New Work in der Praxis – Teil 2: Partizipation und neue Arbeitswelten
Partizipation, also wenn Mitarbeiter die Unternehmensentwicklung aktiv mitbestimmen können, ist ein wesentlicher Faktor der New-Work-Philosophie. Wie man damit ganz neue Arbeitswelten gestalten kann, zeigt die Entstehungsgeschichte der ÖAMTC-Zentrale in Wien-Erdberg.
Gemeinsam geht alles leichter: So könnte die Conclusio dieses Blogartikels lauten. Denn M.O.O.CON, eine Unternehmensberatung für Gebäude, Prozesse und Arbeitswelten, und den ÖAMTC verbindet ein gemeinsames Riesenprojekt: die ÖAMTC-Zentrale Wien-Erdberg. Welche Rolle die Mitarbeiter bei der Entstehung der neuen Arbeitsumgebung innehatten, erzählen uns Herwig Kummer, Leiter der Personalentwicklung beim ÖAMTC, und Caroline Sturm, Consultant für Change Management bei M.O.O.CON.
Neue Arbeitswelten entstehen partizipativ #
Transparenz und Partizipation sind zwei wichtige Schlagwörter, wenn es um den Bau der ÖAMTC-Zentrale geht. Was ist damit gemeint?
Herwig Kummer: Wir sind von fünf verschiedenen Standorten in Wien an einen zentralen übersiedelt und haben die Arbeitsumgebungen viel transparenter, viel offener gemacht – was für viele Führungskräfte nicht gleich auf den ersten Blick eine positive Weiterentwicklung war, um es freundlich auszudrücken. Partizipation und Transparenz waren auch während der Entstehung wichtig: Von den 800 Mitarbeitern, die übersiedelt sind, waren 200 aktiv im Prozess in irgendeiner Rolle beschäftigt. Sie haben zum Beispiel die Layouts der Büroflächen selbstverantwortlich gestaltet.
Caroline Sturm: Unser Kompetenzfeld „Arbeitswelten verändern“ sehen wir stark partizipativ. Eine neue Arbeitswelt ist nicht per se eine hübsche Einrichtung oder ein ABW-Konzept (Anm. d. Red.: Activity Based Working) einzuführen, sondern dazu gehört auch, dass die Mitarbeiter diese neue Arbeitswelt aktiv mitgestalten können. Sich einbringen können und die Möglichkeit bekommen, in diesem Prozess das neue Konzept kennenzulernen und ein Teil davon zu sein. Diese Partizipation gehört dazu, damit die neue Arbeitswelt auch angenommen wird und das Konzept aufgeht. Der ÖAMTC hat vorbildlich bewiesen, wie man das erreichen kann.
Ihr sprecht beide viel vom „Prozess“. Wie kann ich mir den vorstellen? Man sagt den Mitarbeitern ja nicht einfach: „So, jetzt macht euch ein neues Büro!“, oder?
Herwig Kummer: Ja, genau, so einfach ist das nicht. Ganz zu Beginn war es eigentlich nur ein Bauprojekt, und das war schon kompliziert genug. Das Haus hatte verschiedene Ansprüche: Wir haben am Dach unseren Christophorus 9, also ein Heliport, im Untergeschoß haben wir einen der größten Stützpunkte Österreichs mit Werkstattbetrieb, einen Shop, aber auch ein TV-Studio. Dafür haben wir Schnittplätze, wir haben Redaktionsplätze für unser Kundenmagazin, normale Büroarbeitsplätze, ein Call-Center mit über 300 Mitarbeitern, das rund um die Uhr besetzt ist – und das alles in einem Gebäude.
