New Work im Handwerksbetrieb: Wie ist das möglich?
New Work bedeutet unter anderem Flexibilität und Selbstorganisation - geht das in traditionellen Handwerksbetrieben überhaupt? Wir haben mit zwei Personen gesprochen, die diesen vermeintlichen Widerspruch auflösen wollen. Warum technische Produktionsbetriebe die eigentlichen Pioniere von New Work sind und warum es um mehr geht als um Homeoffice und Gleitzeit:
New Work - das ist was für Start-ups und hippe IT-Buden mit ihren 30-Stunden-Wochen und Homeoffice ... Oder etwa nicht? „Ganz und gar nicht!“, meinen Holztechniker Burkhard List und Tischlerin Michaela List-Ebner, kurz b&mi. Dass sich klassisches Handwerk und moderne Arbeitsweisen wunderbar kombinieren lassen, wissen sie aus eigener Erfahrung.
New Work in klassischen Handwerksbetrieben #
Stellt euch doch bitte kurz vor: Wer seid ihr und was macht ihr?
Michaela: Wir sind b&mi. Das b steht für Burkhard und das mi für Michaela. Wir haben gemeinsam ein Unternehmen geleitet und uns dann selbstständig in der „Unternehmensberatung“ gemacht. Wir sehen uns allerdings nicht als Berater, sondern wir leben und arbeiten mit den Menschen und Unternehmen mit. Wir sind nicht nur einmal vor Ort und dann wars das. Unsere Hauptkunden begleiten wir schon seit mehr als drei Jahren. Das bestätigt uns in unserer Arbeit und Selbstwirksamkeit – und darum geht’s bei uns letztlich.
„Jede Weiterentwicklung führt zu neuem Denken.“
Jede Weiterentwicklung führt zu neuem Denken und das haben diese Unternehmen in der Regel schon oft durchgeführt. Homeoffice, was oftmals mit New Work assoziiert wird, ist in handwerklichen und technischen Produktionsbetrieben eher nicht möglich. Unter New Work versteht man in diesen Branchen einfach etwas anderes.
Selbstorganisation ist in jeder Branche möglich #
Grundsätzlich geht es in New Work darum, Arbeit selbstbestimmt und an die individuellen Bedürfnisse angepasst zu organisieren. „So zu arbeiten, wie man es wirklich möchte“. New Work mit Homeoffice und Gleitzeit gleichzusetzen ist ja viel zu kurz gegriffen und – wie ihr richtig sagt – in vielen Branchen geht das auch gar nicht. Was ist stattdessen in Produktionsbetrieben möglich?
Michaela: Homeoffice ist nur dann eine New-Work-Erscheinung, wenn ich selbstbestimmt entscheiden kann, dass ich meine Arbeit von zuhause aus erledigen kann. Auf die Selbstbestimmung kommt es an. Die versuchen wir mit unseren Betrieben eben auf andere Bereiche umzulegen. Aber dass sich ein Bäcker nicht aussuchen kann, dass er erst um 10 Uhr zu arbeiten beginnt, ist klar.
„Selbstorganisation bedeutet nicht, dass jede*r macht, was er oder sie will.“
Ein Beispiel: Wir arbeiten aktuell mit einem internationalen Tischlereibetrieb zusammen, der vor drei Jahren aus einem Zusammenschluss von drei kleinen, sehr unterschiedlichen Betrieben entstanden ist. Von sehr hipp bis sehr konservativ war da alles dabei. Wir haben erst mal mit ihnen an ihren Werten gearbeitet und festgestellt, Selbstorganisation und Unabhängigkeit ist ihnen sehr wichtig, aber dennoch wollen sie klare Strukturen. So sind wir auf SCRUM gekommen und haben die Produktion mit den Tischlern gemeinsam nach SCRUM organisiert, um ihnen genau das zu ermöglichen. Auch die Mitarbeiter*innen des bisher sehr konservativ geführten Betriebs haben das super angenommen.
Burkhard: Selbstorganisation bedeutet ja nicht, dass jede*r das macht, was er oder sie will. Es gibt sehr wohl Strukturen. Im Grunde gehts darum, die Arbeit, die anfällt, gemeinsam im Team zu priorisieren und zuzuteilen, Ziele zu definieren. Gleichzeitig gibts für jeden Einzelnen einen gewissen Spielraum an Flexibilität, wie diese Ziele erreicht werden können.
Von anschaffenden Chefs und unreifen Angestellten #
Ihr zeigt damit, dass es auch in traditionelleren Unternehmen eben nicht den einen geben muss, der allen anderen anschafft, was sie zu tun haben.
Burkhard: Im genannten Unternehmen hat sich der jüngere, „hippere“ Standort sogar sehr viel schwerer mit der Selbstorganisation getan als der traditionell geprägte. Die Techniker dort haben den Nutzen dieser Organisationsweise für ihre Arbeit sehr schnell erkannt.
