Gehaltsverhandlung nicht nötig: Wenn Mitarbeitende ihre Gehaltserhöhungen selbst entscheiden
Über Gehaltserhöhungen zu entscheiden ist nicht immer leicht. Bei der Managementberatung borisgloger consulting legt die „Gehaltsgilde“ einmal im Jahr selbst fest, wer mehr bekommt und wer nicht. Das Ziel: größtmögliche Gerechtigkeit, denn oft kann die Führungskraft gar nicht alle Mitarbeiter*innen richtig beurteilen. Die Gehaltsgilde besteht daher aus Mitarbeitenden aller Abteilungen und Ebenen und entscheidet nach klaren Richtlinien. COO Damla Nalbant erzählt uns, wie das Ganze funktioniert.
Gehaltserhöhungen werden gemeinsam entschieden #
Frau Nalbant, was ist die Gehaltsgilde?
Damla Nalbant: Die Gehaltsgilde wird aus dem Kreis der Beschäftigten per Los gewählt, besteht also aus Mitarbeitenden der unterschiedlichen Abteilungen und Ebenen. Außerdem ist aus jedem unserer agilen Teams jeweils der Product Owner oder der Scrum Master vertreten. Die Gilde setzt sich einmal im Jahr zusammen und bewertet jede einzelne Mitarbeiter*in nach einem bestimmten Schema. Davor kann jeder eine Selbsteinschätzung vornehmen, sofern er das möchte.
Im ersten Jahr gaben die Mitarbeiter*innen zusätzlich ihren Gehaltswunsch an, worauf wir im zweiten Durchlauf allerdings verzichtet haben.
Die Selbst- und Fremdeinschätzungen der Kolleg*innen wichen teilweise zu sehr ab, sodass die Wünsche in diesen Fällen nicht erfüllt werden konnten. Um Enttäuschungen zu vermeiden, ist dieser Schritt deshalb weggefallen.
Wie funktioniert das im Detail?
Damla Nalbant: Die Gilde nimmt ein Mitarbeiter*innenranking nach Leistung und Wert für das Unternehmen vor, danach kommen Gehaltstöpfe ins Spiel. Die Kolleg*innen mit herausragenden Leistungen kommen in den Topf mit der höchsten Punktzahl, diejenigen, die weniger Leistung erbracht haben, in einen mit einer niedrigeren Punktzahl. Auf die Töpfe wird dann das zur Verfügung stehende Gesamtbudget für Gehaltserhöhungen prozentuell verteilt.
Wie werden die Mitarbeitenden bewertet?
Damla Nalbant: Wir teilen nach Kompetenz und Einsatz ein: Performer, High Performer und Improvable. Das jeweilige Stellen- und Kompetenzprofil ist dabei der Dreh- und Angelpunkt. Bei Unklarheiten sehen wir uns an, wie gut die Mitarbeiter*in unsere Werte lebt, wie gut der Teamfit ist. Eine Kollegin wollte beispielsweise zunächst keinen Aufstieg ins nächsthöhere Level. Wir haben in der Gehaltsgilde befunden, dass sie jedoch die Voraussetzungen längst erfüllt und nach den Kriterien den Levelsprung schon gemacht hat. Nur eben noch nicht auf dem Papier. Deshalb haben wir sie trotzdem hochgestuft. Es wäre unfair gewesen, ihr die Gehaltserhöhung nicht zu gewähren, obwohl sie die entsprechende Leistung erbringt.
Gehaltsverhandlungen sind nicht mehr nötig #
Das bedeutet, es gibt keine persönlichen Gehaltsgespräche mehr?
Damla Nalbant: Die persönliche Gehaltsverhandlung entfällt dadurch, aber es gibt nach wie vor Feedbackgespräche. Unser Ziel ist, diese jedes Quartal zu führen, um nachzuvollziehen, ob Verbesserungsvorschläge fruchtbar waren. Zudem erfahren wir so, wer bei welchen Themen Unterstützung benötigt, und können frühzeitig intervenieren. Das Ergebnis der Feedbackgespräche wird schriftlich festgehalten und hilft uns in der Bewertung natürlich enorm.
Wie wird die Gehaltserhöhung dann kommuniziert?
Damla Nalbant: Am Ende unserer Bewertungen kommunizieren wir an alle Mitarbeitende, wie die Gehaltsgilde gearbeitet hat, wie es ihr dabei ergangen ist und wie viel vom Gehaltstopf insgesamt ausgeschöpft wurde.
Bekommt durch diese Herangehensweise jeder eine Gehaltserhöhung?