„Wir müssen die Leute einbeziehen, damit wir arbeitsfähig bleiben.“
Dass das alle Anforderungen erfüllt und für alle funktional ist, war schon nicht ganz einfach und darum wollten wir die Leute mit einbeziehen. Wir haben beschlossen, wenn wir wirklich eine fundamentale Änderung haben wollen und wenn die räumliche Planung, wie sie sich die Geschäftsführung vorstellt, auch ins Leben kommen soll und wir einen Nutzen davon haben wollen, dann müssen wir mit den Leuten am Mindset arbeiten. Und das geht nicht in einem oder zwei Workshops, sondern man muss die Zeit bis zum Umzug nützen, damit sie jetzt schon anfangen, neue Dinge auszuprobieren.
New-Work-Maxime: Selbstverantwortung braucht klare Strukturen #
Wie habt ihr eure Mitarbeiter dazu ermutigt, an dem Projekt mitzuarbeiten?
Herwig Kummer: Zunächst haben wir gesagt, wir machen das gemeinsam: Die physische Planung des Gebäudes und die psychische Vorbereitung, wie wir dort leben und arbeiten, machen wir parallel. Und das passiert natürlich nicht von alleine, wie du richtig gesagt hast. Dafür haben wir unseren Mitarbeitern ganz klare Strukturen geschaffen, damit sie selbstverantwortlich arbeiten konnten. Es gab verschiedene Rollen, wie zum Beispiel die Nutzervertreter: jemand aus der Assistenz, aus der Führung, aus dem TV, verschiedenste Bereichsvertreter. Die haben gemeinsam überlegt: Was ist denn fürs Arbeiten hilfreich? Welche Räume brauchen wir? Welche Möbel brauchen wir? Die haben dann so kreativ gearbeitet, dass sie sogar ein neues Möbelstück entworfen haben, das für uns extra gebaut wurde und das sich total bewährt hat.
Wer hat die Rollen bestimmt und die Strukturen festgelegt?
Herwig Kummer: Das haben wir gemeinsam mit M.O.O.CON gemacht und auch mit Brains and Games, einer Organisationsberatung. Ansonsten haben wir sehr viel in unseren internen Teams entwickelt. Wir haben die Rollen vorgeschlagen und uns überlegt, was das Sinnvollste ist.
„Flächen planen die Mitarbeiter, nicht die Führungskräfte.“
Eine andere Gruppe waren die Flächenplaner. Das waren bewusst nur Mitarbeiter, keine Führungskräfte, was bei einigen auch für Irritationen gesorgt hat. Aber: Flächen planen die Mitarbeiter. Führungskräfte hatten andere Aufgaben, z. B. Budgets und Zeitpläne einzuhalten. Diese Flächenplaner wurden auch in der jeweiligen Abteilung gewählt. Dabei hatten die Führungskräfte übrigens ein Vetorecht. Wir haben da bewusst einiges anders gemacht, um neue Wege zu finden und zu institutionalisieren. Dabei war immer klar, was darf die Rolle entscheiden, was darf sie vorschlagen und welche Entscheidungen behält sich die Geschäftsführung vor. Wie die einzelnen Abteilungen gestaltet wurden, das wurde zum Beispiel ausschließlich innerhalb der jeweiligen Abteilung entschieden.
Wie ging sich dieses Riesenprojekt neben dem Tagesgeschäft aus?
Herwig Kummer: Es war klar, dass wir dafür keine Zusatzressourcen hatten und da gab es auch bei uns im Vorfeld Ängste, ob sich das überhaupt ausgeht. Der Zeitplan war sehr knapp und da noch so viele Leute zu integrieren, die ja alle noch ihre ganz normalen Tätigkeiten erledigen mussten, das schien am Anfang fast wahnsinnig. Aber das Gegenteil war der Fall.