Michaela: Außerdem wollten sie die Chance nützen, dass sie jetzt endlich selbst mitbestimmen können, dass sie sich ihre Arbeit selbst einteilen können.
„Wenn ich mein Unternehmen autoritär führe, darf es mich nicht wundern, wenn die Mitarbeiter*innen Schwierigkeiten mit Selbstorganisation haben.“
In diesem Zusammenhang wird oft von einer gewissen Reife der Mitarbeiter*innen gesprochen – manche wären schlicht zu unreif, um sich selbst organisieren zu können.
Michaela: Wenn ich mein Unternehmen autoritär führe, so nach dem Motto: „Was ich sage, ist Gesetz!“, darf es mich nicht wundern, wenn die Mitarbeiter*innen mit Selbstorganisation Schwierigkeiten haben. Weil sie es nicht gewöhnt sind, es zu tun. Nicht, weil sie es nicht können. Da braucht es dann jemanden, der ihnen dabei hilft, über die eigene Tätigkeit hinauszublicken, zu hinterfragen und ohne konkrete Anweisung zu handeln. Von heute auf morgen geht das nicht.
Selbstorganisation in Handwerksbetrieben muss gut kommuniziert werden #
Mit welchen Schwierigkeiten seid ihr dabei am häufigsten konfrontiert?
Michaela: Es geht großteils um Kommunikation. Gelernte Muster sind sehr schwer loszuwerden. Häufig hören wir Dinge wie „Das darf ich doch nicht!“ oder „So etwas darf ich meinen Kolleg*innen ja gar nicht sagen.“ Wir müssen den Menschen dann erst mal beibringen, dass sie Probleme ansprechen müssen, dass sie über Unzufriedenheiten reden müssen - nicht nur untereinander, sondern vor allem mit den Führungskräften.
Wie fängt ein Prozess zu mehr Selbstorganisation an?
Burkhard: Meistens nicht damit, dass man mehr Selbstorganisation will. Die Unternehmen kommen im Normalfall nicht zu uns und sagen: Wir wollen selbstorganisiert arbeiten! – Viel häufiger ist das Problem, dass zum Beispiel die Qualität der Arbeit nicht mehr stimmt und die Unternehmen lernen wollen, besser zusammenzuarbeiten. Das war auch im Beispiel der Tischlerei so. Und dann gibt es erst mal sehr viele Gespräche, in denen wir Fragen stellen und zuhören, um herauszufinden, was alle Beteiligten wollen. Wir bieten dann Vorschläge, wie man das erreichen kann. Also das eigentliche Problem verbirgt sich oft hinter anderen Symptomen.
„Das eigentliche Problem verbirgt sich oft hinter anderen Symptomen.“
„Will ich Arbeitnehmer*innen oder Mitarbeitende?“
Burkhard: Hintergründe zu verstehen und den Sinn von Dingen zu erkennen, ist immer die Grundvoraussetzung dafür, dass New Work funktioniert. Ich muss verstehen,was New Work leisten kann – auch in einem technischen Beruf – und darf nicht die Erwartungshaltung haben, jetzt Homeoffice machen zu können. Darum ist unser Ansatz personenzentriert: Was brauchen, was wünschen sich die Menschen im Unternehmen? Das müssen sich auch Unternehmen überlegen: Will ich Arbeitnehmer*innen, Head-Counts oder Vollzeit-Äquivalente oder möchte ich tatsächlich Mitarbeitende? Dann muss ich auch zulassen können, dass Menschen mitarbeiten und nicht bloß abarbeiten. Das gilt für die Produkte und Prozesse genauso wie für Kultur und Employer Brand.
New Work im Handwerk umfasst auch Employer Branding #
Dazu muss man aber auch den Konnex verstehen zwischen der Qualität der Arbeit und der Unternehmenskultur oder auch den Services und der Employer Brand.
Michaela: Die meisten, speziell größeren, Unternehmen haben schon erkannt, dass Kultur und ehrliches Employer Branding essenziell sind, um gute Mitarbeiter*innen zu bekommen. Beim Employer Branding ist nur wichtig, dass es auch von allen Mitarbeiter*innen mitgetragen wird. Ein Beispiel: Bei einem unserer Kunden wurde von Unternehmensleitung und einer Marketing-Agentur ein tolles Employer-Branding-Konzept entwickelt. Das hat man dann einfach über die gesamte Holding „drübergestülpt“ – ohne ausreichende Erklärung. Eine Tochterfirma konnte sich damit nicht identifizieren – sie konnten mit dem Stil und vor allem mit einem bestimmten Wort nichts anfangen.
„Oft gehts nur ums Gehörtwerden und die richtigen Erklärungen.“
Redaktion
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