Dezentrale Mitarbeiter*innenführung: Erwachsene Menschen brauchen keine Leader
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ZusammenarbeitErstellt am:
24. Februar 2022202202246 Min.6 Min.
Müssen Teams eine*n Vorgesetzte*n haben? Organisationsdesignerin Elisabeth Sechser meint: „Erwachsene Menschen brauchen keinen Leader, sondern Arbeit, die verbindet und zusammenhält.“ Selbstorganisierte Businessteams statt Mitarbeiterführung, so ihre Ansicht, ist das Gebot der Stunde für Unternehmen, um neuen Marktanforderungen agil zu begegnen. Wir haben sie zum Interview gebeten und uns ausführlich über dezentrale Mitarbeiterführung und Selbstorganisation unterhalten.
Agiles Arbeiten gilt aus gutem Grund als zeitgemäß: Wenn sich Situationen und Rahmenbedingungen plötzlich ändern, ist die Unternehmenssteuerung über klassisches Top-down-Management in der Regel nicht rasch genug und Veränderungen werden nicht gut genug von den betroffenen Teams mitgetragen. Besser gelingt dies in selbstorganisierten Teams in Dezentralität. Was das genau bedeutet, erzählt Elisabeth Sechser, Expertin für Organisationsentwicklung, im Interview.
Skizziere bitte: Was bedeutet „dezentrale Führung“?
Elisabeth Sechser: Dezentrale Führung, das Arbeiten in selbstorganisierten Businessteams, ist die Alternative zur Zentralen Unternehmenssteuerung, dem altbekannten Top-down-Management. Das ist eine grundlegende Unterscheidung, an der viel hängt: Wie zum Beispiel der Begriff „Mitarbeiter-Führung“. Die Annahme ist weit verbreitet, dass Menschen in Unternehmen Führungskräfte brauchen, dass Teams eine*n Vorgesetzte*n haben müssen. So, als wäre es ein Naturgesetz. Doch stimmt das wirklich? Dezentrale Unternehmensführung ist als Kontrapunkt die kundenorientierte Form des Zusammenarbeitens. Statt von „oben nach unten“ gemanagt, wird das Unternehmen vom Markt aus, von außen nach innen geführt: von selbstorganisierten Teams.
„Die Kunst der Führungsarbeit liegt darin, mit Menschen am System zu arbeiten anstatt im System an den Menschen.“
Zusammengefasst: Nicht Führungskräfte führen Menschen, sondern unternehmerisch agierende Teams führen in dezentralen Strukturen das Business. Die Kunst der Führungsarbeit liegt darin, Bedingungen für Höchstleistung zu schaffen, also mit Menschen am System zu arbeiten anstatt im System an den Menschen.
Elisabeth Sechser: Eine der größten Stolperfallen ist das Beharren darauf, dass Menschen Führungskräfte brauchen. Ich kenne kein tragfähiges Argument, dass dieser Behauptung standhält. Wir brauchen Hierarchie und formelle Macht für Compliance. Doch nicht für die Arbeit an und für sich. Hier stört Hierarchie. Sie ist wie eine Bremse oder eine Blockade. Wenn wir also diese Behauptung zu Ende denken, dass Menschen Leader brauchen, landen wir gedanklich und menschlich in einer Sackgasse. Es bleibt am Ende ein unangenehmer vordemokratischer Beigeschmack übrig.
„Hierarchie ist wie eine Bremse oder eine Blockade.“
Leader sollen die Entwicklung von Menschen fördern, fordern, kontrollieren und belohnen. Abgesehen von relativ viel Stress, Druck und diesem seltsamen Wort „Letztverantwortung“, dem Führungskräfte oft ausgeliefert sind, trägt dieses Vorgehen zu einer Infantilisierung und Anpassung von Erwachsenen bei und stört das gemeinsame Wertschöpfen. Das ist nicht zeitgemäß und schwächt unternehmerischen Erfolg. Und wir wollen doch Höchstleistung in Unternehmen.
Das Schöne hierbei ist: Wir sind keinem Naturgesetz ausgeliefert, sondern einem von uns Menschen konstruiertem Denkmodell. Das ist großartig, denn wir Menschen können diese Systeme ändern.