„Wenn man Leuten was zutraut, schaffen sie Dinge, die man vorher für unmöglich gehalten hat.“
Um für 800 Mitarbeiter einen Detailplan ihrer Arbeitsplätze bis runter auf den einzelnen Schreibtisch zu erstellen, haben insgesamt 40 Flächenplaner von Anfang Juni weg gearbeitet. Ihr Ziel war, bis Ende September einen abgestimmten, freigegebenen Plan zu haben. Also mitten in der Urlaubszeit, die gleichzeitig bei uns auch Hochsaison ist. Die Gruppe hat diesen fertigen, abgestimmten Plan tatsächlich bereits Ende August abgegeben – und er hat gehalten. Also wenn man Leuten was zutraut, schaffen sie Dinge, die man vorher für unmöglich hält. Wir hatten auch einen offenen Planungsraum im Intranet, wo man immer die aktuellen Planungsstände einsehen konnte. Da war die Skepsis am Anfang schon groß. Dass durch diese Offenheit eine gemeinsame Energie entstanden ist, die alle angespornt hat, das alles zu schaffen – und zwar viel früher als wir das mit einer zentral organisierten Struktur gekonnt hätten –, das mussten viele erst lernen.
Offene Kommunikation fördert die Offenheit für Veränderung #
Wann und wie Entscheidungen kommuniziert werden, ist sicherlich wichtig für den Erfolg von transparenten, partizipativen Prozessen. Wie seid ihr da vorgegangen?
Herwig Kummer: Wir haben immer aktuell informiert. Damit haben wir begonnen, als wir noch nicht mal ein Grundstück für das neue Gebäude hatten. Aber sobald etwas entschieden wurde, haben wir ganz offen an alle kommuniziert. Nachdem wir den Grundstücksvertrag unterzeichnet hatten, war eine halbe Stunde später die Information im Intranet, wo wir hin übersiedeln. Einerseits, damit sich die Leute auch wirklich gut einbringen können und andererseits, damit keine Gerüchte aufkommen.
Caroline Sturm: Kommunikation ist wesentlich in so einem Prozess, da unterstützen wir die Unternehmen gern, aber in erster Linie müssen die jeweiligen Kommunikationsabteilungen aktiv sein. Und das ist natürlich stark abhängig von der Kommunikationskultur eines Unternehmens. Wir raten aber immer an, alles gut und zeitnah zu kommunizieren, um eine Transparenz herzustellen. Mit einem Augenzwinkern gesprochen, grad in Österreich ist man bei Veränderungen ja erst mal skeptisch. Wenn aber von vornherein klar kommuniziert wird, kommen keine Gerüchte auf. Manche richten dafür einen eigenen Blog ein oder nutzen das Intranet oder die eigenen Social-Netzwerke … So wie bei der Prozessgestaltung an sich gibts da kein Standardrezept, sondern das muss abgestimmt sein mit der jeweiligen Kommunikationskultur. Wenn es ein monatliches Meeting im Unternehmen gibt, wo man erzählt, was sich gerade tut, dann soll man das natürlich nützen. Beim ÖAMTC hat das unfassbar gut funktioniert, wie unmittelbar Entscheidungen kommuniziert wurden. Das ist ein riesen Erfolgsfaktor.
Neue Arbeitswelten können neue Arbeitsweisen fördern #
Herwig hat vorhin gesagt, der ÖAMTC hat bereits im Entstehungsprozess neue Arbeitsweisen ausprobiert. Inwiefern kann eine Raumveränderung auch wirklich etwas im Unternehmen verändern?
Caroline Sturm: Das kann sehr viel bewirken. Aber dazu muss sich das Unternehmen erst überlegen, wie viel es tatsächlich verändern kann, ohne seinen Mitarbeitern zu viel zuzumuten. Es bringt nix, wenn man ein totales Abarbeiterunternehmen hat, wo jeder einfach seine Aufgaben erledigt, ohne nach links oder rechts schauen zu müssen, und das in eine Google-Welt verwandelt. Das passt nicht zusammen. Mensch und Organisation müssen das nötige Objekt bekommen, um sich gut entwickeln zu können.
