglich macht dies Predictive Analytics: Die Personalabteilung sieht sich die Mitarbeiter an, die in letzter Zeit das Unternehmen verlassen haben, und versucht, Gemeinsamkeiten festzustellen: Alter, Geschlecht, wie lange sie angestellt waren, welche Ausbildung und Fähigkeiten sie haben und so weiter. Ähnliche Werte ergeben – am eindeutigsten in großen Abteilungen wie etwa einem Callcenter – ein Profil, zum Beispiel männlich, 35 bis 45 Jahre alt, Techniker und maximal fünf Jahre im Betrieb. Nun vergleicht man, welche Mitarbeiter in diesen Raster passen, und so entsteht eine Liste von Kandidaten, die potenziell kündigen könnten.
Die Vorhersage von möglichen Kündigungen ist ein Beispiel von vielen, wie Personalabteilungen schon heute von Big Data und Business Analytics profitieren können. Denn die Aufgaben im Bereich von Human Resources (HR) wandeln sich. Unternehmen beginnen, überall riesige Datenmengen zu sammeln, um die besten Mitarbeiter zu finden oder eigene Talente zu fördern. Doch Daten sammeln ist nicht genug. Um Big Data nutzen zu können, müssen die richtigen Fragen gestellt und geeignete Werkzeuge eingesetzt werden.
AUTOMATISIERTE SUCHE. „Der Zeitraum vom Entstehen einer Vakanz bis zur Besetzung der Stelle kostet viel Geld, weil der Produktivitätsverlust groß ist“, erklärt Christoph Weissenböck, Communications Manager bei karriere.at. Diese „Time to hire“ möglichst kurz zu halten, ist die Motivation von Österreichs führendem Recruiting-Portal. Das Fundament jeder guten Vermittlung zwischen Jobsuchenden und Arbeitgebern ist dabei eine gezielte Datenanalyse. Davon hat professionelle Personalsuche immer schon gelebt, doch während früher die Infos über Kandidaten in Aktenschränken in Evidenz gehalten und dann händisch durchsucht wurden, erledigen das heute hochkomplexe Analysetools.
Alleine dafür beschäftigt karriere.at 40 Mitarbeiter in der Softwareentwicklung. „Wir setzen das ontologiebasierte Matching ein, das auch Synonyme und Bedeutung erfasst“, erklärt Klaus Hofbauer, geschäftsführender Gesellschafter von karriere.at. „Während die Schlüsselwortsuche genau das Stichwort ,Programmierer‘ liefert, erkennt unser System auch Bezeichnungen wie etwa ,Entwickler‘ oder ,Softwaredeveloper‘.“
Neu ist das automatische Matching mit Stelleninseraten: Wenn zum Beispiel ein Unternehmen einen Marketing-Mitarbeiter im Großraum Wels sucht, so liest die Software von karriere.at selbstständig das Inserat aus, vergleicht die Anforderungen mit der eigenen Bewerber-Datenbank und schlägt dem Kunden geeignete Kandidaten vor. Hofbauer: „Gefragt ist nicht mehr reine Quantität, sondern Qualität. Wir sehen die Zukunft in immer besseren Matching-Funktionen, sowohl auf fachlicher als auch persönlicher Ebene – schließlich werden auch weiche Faktoren und gebotene Benefits wie Kinderbetreuungsangebote für Arbeitnehmer immer wichtiger.“
Matching-Tools entlasten zudem die Mitarbeiter im Personalwesen von Routinetätigkeiten wie dem Durchforsten von Hunderten Personalakten nach qualifizierten Kandidaten. „Big Data macht unsere Arbeit menschlicher“, sagt Cornelia Zinn- Zinnenburg, Geschäftsführerin von Kienbaum Personalberatung, „denn so bleibt uns im entscheidenden Auswahlprozess betreffend Eignung mehr Zeit für ausführliche Gespräche. Dafür bedanken sich Interessenten sogar bei uns.“
Für Roni Cesnjaj, verantwortlich für digitale Transformation in HR bei SAP, zählt beim automatisierten Matching vor allem auch der Vorteil des unbestechlichen Algorithmus: „Eine Maschine hat kein Schubladendenken und lässt sich bei der Vorauswahl nicht von fremd klingenden Namen oder einem Foto beeinflussen – das fördert die Diversität. Wir wenden das auch in unserem eigenen Unternehmen erfolgreich an.“ Er ist jedenfalls davon überzeugt, dass Vorteile wie diese dazu führen, dass Big Data immer mehr in den Personalabteilungen ankommt: „Unternehmen sammeln schon lange verschiedenste Daten, jetzt wollen sie daraus wirtschaftlichen Nutzen ziehen.“
WER PASST ZU WEM. Aus den – oft schon automatisiert – vorausgewählten Kandidaten gilt es nun, den Besten zu finden. Auch dabei kommt Big Data zum Einsatz. Die Lösung von Prescreen begleitet nämlich den gesamten Prozess, vom Online-Jobinserat über die Kandidatengespräche bis zum Vertragsabschluss. Wer das neu bezogene Büro des Wiener Start-ups betritt, spürt Lust am Forschen und Goldgräberstimmung, denn Daten sind das neue Gold. In nur drei Jahren ist eine beachtliche Kundenliste entstanden: Bank Austria, Falkensteiner Hotels, runtastic oder Birkenstock nutzen die elektronische Recruitinglösung Prescreen.