Wie können Führungskräfte das Zusammengehörigkeitsgefühl über Abteilungs-/Standortgrenzen fördern, wenn gefühlt jeder „sein eigenes Süppchen kocht“?
Elisabeth Sechser: Keine Führungskraft kann den Zusammenhalt erzeugen, der entsteht, wenn Mitarbeitende gemeinsam etwas füreinander leisten. Die beste Teamentwicklung ist die gemeinsame Arbeit. Denn erwachsene Menschen brauchen keinen Leader, sondern Arbeit, die verbindet und zusammenhält. Das ist zwar nicht immer ein Wohlfühlprogramm und macht auch nicht tagein, tagaus happy. Arbeit ist immer wieder anstrengend und fordert uns heraus. Doch gemeinsames Wertschöpfen, gemeinsame Erfolge, gemeinsames Wirken – all das zahlt in unser menschliches Bedürfnis ein, unser Können, unsere Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen und mit anderen gemeinsam etwas zu leisten.
„Erwachsene Menschen brauchen keinen Leader, sondern Arbeit, die verbindet und zusammenhält.“
Dieses miteinander-füreinander-Leisten heißt, dass es keine Einzelleistungsmessungen, keine individuellen Zielvorgaben, keine Zergliederung von Aufgaben in Abteilungen und keine Bonussysteme gibt. Als kleinste Leistungseinheiten für Wertschöpfung gelten unternehmerisch agierende Teams. In diesen selbstorganisierten Teams, macht nicht jeder und jede, was er oder sie will. Ganz im Gegenteil: Selbstorganisierte Teamarbeit gelingt ausschließlich mit starken Prinzipien und Vereinbarungen, an die sich alle halten. Es braucht konsequentes, arbeitsteiliges und diszipliniertes Zusammenwirken. Diese Team-Vereinbarungen werden – wie der Name schon sagt – gemeinsam vereinbart, weder vorgegeben noch extern kontrolliert. Denn die Teams kontrollieren sich quasi selbst. Man kann gar nicht nicht zusammenarbeiten.
Elisabeth Sechser: Dezentrale Führung ist eine logische Antwort als Unternehmen auf den dynamischen Markt. Etwas Besseres kann einem Unternehmen nicht passieren: selbststeuernde Businessteams in dezentralen Strukturen miteinander verbunden, den Kundinnen und Kunden zugewandt. So werden Unternehmen handlungsfähiger und wendiger. Das macht sie agiler – wie es so schön heißt.
„Dezentrale Führung ist eine logische Antwort als Unternehmen auf den dynamischen Markt.“
Und in Zeiten wie diesen wissen wir mittlerweile alle, dass Planung und zentrale Steuerung nicht zu den Top-Favoriten für unternehmerischen Erfolg zählen. Die Zukunft ist ungewiss und Pläne verlieren rasch ihre Gültigkeit und müssen verworfen werden. In einer komplexen Welt, wo es viele Überraschungen und viel Unvorhersehbares gibt, wo dynamische Märkte und starker Wettbewerb souveränes Handeln erwarten, versagt zentrale Steuerung. Sie passt nicht mehr zum Business. Zentrale Unternehmensführung muss man sich leisten können, denn sie erzeugt viel Verschwendung. Dezentrale Führung ist also eine logische Antwort als Unternehmen auf den dynamischen Markt. Und noch etwas Schönes zum Schluss: Das kann man gemeinsam lernen und gemeinsam machen.
Elisabeth Sechser, Expertin für Organisationsentwicklung
Elisabeth Sechser ist Expertin für Organisationsentwicklung mit Fokus auf die Themen Agilität, Demokratieentwicklung und organisationales Lernen. Mit ihrem Unternehmen „Sichtart“ deckt die Organisationsdesignerin und Sparringpartnerin für Einzelpersonen, Teams und Organisationen festgefahrene Muster und Fehlannahmen auf. „Elisabeth Sechser will gutes neues Arbeiten“ – der Name ihres Podcasts ist Programm: Als führende Spezialistin für das Konzept „Beta-Kodex“ und österreichische Partnerin von „disqourse“, der digitalen Lernplattform für organisationale Agilität, gestaltet die kritische Denkerin lebendige, zeitgemäße und agile Arbeitsorte.
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