„Man muss den Menschen die Chance geben, das neue Konzept zu verstehen.“
Das Thema bei einer Umgestaltung ist halt auch immer: Man nimmt den Mitarbeitern etwas weg. Sie bekommen zwar vielleicht sehr viel dazu, aber manches nimmt man ihnen. Und da muss man jeder Person die Chance geben, zu verstehen: Warum wird mir zum Beispiel mein eigener Schreibtisch genommen und was habe ich für einen Nutzen daraus? Da kommen teilweise sehr starke Emotionen hervor.
„Durch Social Media ist man gewöhnt, sich einbringen zu können.“
Und wenn man als Mitarbeiter diese neue Situation einfach vorgesetzt bekommt, so nach dem Motto: „Das ist jetzt so, also leb damit.“ Dann fühlt man sich sehr vor den Kopf gestoßen. Und man ist es in unserer Zeit durch Social Media auch schon sehr gewöhnt, sich einbringen zu können. Und dass ich, wenn ich meine Meinung zu etwas sagen will, das auch kann. Die Gesellschaft tickt so und das sollten Unternehmen auch einfordern, weil ein unheimliches Potenzial in den Meinungen der Mitarbeiter steckt. Und das soll bei der Umgestaltung eines Arbeitsplatzes unbedingt genützt werden.
Learning by doing: Partizipation geht nicht auf Knopfdruck #
Caroline Sturm: Also, was jeder Einzelne dazu zu sagen hat, das soll unbedingt rausdürfen, und auch für alle Emotionen muss Platz sein. Wenn man es schafft, diese menschliche Komponente mit der fachlichen zu verschränken, zu sagen: Wir gestalten unseren Arbeitsplatz um und beachten dabei die unterschiedlichen Meinungen und Befindlichkeiten, dann wird man im Nachhinein viel leichterin der neuen Arbeitswelt leben können und die neuen Strukturen besser umsetzen können. Wenn man das Menschliche nicht beachtet und sich nur um den Raum kümmert, hat man es nachher viel schwerer. Man muss die Menschen erst ins Arbeiten bringen, neue Prozesse erklären und das ist im Nachhinein viel schwieriger als während der Entstehung.
Wie unterstützt ihr eure Kunden dabei, die Mitarbeiter besser einzubinden?
Caroline Sturm: Klassischerweise passiert das in Workshop-Reihen, bei dem wir die Inhalte gemeinsam erarbeiten. Was arbeiten die Menschen, was machen die den ganzen Tag? Und welche Umgebung brauchen sie dazu? Ist ein Schreibtisch dafür nötig? Oder brauchen sie Nutzungsmodule, die die Kollaboration fördern, oder welche, die sich für Konzentration eignen? Die Mitarbeiter wissen am besten, was sie den ganzen Tag tun, und wenn man das übersetzt in gewisse Module, dann erkennen sie gleich den Vorteil. Einerseits machen wir diese Workshops, um herauszufinden, was die Mitarbeiter brauchen, und andererseits lernen sie dadurch auch schon, dass es unterschiedliche Flächen geben wird, wo ich unterschiedliche Tätigkeiten ausüben kann. Und dann geht es immer weiter in die Tiefe. Wir hören den Experten des Alltags sehr genau zu und decken so auch Probleme auf, die sich im Laufe der Jahre vielleicht eingeschlichen haben. Und die versuchen wir zu lösen.
Der Change-Prozess: Demokratie und Agilität #
Herwig, wie war es für euch, mit solchen demokratischen Methoden zu arbeiten? Habt ihr das beim ÖAMTC vorher schon gemacht?
