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Mitarbeiter mit Behinderung

Mitarbeiter*innen mit Behinderung: Ein unterschätztes Potenzial

Arbeitsmarkt Aktualisiert am: 24. März 2023 11 Min.

Fast 20 Prozent der österreichischen Bevölkerung haben eine Behinderung. Kaum zu glauben, denn im Arbeitsleben sieht man Menschen mit Behinderung selten. Das liegt einerseits an sogenannten „unsichtbaren Behinderungen“ und andererseits an geringen Beschäftigungszahlen. Wir haben einen Experten befragt, warum Unternehmen das Potenzial von Menschen mit Behinderung nützen sollten und wie Betroffene mit ihrer Behinderung beim Bewerben umgehen können.

Denkt man an Menschen mit Behinderung, so hat man meist das Bild vom Rollstuhlfahrer*innen oder von Patienten in Pflegeheimen im Kopf. An Berufstätige denkt man leider kaum – trotz gesetzlich vorgeschriebener Inklusionspflicht. Warum Unternehmen dennoch zu wenige Mitarbeiter*innen mit Behinderung beschäftigen und was es braucht, damit beide Parteien zueinander finden, erklärt uns Wolfgang Kowatsch von der Unternehmensberatung myAbility. Als „Social Business“ vermittelt myAbility, wie man Menschen mit Behinderung als Kund*innen und Mitarbeitende gewinnt und welche Vorteile daraus entstehen.

Menschen mit Behinderung einstellen: Eine Chance für Unternehmen #

Herr Kowatsch, mit welchen Anliegen kommen Unternehmen zu Ihnen?

Wolfgang Kowatsch: Am häufigsten treten Unternehmen an uns heran, wenn sie mehr Mitarbeitende mit Behinderung anstellen möchten, aber nicht wissen, wie. Oder sie haben schon Versuche unternommen, aber es meldet sich niemand auf die Ausschreibungen. Das Grundproblem ist dabei oft, dass das Thema nicht als relevant gesehen wird. Viele sagen mir: „Ich seh keine Bewerbende zum Beispiel mit Rollstuhl, darum ist das für uns irrelevant.“ Dabei sind es statistisch nachweislich 15 Prozent der Bewerbungen.

Was sind die Gründe, die Menschen mit Behinderung für Arbeitgeber interessant machen?

Kowatsch: Einerseits ist es eine diverse Workforce – viele Unternehmen erkennen, dass es in Zeiten von Fachkräftemangel sinnvoll ist, mehrere verschiedene Talentpools „anzuzapfen“ und dadurch gut ausgebildete Menschen zu erreichen, an die man bisher vielleicht nicht gedacht hat. Man muss oder will sich im Unternehmen also diverser und produktiver aufstellen, ob aus Fachkräftemangel oder im Zuge einer Diversity Strategie oder Employer-Branding-Maßnahme. Andererseits gibt es natürlich finanzielle Anreize, Menschen mit Behinderung anzustellen. Zum Beispiel die Ausgleichstaxe: Pro 25 Mitarbeiter*innen müssten Unternehmen ja eine behinderte Arbeitnehmer*in einstellen. Tun sie das nicht, wird diese Taxe fällig.

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Was ist die Ausgleichstaxe?

Die sogenannte „Ausgleichstaxe“ beträgt je nach Größe des Betriebs zwischen 292 und 435 Euro pro Monat und nicht besetzter Stelle. (Stand 2023, Quelle: Sozialministerium)

Welche Ängste oder Vorurteile halten Arbeitgeber davon ab, Menschen mit Behinderung einzustellen?

Kowatsch: Natürlich erfordert die Einstellung von Menschen mit Behinderung mitunter auch zusätzliche Maßnahmen, wie die Anpassung des Arbeitsplatzes oder flexible Arbeitszeiten. Aber das betrifft eigentlich alle Beschäftigte. Und es gibt auch viele Mythen, die man leicht aufklären kann.

„Nur ein Bruchteil der Menschen mit Behinderung sind Rollstuhlfahrer*innen – ich muss also nicht automatisch Umbaumaßnahmen durchführen, wenn ich mich für behinderte Bewerber*innen öffne.“

Kowatsch: Viele Arbeitgeber fürchten zum Beispiel geringere Leistungsfähigkeit oder lange Krankenstände. Es gibt genug Statistiken, die diese Angst widerlegen. Im Gegenteil: Wir nehmen sogar höhere Einsatzbereitschaft und Loyalität wahr, eben weil eine gewisse Dankbarkeit da ist oder man sich besonders beweisen will. Aber verstehen Sie mich nicht falsch: Nur aus „Mitleid“ sollte man niemanden einstellen oder im Betrieb halten. Es ist wichtig, zu erkennen, dass Menschen mit Behinderung Arbeitskräfte mit großem Potenzial sind, die auch entsprechend eingesetzt werden wollen. Wie jeder andere auch.

