Seit Mitte März gibt es auf dem Arbeitsmarkt ein Auf und Ab. Mit den ersten Ausgangsbeschränkungen ist die Arbeitslosigkeit auf ein Rekordhoch gestiegen. Nach zwei Monaten Wachstum ging die Zahl der arbeitslosen Personen wegen der Lockerungen wieder zurück. Seit Oktober nimmt die Arbeitslosigkeit wieder zu. Zuletzt meldete auch das Baugewerbe saisonalbedingt wieder mehr Arbeitslose.
Freilich ist die Arbeitslosigkeit in den Wintermonaten etwas höher als in den anderen Monaten. Doch im Jahr 2020 ist das Niveau ein ganz anderes. Im November waren hierzulande 457.197 Menschen ohne Job. Das ist innerhalb eines Jahres ein Anstieg um 24,9 Prozent oder 91.247 Personen, teilte das Arbeitsministerium am Dienstag mit. 390.858 davon waren beim Arbeitsmarktservice (AMS) arbeitslos gemeldet – ein Zuwachs um 30,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum –, weitere 66.339 befanden sich in einer Schulung.
Dass sich der Arbeitsmarkt während einer Krise verändert, bestätigt auch eine Analyse der Aktivitäten von Firmen und Jobsuchenden des Karriereportals Karriere.at. „Der Lockdown im Frühjahr und der Lockdown im Herbst bzw. Winter sind nicht miteinander vergleichbar“, betont Geschäftsführer Georg Konjovic. Noch im ersten Lockdown ab März bis Mai hätten Unternehmen um ein Drittel weniger Inserate gebucht als noch im Vorjahr. Auch die Zahl der Jobsuchenden sei eingebrochen. Nur halb so viele Menschen hätten nach einem – neuen – Job gesucht.
Von Mitte März bis Mai habe eine „Überbremsung“ stattgefunden, wie Konjovic im Gespräch mit ORF.at erklärt. Erstens hätten Unternehmen Kosten bei Neueinstellungen, Marketing und Inseraten eingespart, und Jobsuchende – allen voran jene, die bereits einen Job haben, allerdings gerne wechseln würden – hielten sich mit ihren „Wünschen“ zurück. In ungewissen Zeiten neige man eher dazu, sich etwa einzubremsen, sagt Konjovic. Acht Wochen lang herrschte auf beiden Seiten „Ratlosigkeit“. Doch schon im Frühsommer habe es wieder mehr Bewegung gegeben.
Mehr Inserate, höhere Aktivität. Auf Unternehmensseite gebe es mittlerweile keine nennenswerten Einbrüche mehr, wenn es um Stelleninserate geht: Allerdings sei nun als Motiv für einen Arbeitsplatzwechsel auch der Umgang des Arbeitgebers mit der Pandemie angeführt worden. „Ganz oben stehen weiterhin Faktoren wie Geld und die berufliche Veränderung zu einem interessanteren Tätigkeitsbereich, an zweiter Stelle aber der direkte Bezug zur Coronavirus-Pandemie“, sagt Konjovic.
Schlechte Stimmung im Unternehmen, Unzufriedenheit mit den derzeitigen Arbeitsbedingungen, mehr Homeoffice und ein krisensicherer Arbeitsplatz rangieren bei den Gründen für einen Jobwechsel weit oben. Momentan werde so oft wie noch nie etwa nach dem Begriff „Homeoffice“ gesucht, ein Indiz, so Konjovic, dass diese Option für Arbeitnehmer wichtiger geworden sei. Hinzu kommen auch neu entstandene „Coronavirus-Berufe“: Seit Mitte September wird täglich bis zu 1.000-mal nach „Contact-Tracing“-Jobs gesucht.
Seit Beginn des zweiten Lockdowns ist die Nachfrage nach neuen Jobs auf Karriere.at laut dem Geschäftsführer um zehn Prozent gesunken – während die Zahl der Inserate im Vergleich zum vergangenen Jahr in etwa gleich blieb. „Zu Jahresende wird bei uns extrem häufig gesucht, das ist eigentlich unsere Hochsaison“, sagt er. Deshalb sei auch dieser Einbruch „besonders“. Freilich steht das Jobportal nicht repräsentativ für den heimischen Arbeitsmarkt. „Unsere Zielgruppe sind Personen mit einer Berufsausbildung“, erklärt Konjovic. Die besonders stark betroffenen Gastrobranche und Hilfskräfte werden kaum abgebildet.