Herwig Kummer: Nein, das war ein komplettes Novum. Und wie gesagt, dass da Flächenplaner aus der Gruppe von Mitarbeitern gewählt werden, das hat viele irritiert. In allen Phasen haben wir aber umfassend unterstützt. „Wir“, das war ein kleines Projektteam aus HR, interner Kommunikation und Facility Management. Und das war auch ein Novum, dass Abteilungen übergreifend miteinander an einem Projekt arbeiten, ohne dass es einen Projektauftrag gibt oder eine klassische Projektstruktur. Wir haben sehr agil von Woche zu Woche gearbeitet: Was steht als Nächstes an, was passiert aktuell? Aber ohne die Geschäftsführung wäre das nicht gegangen. Da mussten wir zum Glück nicht sehr viel Überzeugungsarbeit leisten, sondern es kamen bereits viele Ideen und ein passendes Mindset aus der Geschäftsleitung.
Wird diese Agilität weiter bei euch gelebt?
Herwig Kummer: Ja, es gibt in vielen Bereichen agile Teams, auch wenn sie nicht immer so benannt werden, in der Struktur arbeiten wir aber weiterhin klassisch. Auch die Rollen haben sich verändert: Die Flächenplaner wurden nach der Planung zu den Umzugsvorbereitern und dann zu den Abteilungsbotschaftern, wobei sich die Personen, die diese Rollen ausgeübt haben, immer wieder auch geändert haben. So konnten viele unserer Mitarbeiter alle diese Rollen einmal einnehmen. Wir haben dann ein Jahr nach dem Einzug diese Rollen offiziell beendet, aber viele der früheren Abteilungsbotschafter fühlen sich auch jetzt, mehr als zwei Jahre nach dem Einzug, immer noch in der Rolle und handeln entsprechend – was wir großartig finden! Das ist ein Zeichen dafür, dass da etwas passiert ist, das die Leute gut finden. Dass weiterhin abteilungsübergreifende Netzwerke bestehen, die sich austauschen und gemeinsam an bestimmten Themen arbeiten.
Caroline, was ist nötig, damit der Umgestaltungsprozess auch gleichzeitig einen Change-Prozess im Unternehmen startet?
Caroline Sturm: Wenn man in so eine neu gestaltete Arbeitswelt eintaucht, erwartet man sich ja auch Veränderungen in der Zusammenarbeit und der Umgestaltungsprozess der Arbeitsumgebung kann schon ein erster Versuch sein, wie Herwig erklärt hat. Im besten Fall kann man das, was man mit der neuen Arbeitswelt erreichen will, schon während der Planung probieren. Der Prozess muss dazu auf jeden Fall zur Kultur und den Persönlichkeiten des Betriebs passen, also ist das von Fall zu Fall unterschiedlich.
„Bei Führungskräften ergeben sich meist die größten Veränderungen.“
Wir arbeiten immer aktiv mit den Führungskräften, weil sich bei ihnen meistens die größten Veränderungen ergeben. Klassischerweise kommen sie aus einem Einzel- oder Doppelbüro und ihre Teams arbeiten vor der Tür. Bei den meisten ABW-Konzepten wird das aber aufgelöst, so wie auch beim ÖAMTC, wo es kaum mehr Einzelbüros gibt. Zudem haben Führungskräfte eine gewisse Vorbildrolle. Das heißt, je besser die das neue Konzept kennen und das mittragen, umso besser können sie ihre Leute in dem Change-Prozess mitnehmen.
„Die ideale Nutzergruppe ist ein bunter Haufen aus allen Einheiten und Ebenen.“
Die andere wesentliche Gruppe sind die Nutzer, die wir durch kontinuierliche Begleitung einer Nutzergruppe betreuen. Beim ÖAMTC waren das eben die Flächenplaner. Diese Gruppe ist idealerweise ein bunter Haufen aus unterschiedlichen Hierarchieebenen, in der auch alle Organisationseinheiten vertreten sein sollen, damit man eine möglichst breite Nutzerschar abbilden kann. Die sind dazu da, dass sie mitgestalten und als Botschafter die aktuellen Entwicklungen weiterkommunizieren. Und umgekehrt bringen sie auch Anliegen oder Fragen zu uns, die dann in den Prozess einfließen. Wie groß diese Gruppe ist, ist von Unternehmen zu Unternehmen abhängig und auch ob der Prozess eher sehr agil oder sehr geregelt ist.
