Ungesunde Mitarbeitende kosten viel: Warum Betriebliches Gesundheitsmanagement sich lohnt
Mitarbeiter*innengesundheit hat seit dem Beginn der Corona-Pandemie oberste Priorität – zumindest, wenn es um den Schutz vor einer Ansteckung mit dem Virus geht. Doch Gesundheit ist mehr als Infektionsprävention. Wie Arbeitgeber die Gesundheit der Mitarbeiter*innen fördern können und warum sich das lohnt, erklärt BGM-Experte Thomas Kirchner.
„Bleib gesund!“ ist in den vergangenen Monaten als Grußformel in unseren Sprachgebrauch übergegangen, aber wie ernst meinen wir das wirklich? Was tun wir dafür, um tatsächlich gesund zu bleiben – statt lediglich nicht krank zu werden? Diese Frage sollten sich auch Arbeitgeber häufiger stellen, meint Thomas Kirchner, Gründer der Gesundheits-App Senseble Health. Wir haben ihn gefragt, warum Gesundheit nicht nur Privatsache ist und inwiefern sich betriebliches Gesundheitsmanagement rentiert.
Betriebliches Gesundheitsmanagement hat an Bedeutung gewonnen #
Hat die Corona-Krise eurer Meinung nach etwas am Stellenwert vom Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) geändert?
Thomas Kirchner: Basierend auf unseren Erfahrungen als Anbieter aber auch basierend auf Stimmen aus der Wirtschaft, hat das Betriebliche Gesundheitsmanagement stark an Relevanz gewonnen. Arbeitgeber haben durch die Corona Pandemie noch einmal mehr erkannt, dass die Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter letztlich auch die wirtschaftliche Gesundheit des Unternehmens stark beeinflusst. Zudem wünscht sich laut einer Studie des Meinungsforschungsinstituts forsa die Mehrheit der Arbeitnehmer*innen mehr gesundheitliche Unterstützung Ihres Arbeitgebers. Die Nachfrage nach BGM-Angeboten ist durch die Covid-19 Pandemie also definitiv auf beiden Seiten gestiegen.
„Zum einen bewegen wir uns weniger, zum anderen steigt die mentale Belastung.“
Mentale oder körperliche Gesundheit: Wo seht ihr aktuell den größten Handlungsbedarf?
Thomas Kirchner: Diese Frage ist schwierig zu beantworten, denn beide Bereiche werden aktuell durch die privaten Einschränkungen als auch durch unseren veränderten Arbeitsalltag stark beansprucht. Zum einen bewegen wir uns weniger als vor der Krise – hat man früher wenigstens noch die Wege zwischen den öffentlichen Verkehrsmitteln, dem Büro und den verschiedenen Meeting Räumen zurückgelegt, kann es nun leicht passieren, dass man am Tag lediglich ein paar Schritte zwischen dem eigenen Bett, der Küche und dem Schreibtisch im Homeoffice zurücklegt. Zum anderen steigt auch die mentale Belastung - zum Beispiel durch das Gefühl der Isolation, der Angst um den eigenen Arbeitsplatz, der entstandenen Doppelbelastung durch die Kinderbetreuung oder der Entgrenzung der Arbeit durch das Homeoffice.
„Es kann passieren, dass man am Tag lediglich ein paar Schritte zwischen Bett, Küche und Schreibtisch zurücklegt.“
Wir merken im Zuge unserer Beratung, dass die Nachfrage aktuell in beiden Bereichen steigt, letztlich ist der Handlungsbedarf aber für jeden Einzelnen von uns verschieden: Hat der eine vielleicht erst durch die Covid-19 Pandemie den Sport für sich als neues Hobby entdeckt, ist es für den anderen aktuell eine Herausforderung in Bewegung zu bleiben. Das gleiche gilt für die Fähigkeit, sich verändernden Umweltbedingungen anzupassen und mit psychischen Belastungen umgehen zu können. Das fällt dem einen deutlich leichter als dem anderen.
Gesundheit ist ein Zusammenspiel verschiedener Komponenten #
Mitarbeiter*innengesundheit setzt sich aus verschiedenen Elementen zusammen: Ernährung, Bewegung, Freizeit. Worauf sollten sich Arbeitgeber als allererstes konzentrieren?