Doch gerade in Krisenzeiten trifft es häufig Personen mit geringerer formaler Ausbildung. Wer nur einen Pflichtschulabschluss hat, hat es auf dem Arbeitsmarkt schwerer und läuft öfter Gefahr, arbeitslos zu werden. „Für Geringqualifizierte schwinden die Möglichkeiten einer Beschäftigung wegen der zunehmenden Nachfrage nach höheren Qualifikationen“, beschreibt Arbeitsmarktforscher Rainer Eppel vom Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) einen längerfristigen Trend. Denn schon vor dieser Krise habe es „strukturelle Herausforderungen“ gegeben. So sei etwa das Angebot der Arbeitskräfte (auch durch Zuwanderung) stärker gewachsen als die Zahl der neuen Arbeitsplätze.
Im Oktober dieses Jahres lag das Arbeitslosigkeitsrisiko für Personen mit maximal einem Pflichtschulabschluss bei 25,4 Prozent (2019: 20,9 Prozent). Im ersten Lockdown stand der Wert bei ihnen bei knapp 35 Prozent – während er bei Personen mit einem Lehrabschluss bei etwa zwölf Prozent und bei Hochschulabsolventen bei fünf Prozent lag. Laut AMS befindet sich zwar knapp die Hälfte der sofort verfügbaren offenen Stellen in Branchen (Gebäudereinigung, Leiharbeit, etc.), in denen auch Geringqualifizierte gesucht werden. Doch gerade hier ist der Bedarf nach Arbeitskräften im Vorjahresvergleich stark gesunken.
Gestiegen ist der Bedarf im Coronavirus-Jahr 2020 laut einer offiziellen AMS-Statistik in der öffentlichen Verwaltung, im Gesundheits- und Sozialwesen sowie im Bereich Erziehung und Unterricht. Auch Konjovic gibt an, dass die Pharma- und die Gesundheitsbranche nun öfters Inserate auf dem Jobportal schalten als etwa im Vorjahr. „Die Nachfrage nach Jobs im Gesundheits- und Pharmabereich stieg um rund 20 Prozent, um zehn Prozent wurde dazu mehr inseriert“, sagt er. Zudem gebe es Unternehmen, die die Krise für neue Chancen im Recruiting nutzen, etwa um Fachkräfte abzuwerben. Laut Konjovic gilt die IT-Branche wegen ihrer Krisenresistenz als „Gewinner“.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt übrigens auch die in Wien ansässige Synthesis Forschung, die im Auftrag des AMS Prognosen und Analysen über den Arbeitsmarkt erstellt. Im Gesundheitswesen und im IT-Bereich sei mit einem steigenden Personalbedarf zu rechnen – auch noch Jahre nach der Krise. Allerdings werden damit Qualifikationen relevanter, die man heute erst erlernen muss. Deshalb will die ÖVP-Grünen-Regierung mit einer Joboffensive Arbeitslose besser ausbilden. Im Fokus stünden dabei die Digitalisierung, Pflege/Gesundheit und Umwelt/Nachhaltigkeit.
Vom mit 700 Mio. Euro dotierten Joboffensive-Budget entfallen dabei 485 Mio. Euro auf Qualifizierungsmaßnahmen. Nicht nur, damit bereits Arbeitslose einen Job finden, sondern auch, dass freie Stellen besetzt werden, Stichwort Fachkräftemangel und nun auch systemrelevante Berufe, die in der Coronavirus-Krise besonders unter Druck stehen. In den meisten Fällen können die Beschäftigten in diesen Bereichen – wie Lebensmittelhandel und Pflege – nicht in das Homeoffice wechseln.
