Wenn die Redeangst zum Karrierekiller wird
Ein Raum voller Menschen, ein Podium, auf dem du stehst, um einen Vortrag zu halten – fühlt sich das gut an oder macht es dir Angst? Knapp der Hälfte aller Menschen hat Lampenfieber oder gar Redeangst. Wie kann ein Weg von der Vortragsangst zum Redespaß aussehen?
In den meisten Berufen sind die folgenden Fähigkeiten entscheidend:
- Sachverhalte, Ideen, Probleme sowie Lösungen verständlich erklären
- Andere von den eigenen Ideen zu überzeugen
- Resultate, Ziele, Vorgangsweisen präsentieren
- ...
All diese Fähigkeiten nützen nicht viel, wenn die Person unter Redeangst leidet. Jedoch muss Redeangst nicht eine aussichtslos sein. Im Gegenteil! Angst kann dabei helfen, sich zu konzentrieren, sich zu verbessern und dazuzulernen. Sie macht uns auch auf einen Missstand aufmerksam: Da ist etwas, was mich überfordert, daran sollte ich arbeiten! Wird die Angst aber zu groß, kann sie auch zum Karrierekiller werden – egal, ob beim Vorstellungsgespräch, bei Vorträgen oder auch privat vor einer größeren Runde von Menschen. Wir haben mit dem Coach und Psychologischen Berater Uwe Hampel gesprochen, womit wir es da genau zu tun haben und was man dagegen tun kann.
Unterschied zwischen Lampenfieber und Rede- oder Auftrittsangst #
Gibt es einen Unterschied zwischen Lampenfieber und Rede- oder Auftrittsangst? Was ist eigentlich ein „normaler“ Grad an Nervosität und gibt es auch positive Seiten am Lampenfieber?
Hampel: Lampenfieber und Auftrittsangst sind eigentlich das Gleiche. Meist sprechen Künstler*innen von Lampenfieber: Von einer Aufregung, also „Fieber“ vor einem Auftritt im Scheinwerferlicht. (Da haben wir die Lampe.) Die Redeangst gehört zu den sozialen Ängsten. Schätzungsweise 40 Prozent der Menschen sollen Angst, ja sogar Panik haben, vor einer Gruppe zu stehen und zu sprechen.
Ein normaler Grad an Nervosität lässt sich gut aushalten. Da es eher ein subjektives Empfinden ist und die Menschen unterschiedlich damit umgehen, lässt sich die Frage „Was ist normal?“ nicht konkret beantworten. Wenn aber die Lebensqualität unter der Anspannung leidet, sollte man etwas dagegen unternehmen. Es kann dich aber auch motivieren, sich besser vorzubereiten. Ich sage: Wenn es dich bei der Vorbereitung unterstützt, ist es positiv. Unterstützt es dich nicht, dann ist es nicht positiv.
Was war die schlimmste Erfahrung von Redeangst, die dir eine Klient*in jemals berichtet hat?
Hampel: Da fällt mir die Geschichte einer Studentin ein. Als sie als vierjähriges Kind im Kindergarten war, machten sich drei junge Männer, die dort ihren Zivildienst ableisteten, über ihren Dialekt lustig. Sie erinnerte sich an eine Situation, in der die drei Zivis am Tisch vor ihr saßen, sie ansahen und sie lachend baten, zu reden. Das kleine Mädchen fand das natürlich überhaupt nicht lustig, sondern hatte in diesem Augenblick Angst etwas zu sagen. Dieses Erlebnis „installierte“ in ihrem Gehirn ein Muster, das bis heute funktioniert. Wenn sie vor nicht vertrauten Menschen steht, die sie ansehen, weil sie eine Präsentation halten soll, hat sie das gleiche Gefühl (Angst, ausgelacht zu werden), wie in der Situation im Kindergarten.
Gründe #
Warum haben manche Menschen Schwierigkeiten, sich vor einer Gruppe zu präsentieren?
Hampel: Diese Frage kann man pauschal nicht beantworten. Jeder Mensch ist ein Individuum und entsprechend sind die Prozesse und Muster, die Menschen in ihrer Lebensqualität einschränken, individuell. Generalisierungen gibt es deshalb nicht. Jedenfalls nicht in der Schule, die ich vertrete. Ich lehne es ab, Menschen in Schubladen zu stecken, also zu generalisieren. Das oben genannte Beispiel macht deutlich, dass die Ursachen für die Schwierigkeiten sehr individuell sind. Und bei jedem Menschen individuell herausgearbeitet werden müssen.