Thomas Kirchner: Bestenfalls setzt sich ein betriebliches Gesundheitsprogramm immer direkt aus mehreren Komponenten zusammen, aus denen die Mitarbeitebdeb dann das passende Angebot für ihre persönliche Situation wählen können. Denn Gesundheit ist ein sehr individuelles Thema und kann für den einen etwas ganz anderes bedeuten als für den anderen. Es zeichnet sich aber bereits ab, dass Maßnahmen zur Flexibilisierung von Arbeitszeit und -Ort weiter stark an Bedeutung gewinnen werden. Dasselbe gilt für Maßnahmen, die Mitarbeiter*innen in der Pflege von Angehörigen unterstützen oder neue Beschäftigungsformen wie Teilzeitarbeit oder Sabbaticals. Gleichzeitig sinkt aber auch nicht der Bedarf an klassischen Maßnahmen wie beispielsweise den Programmen zur Förderung von mehr Bewegung.
„Maßnahmen zur Flexibilisierung von Arbeitszeit und -ort sowie für die Pflege von Angehörigen werden stark an Bedeutung gewinnen.“
Welche Themen für das eigene Unternehmen die wichtigsten sind, hängt letztlich aber von den individuellen Bedürfnissen der eigenen Belegschaft ab. Um diese Bedürfnisse herauszufinden, kann der Arbeitgeber auch eine kurze Bestandsaufnahme durchführen – beispielsweise über eine anonyme Befragung der eigenen Mitarbeiter*innen. So lässt sich am besten herausfinden, welche Themen die höchste Relevanz haben.
Lohnt sich das? Der ROI von betrieblicher Gesundheitsförderung #
Welchen wirtschaftlichen Vorteil dürfen sich Unternehmen denn von BGM erhoffen? Und was kostet ein ungesunder Mitarbeiter?
Thomas Kirchner: Zur Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit gesundheitsfördernder Maßnahmen gibt es eine stetig wachsende Zahl an Studien. Die Ergebnisse unterscheiden sich zwar, da die Studien hinsichtlich Methodik und der Einflussfaktoren variieren, doch die durchschnittliche Höhe des ROI liegt laut eines Berichts der iga (Initiative Gesundheit und Arbeit) bei 2,7. Richtig umgesetzt, lohnen sich Investitionen in die Gesundheit der Mitarbeitenden also auf jeden Fall.
„Die durchschnittliche Höhe des ROI liegt bei 2,7.“
Wie viel eine ungesunde Mitarbeiter*in kostet hängt maßgeblich davon ab, welche Kostenfaktoren betrachtet werden. Denn dazu zählen nicht nur krankheitsbedingte Fehltage oder Kosten für betriebliche Eingliederungsmaßnahmen, sondern auch Kosten hinsichtlich des Know-how-Verlusts oder einer verminderten Produktivität. Laut des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) haben Unternehmen in 2018 insgesamt 62 Milliarden Euro allein für krankheitsbedingte Ausfälle gezahlt – 25 Milliarden mehr als noch 2010. Das liegt unter anderem auch an dem gestiegenen Krankheitsstand. Klar, die Gesundheitsförderung der Mitarbeiter*innen kostet, doch ungesunde Mitarbeitende kosten deutlich mehr.
Wie gesund sind meine Mitarbeiter*innen? Die Muskelmasse als Indikator #
Warum ist die Muskelmasse so ein wichtiger Wert für euch? Sind nicht auch Gewicht, Herzfrequenz oder Fettanteil entscheidend?
Thomas Kirchner: Die Muskelmasse ist tatsächlich wichtiger, als viele denken. Während noch vor einigen Jahren allein eine regelmäßige Ausdauerbelastung für den Erhalt der Gesundheit als entscheidend erachtet wurde, hat die Weltgesundheitsorganisation WHO mittlerweile die Empfehlung von 150 Minuten Ausdaueraktivität pro Woche ergänzt – mit zwei Einheiten gezieltem Krafttraining der großen Muskelgruppen pro Woche. Denn Muskelmasse und -Kraft sind in vielerlei Hinsicht extrem wichtig für unsere Gesundheit: Unsere Bauch- und Rückenmuskulatur beispielsweise umspannt unsere Wirbelsäule wie ein Korsett. Ist diese durch regelmäßiges Training gestärkt, haben wir mehr Stabilität, halten uns aufrechter und beugen damit Rückenbeschwerden vor.
Darüber hinaus ist unsere Muskulatur stoffwechselaktive Masse, die wir uns auch bei der Gewichtsreduktion zu Nutze machen können: Je mehr Muskeln wir haben, desto mehr Energie verbrennt unser Körper – auch im Ruhezustand. Es sollte deshalb beim Ziel, Gewicht zu verlieren nie darum gehen, um jeden Preis einfach nur die Zahl auf der Waage zu verringern. Vielmehr ist es das überschüssige Körperfett, das wir reduzieren wollen und dabei die Muskelmasse so gut es geht zu erhalten. Das geht nur, wenn wir unsere Muskelgruppen auch regelmäßig etwas fordern.