Damla Nalbant: Nein, es geht uns um faire Entlohnung. Wer bereits im richtigen Level eingestuft ist, bekommt keine Gehaltserhöhung.
Beweggründe und Problemfelder: ein Fazit zur Gehaltsgilde #
Warum wurde die Gehaltsgilde überhaupt eingeführt?
Damla Nalbant: Unser Geschäftsführer wollte damals keine persönlichen Gehaltsgespräche mehr führen, da er weniger Kontakt zu den einzelnen Mitarbeiter*innen hat als das unmittelbare Team und daher nicht beurteilen kann, wie viel Gehalt gerechtfertigt ist. Er wünschte sich damals einen Prozess, der transparent, fair und nachvollziehbar ist. Wir haben dann 2017 mit Freiwilligen gestartet, die sich mit dem Thema beschäftigen wollten. Im nächsten Schritt entstand gemeinsam mit der HR dieser Prozess.
Welche Probleme sind im Laufe der Zeit aufgetaucht?
Damla Nalbant: Ein Problem ist die Fremd- und Selbstwahrnehmung. Diesbezüglich haben wir viele Rückmeldungen von unseren Mitarbeitenden bekommen. Denn manchmal schätzen sich die Personen höher ein und das führt dann zu Frust. Wir fordern unsere Mitarbeiter*innen daher dazu auf, sich regelmäßig Feedback von unterschiedlichen Kolleg*innen zu holen, damit das nicht passiert. Und wir bitten sie auch, genau in ihre Stellen- und Kompetenzprofile zu sehen und zu überlegen, wo sie sich besonders einbringen.
Ein weiteres Problem war die Beurteilung der Gehaltsgildenmitglieder. Das war beim ersten Mal etwas unangenehm, daher haben wir uns darauf geeinigt, dass derjenige, der gerade bewertet wird, aus dem Raum geht. Die anderen Mitarbeitenden sind ja dabei auch nicht anwesend. Außerdem haben wir uns auch ab und zu von den Soft Skills etwas „verweichlichen“ lassen. Wenn jemand sehr kommunikativ und zuvorkommend ist und im Team oder bei den Kund*innen sehr beliebt, dann ist das zwar sehr wichtig, aber letztlich nicht ausschlaggebend für eine Gehaltserhöhung. Deshalb halten wir uns in diesem Jahr bei unserem zweiten Durchgang der Gehaltsgilde strikter an die Stellen- und Kompetenzprofile.
Im ersten Jahr der Gehaltsgilde war es zudem schwierig, gleich viele Männer und Frauen zu finden, die mitmachen wollten. Wir wollten da Ausgewogenheit, aber hatten am Ende viel mehr Männer als Frauen in der Auslosung. Nach einem neuerlichen Aufruf konnten wir tatsächlich eine Quote von 50:50 erreichen. Wir haben im Zuge der Umstellung auch mit einer Equal-Pay-Initiative in Österreich zusammengearbeitet, die geprüft hat, wie hoch bei uns die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen sind. Das anzugleichen war der erste Schritt auf dem Weg zur Gehaltsgilde, obwohl tatsächlich nur minimale Änderungen notwendig waren.
Über Damla Nalbant
Damla Nalbant ist Chief Operating Officer der borisgloger consulting GmbH mit Sitz in Baden-Baden und Wien. Die Arbeits- und Organisationspsychologin ist Spezialistin für agile Großprojekte und hat jahrelange Erfahrung im Coaching von ScrumMastern, Product Ownern und des Managements in agilen Transitionen.
Über borisgloger consulting
Die borisgloger consulting GmbH gehört in der DACH-Region zu den führenden Managementberatungen im Bereich des agilen Change-Managements und der agilen Produktentwicklung. Auf Basis von Frameworks wie Scrum, Kanban und Design Thinking unterstützt das Consulting-Unternehmen seine Kunden bei Innovations- und Transformationsprozessen. Außerdem bietet borisgloger consulting Training und Consulting für Fach- und Führungskräfte an. Das 2008 gegründete Unternehmen beschäftigt derzeit rund 55 Mitarbeiter*innen.
Du hast noch offene Fragen rund um das Thema Gehalt? #
Im folgenden Sammelartikel findest unterschiedliche Aspekte rund um die Gehaltsverhandlung:
- im Bewerbungsprozess
- im Beruf: Tipps zur Vorbereitung, Recherche und Verhandlungstaktik, Gründe und Totschlagargumente
- Gehaltsguide zum Download
- zusätzliches: die Psychologie hinter Gehaltsverhandlungen sowie alles rund um Gehalt & Inflation
Redaktion
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