„Grundsätzlich ist eine Aus- und Weiterbildung eine gute Strategie“, sagt Gerlinde Titelbach, Arbeitsmarktexpertin am Institut für Höhere Studien (IHS). Auf der einen Seite könnte dadurch etwas Druck vom Arbeitsmarkt genommen werden, andererseits könne man die Zeit nutzen, um künftig benötigte Qualifikationen zu erwerben, und trete zugleich einer Entwertung der vorhandenen Qualifikationen nach der Krise entgegen.
Jedoch seien auch strukturelle Veränderungen notwendig. Gerade in der Krise habe man gesehen, wie abhängig Regionen von gewissen Branchen seien. „Eine Ausbildung ist immer gut, aber es braucht die Rahmenbedingungen für den Job“, sagt Titelbach. Die Chancen für Langzeitarbeitslose und ältere Personen auf dem Arbeitsmarkt seien sehr gering. Es sei zu befürchten, dass sich ihre Perspektiven in der näheren Zukunft verschlechtern.
Die Konkurrenz steige kontinuierlich, weil auch sehr viel jüngere Menschen, die wegen mangelnder Erfahrung in der Krise entlassen werden, nach einer neuen Arbeit suchen. „Es ist extrem schwierig abzuschätzen, wie sich die Situation am Arbeitsmarkt entwickelt, weil diese Krise keine gewöhnliche Wirtschaftskrise ist. Aber die Verfestigung der Langzeitarbeitslosigkeit ist ein Problem.“
WIFO-Experte Eppel verweist auf aktuelle Zahlen, wonach CoV-Arbeitslos und vor allem auch bereits vorher Arbeitslose länger beschäftigungslos bleiben. „Die Arbeitsplatzchancen sind generell deutlich gesunken, und diese Zielgruppe findet schwerer zurück in die Beschäftigung“, so der Arbeitsmarktforscher. Zuletzt kündigte die neue SPÖ-NEOS-Regierung in Wien an, die „Joboffensive 50plus“ für ältere Langzeitarbeitslose auszubauen. Konkret übernehmen Stadt Wien und AMS Wien gemeinsam für ein Jahr einen Teil der Lohn- und Gehaltskosten für die eingestellten Personen.
Eine weitere Herausforderung stellen auch junge Arbeitslose dar. Personen im jungen Alter sind meist die ersten, die ein Unternehmen verlassen müssen. Zuletzt ist die Zahl der Arbeitslosen unter 25 Jahren wieder leicht gestiegen – im Vergleich zum Vorjahr um neun Prozent. Je länger die Arbeitslosigkeit andauert, desto größer ist das Risiko, nicht wieder Fuß fassen zu können. Fachleute mahnen dazu, dass man Jugendlichen Alternativen und Perspektiven anbietet, um die Zeit zu überbrücken.
Auch auf dem Lehrstellenmarkt gab es 2020 bisher ein Auf und Ab. Zu Beginn der Krise standen immer mehr Suchende einer sinkenden Zahl von Ausbildungsplätzen gegenüber. Der Sommer und der übliche Trend – nach dem Sommer stellen Unternehmen für gewöhnlich neuen Nachwuchs ein – sorgten Mitte des Jahres für Entspannung. Allerdings sollte die Lehrstellensuche bereits mit Jahreswechsel beginnen, empfiehlt das AMS in seinem „Elternratgeber“. Wer im Herbst kommenden Jahres eine Lehre beginnen möchte, sollte sich schon im November oder Dezember des Vorjahres bewerben.
Eine Bewerbung ist allerdings zu wenig. Zwar sind Nachfrage und Angebot regional und branchenabhängig unterschiedlich, „dennoch gilt es als so gut wie sicher, dass man sich für mehrere – mitunter sogar sehr viele – offene Lehrstellen bewerben wird müssen, um ans Ziel zu gelangen“, heißt es gegenüber ORF.at. Es wird empfohlen, sich mehrere Lehrberufe anzuschauen und sich auch mal initiativ zu bewerben. Möglich ist, dass ein Unternehmen gar keine offene Lehrstelle inseriert hat, aber gewillt ist, Nachwuchs anzustellen.
Jürgen Klatzer, ORF.at
Quelle: ORF.at, 1.12.2020