Der neue Arbeitsalltag nach der Umgestaltung #
Wie stellt ihr fest, ob die neuen Arbeitsweisen auch im Alltag funktionieren?
Caroline Sturm: Wir sind nicht nur in der Strategieberatung und Konzeptplanung tätig, sondern wir setzen auch um. Und unser Auftrag hört nicht auf, wenn die neue Arbeitswelt fertig ist, sondern wir geben auch danach noch Hilfestellung, wie das neue Arbeitskonzept gelebt werden soll, machen Evaluierungen. Der Mensch ist halt ein Gewohnheitstier und man fällt oft in alte Muster zurück. Darum ist es uns wichtig, auch im neuen Arbeitsalltag noch zu zeigen, wie man Dinge anders machen kann. Denn nur weil das neue Gebäude fertig ist, heißt das nicht, dass der neue Prozess jetzt sofort greift.
„Der Raum allein kann viel bewirken, aber er muss zur Unternehmenskultur passen.“
Ein Raum ist schon ein sehr offensichtliches Managementinstrument und wenn man einen umbaut, ist das ein großes Statement, dass man etwas verändern möchte. Insofern spielt das ganz stark in die Organisationsentwicklung rein. Wir greifen dabei nie direkt ins Unternehmen ein, sondern argumentieren aus dem Raum heraus und lassen unsere Kunden im Planungsprozess herausfinden, wie der Raum auch gewisse Veränderungen in der Organisationsstruktur und in der Zusammenarbeit katalysieren kann. Lediglich Gestaltung funktioniert nämlich nur bedingt. Der Raum allein kann zwar viel bewirken, aber es ist unumgänglich, dass man den Zusammenhang mit der jeweiligen Kultur oder Technologie sieht. Wir probieren, so gut es geht, immer Mensch, Raum und Technologie zusammenzubringen, dann hat man die größte Wirkung.
Herwig, wie hat sich der neue Arbeitsraum auf euren Arbeitsalltag ausgewirkt?
Herwig Kummer: Da sind immer noch Transparenz und Partizipation an der Tagesordnung. In unserem Gebäude gibt es kaum Wände oder Türen, denn wir wollen Offenheit, vor allem auch gegenüber unseren Mitgliedern. Wir haben ja nichts zu verbergen. Und dann auch wegen der Zusammenarbeit: Wir schaffen nur dann eine gute Zusammenarbeit, wenn wir gedankliche oder tatsächliche Silos auflösen. Und es hat einen Spruch gegeben, der immer noch gilt: Wir teilen alles in diesem Haus, bis auf den einzelnen Arbeitsplatz. Das haben wir auch schon im Projekt geübt. Es gab zum Beispiel nur fünf Planungskoffer und die Planungsgruppen mussten sich einteilen, wer die wann benutzen durfte. Ein weiterer Grund für eine offene Architektur war, dass wir kurze Wege zueinander haben und viel voneinander mitbekommen wollten. So kommt man auf einmal mit Leuten in Verbindung, die man vorher nie gesehen hat. Eine Kollegin hat mir gleich nach dem Einzug gesagt: Ich hab in drei Tagen mehr Leute getroffen als in den drei Jahren am alten Standort.
Gibt es auch Nachteile, wenn die räumliche Trennung fällt?
Herwig Kummer: Wir haben nach ein paar Monaten unsere Mitarbeiter gefragt, was ihnen gefällt und was nicht. Was allen super gefällt, ist: Alle sind total schnell erreichbar und man bekommt sofort, was man braucht. Was nicht gefällt, ist: Ich bin selbst sofort erreichbar und jeden Tag kommt wer, der was von mir will. Das hat immer zwei Seiten. Aber grundsätzlich ist diese Offenheit gut angekommen. Und es gibt ja nach wie vor abgetrennte Bereiche da, wo sie Sinn machen.