„Unsere Muskulatur bestimmt zu einem großen Maß, wie aktiv wir im Alter noch sein können.“
Zudem spielt die Muskulatur auch im Alter eine ganz entscheidende Rolle. Sie ist mitverantwortlich für unsere Balance und Stabilisationsfähigkeit und bestimmt deshalb zu einem großen Maß wie aktiv wir auch im Alter noch sein können. Zudem beugt Muskeltraining Osteoporose vor, denn durch regelmäßige Aktivität geben die Muskeln Zug- und Druckbelastungen an die Knochen weiter. Dadurch werden diese gestärkt und dem passiven Knochenmasseverlust wird entgegengewirkt.
Warum und welche Bewegung beim Stressabbau hilft #
„Bewegung hilft immer“ hat mir Resilienz-Expertin Anneliese Aschauer in einem Interview über den Umgang mit Stress verraten. Warum ist Bewegung auch gut für unsere Psyche?
Thomas Kirchner: Dafür gibt es tatsächlich viele verschiedene Gründe. Zum einen gibt es die Ablenkungshypothese. Bewegen wir uns und machen Sport, haben wir weniger Zeit, uns auf die Themen zu konzentrieren, die Stress in uns auslösen. Bewegung macht also – wie man so schön sagt – den Kopf frei.
„Bewegung macht– wie man so schön sagt – den Kopf frei.“
Zum anderen passiert aber auch auf biochemischer Ebene viel: Serotonin und Endorphine werden ausgeschüttet, die unser Wohlbefinden merklich steigern können. Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol werden hingegen durch Bewegung abgebaut und ihr schädigender Effekt auf unseren Körper wird verhindert.
Bewegung hat zudem einen sehr wertvollen Effekt auf unseren Selbstwert. Ich denke, jeder von uns kennt das angenehme Gefühl nach einer Trainingseinheit – wissend, dass man etwas für sich getan hat, dass man sich Zeit für sich selbst genommen hat. Das steigert den Selbstwert und das Selbstvertrauen und wirkt damit auch wieder positiv auf unsere Psyche.
Welche Sportarten sind am besten geeignet für bessere Konzentration und für Stressabbau?
Thomas Kirchner: Generell ist dafür immer die Sportart am besten geeignet, die dem Einzelnen am meisten Spaß macht. Habe ich überhaupt keine Freude am Joggen, dann bringt es nichts, wenn ich mich dazu zwinge, fünf Kilometer durch den Park zu laufen. Damit der Sport seine volle positive Wirkung entfalten kann, muss er Spaß machen. Das Schöne ist, dass es so viele verschiedene Sportarten gibt.
Eine Sache ist bei der Wahl der Sportart aber zu beachten: Es ist nicht immer ratsam, nach einem sehr stressigen 10-Stunden-Arbeitstag noch ein außerordentlich intensives Training zu absolvieren.
„Es ist nicht immer ratsam nach einem sehr stressigen Arbeitstag noch ein intensives Training zu absolvieren.“
Denn sehr intensive Sporteinheiten bedeuten Stress für unseren Körper. In der Ruhe- und Regenerationsphase führt dieser Stress zwar zu einer positiven Anpassung und unser Körper wird leistungsfähiger. Doch wenn nach dem Training vielleicht eine kurze Nacht folgt und am nächsten Tag schon wieder der nächste Meeting-Marathon ansteht, dann kann der Körper eben nicht ausreichend regenerieren. Das kann man hin und wieder natürlich mal machen, auf Dauer kann diese sehr intensive Art der Belastung jedoch mehr schaden als nutzen und führt eher zu mehr Stress und verminderter Konzentrationsfähigkeit. Wir folgen für unsere Trainingseinheiten deshalb gerne der Faustregel: entweder lang und locker, oder kurz und intensiv.
Motiviert bleiben: Innerer Antrieb und Gewohnheit #
Tipps gegen den inneren Schweinehund: Zu Beginn ist die Motivation oft groß, lässt aber schnell nach. Wie bleibt man am Ball und schafft es, einen gesunden Lebensstil nachhaltig in den Alltag zu integrieren?