Wie erkenne ich, was meine Angst auslöst?
Hampel: Als dein Coach würde ich dich danach fragen. Wenn wir Menschen unterstützen wollen, ihre Schwierigkeiten zu überwinden, müssen wir die unbewussten Prozesse herausarbeiten, die ihre Schwierigkeiten am Laufen halten. Und das macht man, indem man die Expert*in für die Schwierigkeit befragt. Und die Expert*in ist die Klient*in, nicht die Coach*in. Der größte Fehler im Coaching ist, dass die Berater*in glaubt, sie wisse, was in dem Kopf ihrer Klient*innen vorgeht. Wenn ich das behaupten würde, würde ich halluzinieren.
Tipps zur Bekämpfung #
Was sind Mittel und Methoden, um dagegen anzukämpfen?
Hampel: Wenn du kämpfen willst, hast du bereits verloren. Und Tipps gibt es nicht wirklich. Der Studentin in unserem Beispiel oben haben die vielen Tipps aus den Rhetorik-Seminaren, die sie besuchte, eher geschadet, als dass sie ihr geholfen haben. Tipps sind etwas Statisches, die Menschen nicht unterstützen können, einschränkende Prozesse aufzulösen. Es ist eher so, dass Menschen, wenn sie Tipps ausprobieren, die dann nicht funktionieren, sich noch schlechter fühlen.
Deshalb ist mein Tipp Nr. 1: Hände weg von Tipps. Mein Tipp Nr. 2: Wenn dir jemand Tipps geben will, lass auch die Hände vom Expert*in.
„Tipp Nr. 1: Hände weg von Tipps!“
Es ist ein Phänomen, dass Menschen dazu tendieren, sich auf das zu fokussieren, was offensichtlich nicht zu funktionieren scheint. Sie denken darüber nach, was alles passieren wird oder passieren könnte. Sie machen sich Bilder von bestimmten Situationen oder produzieren Filmszenen von den Schwierigkeiten, mit denen sie sich befassen. Und meistens machen sie das alles sogar sehr gut. Und sie machen das immer wieder und immer wieder und immer wieder, so oft, bis sie es nahezu perfekt beherrschen. Sie werden sozusagen wahre Meister*innen in den Dingen, die nicht funktionieren.
Und die Menschen befassen sich mit Symptomen. Es werden sogar ganze Listen von Symptomen angefertigt, die dann auch noch im Detail beschrieben werden. Damit die Betroffenen sich die Möglichkeit schaffen, ihre Schwierigkeiten an den Symptomen festmachen zu können. Was sich Menschen eher seltener fragen, ist:
„Was genau müsste anders sein, damit es funktioniert?“
Kann es helfen, immer wieder vor einer großen Gruppe zu sprechen, um das Lampenfieber zu verringern?
Hampel: Es kann auf jeden Fall helfen. Zu beachten ist aber, dass man sich um die unbewussten Prozesse kümmern muss. Wie in dem Beispiel oben. Mit Rhetorik-Kursen, Atemtechnik oder Autogenem Training kommt man da nicht weiter. Das ist nur Schminke und hilft den Betroffenen nicht wirklich. Wenn der Motor deines Autos nicht rund läuft, ist eine neue Lackierung der Karosserie weniger nützlich, nicht wahr? Übrigens hatte die Studentin aus dem Beispiel oben während ihres Studiums unzählige Rhetorik-Seminare besucht. Genutzt haben ihr die Kurse allerdings nichts. Ein prozessorientiertes Coaching kann dagegen sehr wohl Abhilfe schaffen.
Gibt es einen Weg von der Redeangst zur Freude vor öffentlichen Reden?
Hampel: Ja, den gibt es. Wenn jemand Spaß an öffentlichen Reden haben möchte und das zu ihrer*seiner Persönlichkeit passt, gibt es diesen Weg. Sie*er muss ihn allerdings zunächst finden. Und hier habe ich wirklich einen Tipp:
„Such dir jemanden, der dir den Weg zeigt.“
Zur Person: Uwe Hampel
Uwe Hampel, Jahrgang 1957, war Unternehmer mit einem Fitness- und Gesundheitsklub. Seit 2008 arbeitet er als Coach und unterstützt seine Klienten bei Veränderungsprozessen und persönlichem Wachstum in vielen Lebensbereichen und bei beruflichen Herausforderungen. Er ist Geprüfter Psychologischer Berater (VFP) und Anwärter zum Heilpraktiker auf dem Gebiet der Psychotherapie.
Redaktion
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