„Die werde ich nicht mehr los – der Kündigungsschutz wird oft missverstanden.“

Kowatsch: Es stimmt auch, dass bei Menschen mit Behinderung ein besonderer Kündigungsschutz gilt, aber erst ab vier Jahren. Dieser Zeitraum sollte für jeden Arbeitgeber ausreichend sein, um festzustellen, ob die Zusammenarbeit gut funktioniert.

„Menschen mit Behinderung“: die Definition #

Ab wann gilt man eigentlich als „behindert“?

Kowatsch: Dazu gilt in Österreich die Definition der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen. Sobald Menschen aufgrund ihrer Verfassung langfristig vom alterstypischen Zustand abweichen und daher nicht am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können, gelten sie als „behindert“.

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Wer gilt als behindert?

Dazu gehören Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. Definition der Behindertenrechtskonvention

Kowatsch: Man denkt bei Behinderten wahrscheinlich zuerst an Rollstuhlfahrer*innen oder Menschen mit Down-Syndrom, aber das ist innerhalb der Gruppe von Menschen mit Behinderung nur ein kleiner Teil. Man geht sogar davon aus, dass 80 bis 90 Prozent der Behinderungen auf den ersten Blick nicht erkennbar, quasi unsichtbar sind.

Was sind „unsichtbare“ Behinderungen?

Kowatsch: Chronische Erkrankungen, Seh- und Hörbehinderungen, die man nicht sofort sieht, Mobilitätseinschränkungen, die nicht unbedingt einen Rollstuhl verlangen, längerfristige psychische Erkrankungen wie Burnout. Und da wird’s dann spannend für die Arbeitgeber: Was kann ich tun, damit diese Menschen in meinem Unternehmen arbeiten können und die idealen Voraussetzungen vorfinden?“

Bewerber*innen mit Behinderung gewinnen: Recruiting-Maßnahmen #

Welche Maßnahmen können Arbeitgeber setzen, um mehr Menschen mit Behinderung anzustellen?

Kowatsch: Am wichtigsten sind Offenheit und Kompetenz. Wir beobachten häufig, dass Unternehmen motiviert sind, etwas in Richtung Inklusion zu unternehmen, aus den vorhin genannten unterschiedlichen Gründen. Doch dann meldet sich oft niemand und es entsteht Frustration. Das liegt meistens daran, dass man das Vorhaben im Vorfeld nicht zu Ende gedacht hat. Dabei sollte man sich ein paar simple Fragen stellen:

  • Wie erreiche ich die Menschen mit Behinderung, die die besten Qualifikationen für mein Unternehmen haben?
  • Wie kann ich authentisch vermitteln, dass mein Unternehmen offen für Mitarbeitende mit Behinderungen ist?
  • Wie muss ich meinen Recruitingprozess gestalten, damit niemand ausgeschlossen wird?

Stichwort Recruitingprozess: Was sind die wichtigsten Schritte gegen Diskriminierung?
Kowatsch: Das beginnt eigentlich bei den Inseraten: Kann jeder meine Stellenausschreibung lesen, auch wenn er beispielsweise nicht gut sieht? Man sollte schon bei der Website darauf achten, dass sie barrierefrei ist. Und was den gesamten Recruitingprozess betrifft, sollte man sich immer fragen, ob jemand mit Seh- oder Hörbehinderung oder einer Mobilitätseinschränkung überhaupt jeden Schritt durchlaufen kann. Gibt es zum Beispiel Alternativen zum Assessment Center? Für Menschen mit Autismus beispielsweise sind sie ungeeignet. Am besten geht man als Arbeitgeber einmal seinen gesamten Recruitingprozess durch und überlegt, wer mit welcher Phase ein Problem haben könnte. Da wird dann angepasst.

Bewerbende mit Beeinträchtigung einstellen: Vorbereitung und Umgang #

Was sind die ersten Schritte, um Menschen mit Behinderung aufnehmen zu können?

Kowatsch: Wir empfehlen immer, sich einen guten Plan zurechtzulegen, wie man die Inklusion von behinderten Mitarbeiter*innen angehen kann. „In drei Jahren möchten wir so und so viele Menschen mit Behinderung beschäftigen. Was ist dazu nötig?“ Solche langfristigen Strategien sind am erfolgreichsten, weil sich die Teams damit langsam für die Idee öffnen können.