Für das Matching werden dabei nicht nur Daten aus dem Lebenslauf, sondern das Verhalten der Kandidaten im gesamten Recruiting-Prozess dokumentiert. Diese werden in Relation zu gesammelten Vergleichsdaten vergangener Bewerbungsprozesse gesetzt, um Kandidaten besser einschätzen zu können. Das System schlägt sogar speziell auf den Bewerber zugeschnittene Fragen für das Vorstellungsgespräch vor. Geplant ist in Zukunft, mit Hilfe von Spracherkennung auch den Inhalt der Kommunikation zwischen Bewerber und Unternehmen zu analysieren und aus der Stimmung eine Vorhersage zu treffen, ob der Kandidat eingestellt wird. Derzeit forscht Prescreen, ob so etwas interpretiert werden kann.
Welcher Kandidat den Job erhält, kommt jedenfalls immer als Feedback zurück ins System, das daraus wieder lernt. „Je mehr konkrete Beispiele das System zur Verfügung hat, umso besser kann es dazulernen. So wird der Algorithmus geeicht“, erklärt Robert Rainer, Co-Gründer von Prescreen. Auch KMU profitieren hier von Big Data, denn die Intelligenz des Systems wird aus vielen Unternehmen und Bewerbungsprozessen anonym aggregiert.
Für Rainer ist in diesem Zusammenhang Active Sourcing von größter Bedeutung: „Fachkräfte werden heute direkt angesprochen, sie sind vom Suchenden zum Gesuchten geworden. Wir versuchen, vorherzusagen, ob jemand ein Angebot annehmen wird.“ Analysiert wird dabei, wie oft der Kandidat schon seine Position oder die Firma gewechselt hat, oder ob er seinen Lebenslauf regelmäßig aktualisiert -eines der stärksten Signale.
Immer wichtiger wird für Unternehmen, gute Mitarbeiter möglichst lange im eigenen Unternehmen zu halten, vor allem Fachkräfte sind rar und begehrt. Auch da kann die Digitalisierung helfen. „Der Nutzen von Big Data ist, dass Vorschläge für konkrete Maßnahmen kommen, wie man einen ganz bestimmten Mitarbeiter weiterentwickeln und motivieren kann“, sagt SAP-Experte Cesnjaj. Ein Algorithmus der HR-Lösung SuccessFactors von SAP misst dabei die Fähigkeiten etwa eines Technikers und berechnet die Relevanz von Schulungsmaßnahmen, also was beispielsweise ein Produkt-Workshop im Vergleich zu einem Persönlichkeitstraining bringt.
GROSSE UNSICHERHEIT. So spannend die Möglichkeiten durch Einsatz digitaler Tools im Personalwesen auch bereits sind, Tatsache ist, dass das Thema in Österreich noch recht skeptisch beäugt wird. So ergab vor wenigen Wochen eine Kienbaum-Studie, dass die HR-Manager von knapp über 100 österreichischen Unternehmen aus allen Branchen und Größen dem Thema Big Data absolut keine Priorität einräumen. Der Grund seien Datenschutzbedenken, analysiert Zinn-Zinnenburg: „Bei Big Data herrscht noch große Unsicherheit, was erlaubt ist und was nicht.“
Darum gehe es jetzt einmal darum, Aufklärungsarbeit zu leisten, denn Digitalisierung werde auf jeden Fall passieren. Oft fehle es den Personalern noch an entsprechenden Werkzeugen und Wissen, um die digitale Transformation auch im HR-Bereich voranzutreiben.
Eines bleibt jedoch für alle Experten unverändert. Trotz aller künstlicher Intelligenz werden persönliche Gespräche auch weiterhin das Um und Auf jeder Personalsuche bleiben – vor allem bei Jobs im Top-Management. Zinn-Zinnenburg: „Emotion ist analog, das kann ich nicht aus Big Data herausholen, da wird man immer unsere Unterstützung brauchen. Für uns gilt jedenfalls: people over pixels.“
GLOSSAR
BIG DATA: Unternehmen sammeln immer mehr Daten. HR beobachtet auch, wie Bewerber sich in Social Media präsentieren.
MASCHINELLES LERNEN: Künstliches Wissen wird aus Erfahrung generiert. Eine Software lernt laufend anhand von Beispielen, um daraus automatisierte Analysen oder Vorschläge zu machen.
MATCHING: Ist in HR der Abgleich des Jobprofils mit den Kompetenzen des Bewerbers, um eine höchstmögliche Passgenauigkeit zu erreichen.
PREDICTIVE ANALYSIS: Aus Daten aus der Vergangenheit wird anhand von Beispielen und Modellen auf zukünftige Ereignisse geschlossen, z. B. wie sich die Karriere eines 25-jährigen Mitarbeiters im Vertrieb entwickelt. Die Wahrscheinlichkeit der Ergebnisse hängt vom Umfang der Datenbasis, den Annahmen und gelernten Erfahrungen ab.
Quelle: trend, 26. Mai 2017