Downshifting: Die Karriereleiter bewusst wieder nach unten klettern
Raus aus dem Hamsterrad! Für manche muss es nicht immer nach oben gehen, sie würden im Job gerne einen Gang zurückschalten: Die Beförderung ablehnen, Arbeitszeit reduzieren oder sich überhaupt eine längere Auszeit vom Job gönnen. "Downshifting" ist das teilweise oder komplette Aussteigen aus dem Job - von den Chancen und Risiken erzählt Coach Bernd Slaghuis im Interview.
Bernd Slaghuis: Mit Downshifting wird das bewusste, gezielte Runterschalten und Kürzertreten im Beruf bezeichnet. Im Gegensatz zum weiteren Aufstieg auf der Karriereleiter kann es beim Downshifting auch um einen oder mehrere Schritte zurück gehen. Downshifting bedeutet nicht immer, weniger zu arbeiten. Vielmehr geht es für viele Downshifter um die bewusste Entscheidung, mit dem nächsten Karriereschritt zu mehr Selbstbestimmung und damit zu mehr Kontrolle über die eigene Zeit, stärkerer Sinnhaftigkeit einer Tätigkeit und zu größerer Freiheit im Beruf und im Leben zu gelangen. Charakteristisch ist das Erstreben eines erfüllenderen Lebens sowie das Ziel einer verbesserten Übereinstimmung der eigenen Werte und Ziele mit denen des Arbeitgebers, des Vorgesetzten oder der Kollegen.
Welche Formen von Downshifting gibt es? #
Bernd Slaghuis: Downshifting kann unterschiedliche Ausprägungen annehmen und ist eng mit den persönlichen Motiven und Zielen eines Downshifters verbunden. Auch die Situation im Unternehmen und dessen Umgang mit diesem, in unserer Region noch ungewöhnlichem Karriereschritt, bestimmt, welche Möglichkeiten sich für ein Downshifting anbieten.
- Der Schritt auf der Karriereleiter nach unten: Die bewusste Entscheidung, im hierarchischen Gefüge einen Schritt zurück zu gehen, etwa vom Abteilungsleiter zurück zum Teamleiter oder von der Führungsrolle zurück in eine Expertenrolle ohne Führungsverantwortung.
- Die Ablehnung einer Beförderung: Die bewusste Entscheidung, den vom Arbeitgeber angebotenen Schritt auf der Karriereleiter nach oben nicht zu gehen.
- Die Kürzung der Arbeitszeit: Die bewusste Entscheidung, unter Nutzung einer Teilzeit-Regelung oder Aufteilung von Verantwortungsbereichen (Job-Sharing) die Arbeitszeit zu reduzieren und damit einen anteiligen Gehaltsverzicht in Kauf zu nehmen.
- Die Flexibilisierung der Arbeitszeit: Die bewusste Entscheidung, flexible Arbeitszeitmodelle zu nutzen, etwa ein Sabbatical oder die Möglichkeit des unbezahlten Urlaubs. Der längere Ausstieg aus dem Job wird von vielen Angestellten zur Selbstfindung genutzt. Im weiteren Sinne zählt hierzu auch die Entscheidung für das Nehmen von Elternzeit.
- Der Wechsel der Position im Unternehmen: Die bewusste Entscheidung, das Arbeitsumfeld zu verändern, wobei die bis dahin ausgeführte Tätigkeit inhaltlich weiterhin relevant bleibt, jedoch die mit dem Downshifting verbundenen Ziele erreicht werden.
- Der Schritt in die Selbstständigkeit: Die bewusste Entscheidung für eine andere Arbeitsform und Lösung von einer abhängigen Beschäftigung. Hier steht die Selbstbestimmung im Vordergrund, auch wenn die Arbeitszeit häufig deutlich ansteigt.
- Die räumliche Veränderung: Die bewusste Entscheidung, beispielsweise aus der teuren Großstadt wegzuziehen und eine neue Tätigkeit in anderen Regionen aufzunehmen.
- Der Ausstieg aus dem Arbeitsleben: Die bewusste Entscheidung, vorzeitig in den Ruhestand zu gehen und damit auf Einkommen und ggf. Rentenansprüche zu verzichten.