Thomas Kirchner: Das ist eine sehr gute Frage, über die wir uns jetzt wirklich lange unterhalten könnten. Aber grundsätzlich sind es häufig zwei Dinge, die uns daran hindern, langfristig dran zu bleiben: 1. Wir nehmen uns für den Anfang häufig viel zu viel vor. Hier sind „tiny Habits“ die Lösung, also kleine Gewohnheiten. Sehr kleine Veränderungen unserer Gewohnheiten haben nämlich den Vorteil, dass sie uns einen einfachen Einstieg bieten. Denn kleine Schritte schüchtern nicht ein, brauchen nicht viel Zeit und zeigen uns schnell, dass wir mit unserem neuen Handeln Veränderungen bewirken können – und das motiviert ungemein. Also anstatt sich vorzunehmen, jeden Tag 1 Stunde Sport zu machen, sollte man es mal mit 10 Minuten spazieren gehen versuchen. Wenn wir das dann jeden Tag machen, etablieren wir eine feste Routine in unseren Alltag - und mit der Zeit werden aus 10 vielleicht 20 oder 30 Minuten.
„Anstatt sich vorzunehmen, jeden Tag 1 Stunde Sport zu machen, sollte man es mal mit 10 Minuten spazieren gehen versuchen.“
Ein zweites Problem ist, dass wir uns oft nicht genau über unser Warum im Klaren sind. Warum willst du abnehmen? Warum möchtest du gesünder essen? Hier kann es deshalb helfen, wie ein Kind immer wieder nach dem Warum zu fragen und wenn man sein persönliches Warum gefunden hat, sollte man es sich aufschreiben. Man kann sich diese Erinnerung dann beispielsweise auch gut sichtbar auf das Nachtkästchen legen oder mit einem Post-it an den Kühlschrank heften. Wenn der Schweinehund dann wieder laut wird, kann man sich daran erinnern und sich die Motivation einfacher zurückholen.
Warum habt ihr senseble gegründet bzw. warum bietet ihr Gesundheitsförderung über eine App?
Thomas Kirchner: In vielen Unternehmen ist bei der betrieblichen Gesundheitsförderung das größte Problem, dass die Mitarbeiter das Angebot nicht so nutzen, wie erhofft bzw. dass das Angebot überwiegend von denjenigen genutzt wird, die schon sehr gesundheitsbewusst leben. Letztlich sollten aber auch diejenigen davon profitieren, die noch nicht so viel für die eigene Gesundheit machen. Genau dieses Problem lösen wir mit Senseble. Wir verzahnen persönliche Gesundheitsberatung mit digitalen Inhalten.
„Das Feature Mensch darf nicht komplett fehlen.“
Gerade das letzte Jahr hat gezeigt, das Gesundheitsförderung am besten funktioniert, wenn Mitarbeiter auf das Angebot zugreifen können, egal wo sie sich befinden. Das erreichen wir mit unserer App. Doch damit das Angebot auch wirklich genutzt wird, muss es die Mitarbeiter auch auf einer emotionalen Ebene erreichen. Deshalb darf aus unserer Sicht das Feature Mensch, wie wir es gerne nennen, nicht komplett fehlen. Und hier kommen unsere Health Coaches ins Spiel. Über 1:1 Termine und den Chat in unserer App können die Mitarbeiter unsere Coaches bei Fragen immer erreichen. Dieser persönliche Austausch schafft Vertrauen und motiviert viel mehr, als jeder Bot oder Algorithmus es aktuell kann.
Keine Vergleiche! Gefahr zum Optimierungswahn #
Zwischen bewusster Gesundheitsförderung und Optimierungswahn liegt nur ein schmaler Grat: Wann ist es zu viel des Guten?
Thomas Kirchner: Wichtig ist hier, sich nicht immer in den Vergleich mit anderen zu stellen oder gesellschaftliche Wertvorstellungen erfüllen zu wollen. Man sollte sich und seine eigenen Stärken im Fokus haben, nicht das, was andere vielleicht als erstrebenswert erachten. Eine gesunde Selbstwahrnehmung ist dabei ganz wichtig: Was tut mir gut, was bringt mich in Balance, was vielleicht weniger. Durch die immer intelligenteren Smart Watches und Möglichkeiten unsere Gesundheit zu tracken wächst die Gefahr, dass wir diese Selbstwahrnehmung verlieren und es verlernen, unser eigenes Befinden richtig einzuschätzen. Ist es gerade der innere Schweinehund und die fehlende Lust, die mich vom Trainieren abhält, oder will mein Körper mir gerade tatsächlich signalisieren, dass ich mir lieber etwas Ruhe gönnen sollte. Diese Fähigkeit der Selbstwahrnehmung und der Fokus auf unsere eigenen Bedürfnisse und Ziele, halten uns davon ab dem Optimierungswahn zu verfallen.
Über Thomas Kirchner #
Thomas Kirchner ist Gründer des Münchner Startups Senseble Health. Zuvor war er Mitgründer der digitalen Therapie App Kaia Health. Menschen für einen gesunden Lebensstil zu begeistern, ist nicht nur seine Arbeit, sondern vor allem seine Leidenschaft.
Redaktion
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