„Es reicht nicht, einfach eine Rampe zu installieren, sondern das geht tief in die Unternehmenskultur hinein.“

Kowatsch: „Unternehmenskultur“ klingt groß und schreckt vielleicht manche ab. In Wahrheit sind es aber einfach nur viele kleine Schritte, die über einen längeren Zeitraum gesetzt werden und die zur Entwicklung einer offenen Unternehmenskultur beitragen. Und das strahlt positiv auf alle Beschäftigte ab: Sie wissen dann, wenn ihnen einmal etwas passieren sollte, ein Unfall oder Burn-out, hat mein Unternehmen Lösungen parat und das Team steht zu mir. Das macht Mitarbeiter*innen natürlich loyaler.

Wie kommuniziere ich die Einstellung von eine neue Mitarbeiter*in mit Behinderung im Team?

Kowatsch: In vielen Fällen muss man wahrscheinlich gar nichts anders machen als bei neuen Mitarbeitenden ohne Behinderung. In einigen Fällen sollte man frühzeitig sehr offen mit dem Team kommunizieren. Auf jeden Fall sollte man überlegen, ob Aufgaben neu verteilt werden müssen und wie man es schafft, dass alle gut zusammenarbeiten können. Eine gute Führungskraft wird das aber richtig machen, weil sie sich im Vorfeld informiert.

Nicht jeder wird mit Behinderung geboren: Gibt es auch zielführende Strategien, wenn Beschäftigte eine Behinderung erlangen?

Kowatsch: Ja, die gibt es. Man kann vorab Prozesse vorbereiten, die in solchen Fällen in Kraft treten, damit die betroffenen Personen wissen, was zu tun ist. In England haben wir Unternehmen kennengelernt, die Servicestellen anbieten, an die man sich wenden kann, wenn man nicht mehr so gut arbeiten kann. Sei es, weil man eine ernsthafte Sehschwäche entwickelt oder sich eine chronische Erkrankung ankündigt.

„Arbeitnehmer*innen können sich schon früh an diese Stellen wenden und es werden Maßnahmen ergriffen, damit es nicht zur Arbeitsunfähigkeit kommt.“

Kowatsch: Ein größerer Bildschirm, oder andere Arbeitszeit. Damit fördert man einen sehr offenen Umgang mit Veränderungen oder Schwäche und es wird nichts überspielt oder verheimlicht, bis es zu spät ist. Das führt zu mehr Produktivität und spart hohe Kosten.

Bewerbungs-Tipps für Menschen mit Behinderung: #

Wie können Betroffene mit ihrer Behinderung beim Bewerben umgehen?

Kowatsch: Wann sage ich es oder wie kann ich es einsetzen? Wie stehe ich zu meiner eigenen Behinderung?“ Das sind immer wichtige Themen bei unserem Disability-Talent-Programm, wo wir Studierende mit Behinderung mit Arbeitgebern zusammenbringen. Dazu gibt es zu sagen: Es gibt keinen allgemein perfekten Zeitpunkt, das Thema anzusprechen. Selten wird das schon in der Bewerbung erwähnt, weil die Sorge zu groß ist, dass die Bewerbung dadurch anders behandelt oder sogar von vornherein aussortiert wird;

„Ein guter Zeitpunkt ist aber sicher das Bewerbungsgespräch, um die Behinderung anzusprechen. Und das sollte auch von Unternehmen gefördert werden.“

Kowatsch: Es hilft den Betroffenen ungemein, wenn man bereits in der Stellenausschreibung kommuniziert: Bewerbungen von Menschen mit Behinderung ausdrücklich erwünscht! Dann weiß die Bewerber*in, okay, spätestens beim Bewerbungsgespräch sollte ich über meine Behinderung sprechen, weil das Unternehmen das ja wünscht.

Womit können Menschen mit Behinderungen im Bewerbungsgespräch punkten?

Kowatsch: Statt über das zu sprechen, was man nicht kann und wo man eingeschränkt ist, sollte man betonen, was man besonders gut kann und wo, vielleicht gerade wegen der Behinderung, die Stärken liegen. Beispiele sind sehr gute Selbstorganisation, Hartnäckigkeit, großes Durchsetzungsvermögen oder auch besonders ausgeprägte sensorische Fähigkeiten. Die eigenen Vorzüge zu betonen, stärkt dabei nicht nur das eigene Selbstbewusstsein, sondern hilft, im Bewerbungsprozess zu überzeugen.

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Über die Person:

Wolfgang Kowatsch ist Managing Partner und Co-Founder von myAbility und entwickelt gemeinsam mit Unternehmen Lösungen, um mehr Beschäftigte mit Behinderung zu gewinnen.

Bildnachweis: wavebreakmedia/shutterstock; AkosBurg/myAbility

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