Über den Begriff „New Work“ #
Selbstbestimmtes Arbeiten, Offenheit sind wichtige Elemente der Arbeitswelt der Zukunft – Was versteht ihr unter dem Begriff „New Work“?
Caroline Sturm: Für mich ist New Work der Trend, dass Mitarbeiter wieder ins Zentrum des Geschehens rücken. Das macht für mich New Work aus. Denn viele Tätigkeiten werden durch die Digitalisierung ersetzbar und darum wird man sich als Mensch mehr in Richtung Kreativität und Social Skills entwickeln müssen. Dieses soziale Miteinander, das gemeinsame Tun und Entwickeln, das können Maschinen nicht so leicht ersetzen und das sehe ich hinter dem Begriff New Work. Und dafür braucht es halt dann eine gewisse Umgebung, die dieses Zusammenarbeiten, dieses Menschsein fördert.
Herwig Kummer: New Work ist für mich ein Arbeiten der unkomplizierten, kurzen Wege. In einer Welt, in der sich Dinge so schnell ändern, braucht es einfach viel mehr Lebendigkeit, um schnell neue Produkte und Lösungen bieten zu können. Über hierarchische Strukturen, definierte Prozesse, Vorplanen und Nachkontrollieren geht sich das nicht aus. Und wenn ich New Work in der klassischen Definition hernehmen, dann bedeutet das auch, dass ich das mache, was ich wirklich, wirklich will. Das herauszufinden, was Mitarbeiter wirklich wollen, muss in Unternehmen langsam eingeführt, gefördert und geübt werden. Man muss dazu viel klarer die Rollen und Rahmen definieren, damit sich die Leute auf den Inhalt und den Prozess konzentrieren können statt auf die Struktur. Denn trotz aller Partizipation braucht es auch im New Work ganz klare Führung, aber etwas anders, als wir das in vielen Jahrzehnten gewohnt waren.
Herwig Kummer und Caroline Sturm: Zwei Pioniere der Freiräume (Un)Conference #
Auf der Freiräume (Un)Conference in Graz werden jedes Jahr Pioniere und Querdenker im Bereich neue Arbeits- und Organisationsformen vorgestellt. In unserer Blogreihe „New Work in der Praxis“ präsentieren wir Unternehmen, die neue Methoden bereits erfolgreich im Arbeitsalltag erprobt haben. Hier gehts zuTeil 1 der Reihe „Transparenz in Unternehmen“. In Teil 3 erzählt uns Keynote-Speaker und soulbottles-Gründer Georg Tarne, wie man mit Ganzheit und gewaltfreier Kommunikation Konflikte löst.
Über M.O.O.CON
M.O.O.CON ist die führende Unternehmensberatung für identitätsstiftende und nachhaltige Gebäude, Prozesse und Arbeitswelten. Aus den unternehmerischen Zukunftsbildern der Kunden entwickeln sie wirksame analoge und digitale Infrastruktur und setzen sie auch gemeinsam mit ihnen um. Caroline Sturm ist als Consultant im Team Workplace Strategy und Change Management tätig und bereitet ihren Kunden den Weg zu neuen Arbeitswelten.
Über den ÖAMTC
Österreichs führender Mobilitätsclub bietet seinen Mitgliedern seit 120 Jahren Services und Informationen rund um Mobilität und Verkehrssicherheit. Als Leiter der Personalentwicklung war Herwig Kummer maßgeblich beim Entstehungsprozess der Zentrale Wien-Erdberg beteiligt. Auf seinem Blog „Personaleum“ berichtet er über seine Erfahrungen in der HR-Branche, aktuelle Recruiting-Trends und Mitarbeiterführung.
Bildnachweis: shutterstock/gerasimov_foto_174; ÖAMTC; M.O.O.CON
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