Gibt es den oder die typische(n) Downshifter(in)? #
Bernd Slaghuis: Typisch für Downshifter ist, dass sie stark intrinsisch motiviert sind, die Bedeutung immaterieller Werte erkannt haben und sich vermehrt an diesen orientieren. Ihre Grundbedürfnisse sind in der Regel erfüllt, der Lebensstandard hat oftmals bereits ein hohes Niveau erreicht. Die meisten Angestellten mit dem Wunsch, im Beruf kürzer zu treten, die zu mir in die Coaching-Praxis kommen, sind zwischen 40 und 50 Jahren alt und blicken auf eine von außen betrachtet gute Karriereentwicklung zurück.
„Viele sehnen sich nach mehr Zeit für die Familie und Ziele außerhalb des Berufs.“
Viele sind Führungskräfte und in oberen Management-Ebenen angekommen. Ihre Wertevorstellungen haben sich in den letzten Jahren verändert. Karriere, Geld, Status und Macht spielen für sie heute keine große Rolle mehr. Sie sehnen sich stattdessen nach mehr Zeit für die eigene Familie und für andere Ziele außerhalb des Berufs, die sie in ihrem Leben gerne noch realisieren möchten.
Was sind gängige/häufige Auslöser dafür, dass man „einen Gang runterschalten“ möchte? #
Bernd Slaghuis: Es gibt aus meiner Perspektive zwei Arten von Auslösern:
- Viele Downshifter werden durch eindeutige Signale ihres Körpers darauf aufmerksam, dass sie etwas verändern müssen. Überforderung, andauernder Stress und mangelnde Motivation für die aktuellen Aufgaben führen zu Unzufriedenheit und psychischem Druck. Diese Menschen stellen sich die Frage „Kann und möchte ich das, was ich heute mache, die nächsten Jahre so weiter tun und könnte ich auch auf einen Teil des Einkommens verzichten?“
- Ein anderer Auslöser kann mit einer Veränderung der Lebensumstände zusammenhängen: Eine Veränderung in der Partnerschaft, die Geburt eines Kindes oder auch der Tod der Eltern oder Angehöriger. Viele Downshifter kommen im Rahmen des Selbstreflexionsprozesses zu der Erkenntnis, dass es auch Ziele außerhalb des Berufs gibt, die ihnen sehr wichtig sind und die in der aktuellen Situation zu kurz kommen oder gar nicht erreicht werden können.
Kann Downshifting auch Risiken bergen? #
Bernd Slaghuis: Ja, ich warne vor „Schnellschüssen“! Wer eine Beförderung ablehnt, weil die letzte Woche so anstrengend war oder sogar einen Schritt zurück geht, weil die neue Führungsrolle doch scheinbar zu verantwortungsvoll ist, der handelt aus einem spontanen Impuls heraus. Beim Downshifting geht es um das eigene Bewusstsein über das, was im Beruf und auch im eigenen Leben heute und in den nächsten Jahren besonders wichtig ist und welche Ziele hiermit verbunden sind. Downshifting sollte nur auf Basis einer intensiven Beschäftigung mit den eigenen aktuellen Themen und der Besinnung auf die persönlichen Werte und Ziele erfolgen. Dieser Reflexionsprozess ermöglicht nicht nur eine gute eigene Perspektive auf die gewünschte Veränderung, sondern ist auch die notwendige Grundlage, die Entscheidung nach außen glaubhaft zu kommunizieren – spätestens als Bewerbungsstrategie bei einem neuen Arbeitgeber. Nur wer diesen Schritt selbst nicht mehr als Rückschritt und Scheitern, sondern als Chance zur Entwicklung und Erreichung der individuellen Ziele betrachtet, wird mit dieser Entscheidung auf Dauer zu einem glücklicheren und erfüllterem Leben und Arbeiten finden.
Zur Person #
Dr. Bernd Slaghuis ist Karriere-Coach und Experte für berufliche Neuorientierung. Er betreibt eine eigene Coaching-Praxis in Köln. Als Führungskräfte- und Team-Entwickler ist er für Unternehmen tätig. Er hält Vorträge, gibt Seminare und moderiert Workshops.
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