“Sie” oder “Du” – die alte Frage erhält durch das Internet neue Bedeutung. Das kommunikative Wirrwarr ist heutzutage unaufhörlich. Regeln werden ausgehebelt. Doch beim Reden kommen alle Leute zusammen.
Im Salzkammergut können Wanderer über einen ganz besonderen Stein stolpern. Dann wird aus dem Sie plötzlich ein Du. Die dünne Luft ist dafür aber nicht verantwortlich, sondern der “Du-Stein”. Für das Duzen gibt es unter anderem einen Marker, der abhängig vom Meeresspiegel ist”, weiß Katharina Zipser (31), Sprachwissenschafterin an der Universität Innsbruck. Am Berg duzt man sich ja traditionell. Im Salzkammergut erinnert der Stein daran, dass man ab 1000 Höhenmetern üblicherweise per Du ist.” Doch ganz so einfach scheint es nicht zu sein. Denn wenn Bergkameraden auf ihren Chef treffen, sind sie dann mit ihm automatisch per Du oder doch per Sie, weil sie ihn auch in der Firma höflich anreden? Und gibt es mittlerweile nicht auch den Großstadtdschungel, der – anders als früher – nur so zum Duzen einlädt?
Für Netzwerkexpertin und Unternehmensberaterin Magda Bleckmann (46) aus Graz hat sich die Anrede gravierend verändert. Man ist viel schneller beim Du als früher.” Bleckmann und Zipser finden das Sie aber nach wie vor beim ersten Kontakt passender. Doch im Internet und auch in Werbungen tauchen mittlerweile überwiegend “Du-Steine” auf. Siezen Sie noch oder duzt du schon? Alle zwischenmenschlichen Unsicherheiten scheinen sich in den kurzen Anredeworten zu bündeln. Wie begegne ich Fremden? Wie viel Höflichkeit und Distanz soll ich Älteren und Diensthöheren zollen? Oder sind wir nicht imstande Respekt auch auf Augenhöhe zu zeigen?
Für die richtigen Umgangsformen gibt es sogar einen amtlichen Beschluss. Im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen wurde der Polizei nun verboten, ihre Fans auf Facebook zu duzen. “Ab sofort duzen wir euch nicht mehr”, heißt es auf der Facebookseite der Polizei Essen und Mühlheim. Mit diesem Satz verfallen die Beamten aber sofort wieder einem Widerspruch. Die Fans konnten sich im Netz köstlich darüber amüsieren, berichtete die Süddeutsche Zeitung vor Kurzem. “*kaputtlach* Das ist so deutsch”, heißt es da etwa in einem Kommentar. “In der multimedialen Welt duzt man nun mal”, meint ein anderer User. Doch ein weiterer sagt auch: “‘Sie’ fördert eindeutig einen respektvolleren Umgang!”
Dass im Web ohnehin alle per Du sind, das kann Zipser nicht beobachten. “Im Internet ist das Du zwar sehr stark vertreten, es kommt dabei aber auch auf die verschiedenen Plattformen an.” Auf Facebook, wo man versuche, private Kontakte zu knüpfen, sei üblicherweise das Du vorherrschend. In beruflichen Netzwerken, wie Xing und LinkedIn, steht das Siezen für Zipser hingegen eindeutig im Vordergrund. Doch laut einer Umfrage von karriere.at aus dem Jahr 2013 duzen sich in sechs von zehn Betrieben alle. Lediglich elf Prozent gaben an, dass Vorgesetzte generell gesiezt werden.
“Situationselastisch” könnte das grausame Wort für den sprachlichen Umgang miteinander heißen. Denn für Zipser und Bleckmann hängen die sprachlichen Umgangsformen davon ab, in welchen Bereichen man sich bewegt. Jedoch erkennt auch die Innsbrucker Sprachwissenschafterin allgemein eine Tendenz zum Du. “Aber es gibt auch eine starke Gegenbewegung und Bereiche, in denen auf das ‘Sie’ großen Wert gelegt wird”, sagt Zipser.
Die Gretchenfrage nach dem Du oder Sie bleibt also weiter ungelöst, genau das ist jedoch auch das Spannende daran. Mittlerweile sind für Zipser sogar früher gegängelte Zwischenformen salonfähig. ?Das Hamburger Sie, wenn man jemanden mit Sie plus seinem Vornamen anredet, ist in sehr vielen Unternehmen die gängige Variante.” Dieses Hamburger Sie würde gerade Respekt und kollegiale Nähe miteinander vereinen. Das seien auch die zwei Eigenschaften, mit denen viele die Anredeworte Sie und Du verbinden.
Du vermittelt ein Wir-Gefühl, eine Gruppenzugehörigkeit und eine Vertrautheit. Es ist auch gewissermaßen jugendlicher. Mit dem Sie geht man mehr auf Distanz. Es geht auch mit mehr Objektivität und Neutralität einher”, erklärt die Sprachwissenschafterin. Dabei sei das Sie kein Marker für Respekt. Höflichkeit keine Frage von Du oder Sie. ?Migranten oder Ausländer per se mit Du anzusprechen, ist ein Zeichen von Intoleranz und Diskriminierung”, betont Zipser. Generell sollten Gesprächspartner aufeinander achten, ein Gespür für die Kommunikation und das Miteinander entwickeln und sich dementsprechend anreden. Dazu rät auch Bleckmann. Weitere Tipps geben die Expertinnen im Bild oben. Zu viel Aufsehen brauchen Personen darüber aber auch nicht machen. ?Wie ich auf meinen Gesprächspartner wirke, hängt nicht unbedingt vom Du oder Sie ab. Das ist nur ein kleiner Mosaikstein, viel bedeutender sind Körpersprache und sprachlicher Ausdruck”, erklärt Bleckmann.
Egal, ob nun Du oder Sie vorherrscht: Wir sind wir und kommen beim Reden zusammen. Das sollte trotz aller sprachlicher Wirrungen so bleiben. (Deborah Darnhofer)
Quelle: Tiroler Tageszeitung Magazin, 8. Februar 2015