Tatort Bewerbungsgespräch - Profiling im Unternehmen
Profiling - das hört sich nach Tatort, Toten und CSI-Serien an. Entgegen der ersten Vermutung geht es hier aber nicht um Kriminalfälle, nicht um Täter oder Opfer. Beim Profiling in der Arbeitswelt handelt es sich um eine Methode für HR, um festzustellen, ob eine Person eingestellt werden sollte oder besser nicht. Eine Verhaltensbeurteilung soll das Stellenprofil mit dem Kandidatenprofil abgleichen. Wir haben mit Dr. Thomas Müller, dem wohl berühmtesten Kriminalpsychologen, über Profiling als unterstützende Maßnahme für den Recruitingprozess gesprochen.
Eigentlich interviewt Dr. Thomas Müller Serienkiller in Hochsicherheitstrakten. Das tut er deshalb, um deren Erfahrungswelten und Abgründe verstehen zu lernen, damit in weiterer Folge zukünftige Morde besser und schneller aufgeklärt werden können. Beim Profiling in Unternehmen versucht man, den Bogen zwischen dieser kriminalpsychologischen Tätigkeit und dem Wirtschaftsleben zu spannen, um sie etwa in Personalfragen, Entscheidungs- oder Krisensituationen anzuwenden.
Die Anforderungen einer vakanten Stelle werden beispielsweise mit dem Verhalten der Kandidaten verglichen, von dem man auf deren tatsächliche Fähigkeiten schließen will. Beim Abgleich der beiden Profile - der Stelle und des Bewerbers (Jobmatch) - findet der Personaler mittels wichtiger Hinweise idealerweise zum perfekten Kandidaten.
Warum man sich im Unternehmenskontext solcher Methoden bedient und wie das Ganze aussehen kann, hat uns Dr. Thomas Müller beantwortet.
Wie kommt es, dass man sich im Personalmanagement einer Maßnahme aus der Kriminalpsychologie bedient und seit wann gibt es diesen Trend?
Müller: Ich würde nicht von einem Trend sprechen. Das Institut of International Research (IIR) ist auf mich zugekommen und hat nachgefragt, ob wir die Methodik der kriminalpsychologischen Verhaltensbeurteilung auch für HR-Spitzenleute erklären würden. Und das haben wir getan – was auf sehr großes Interesse gestoßen ist, sonst würden wir den Seminartag nicht wiederholen.
„Sigmund Freud hat uns gelehrt, dass uns unsere Persönlichkeit jeden Tag aus allen Poren dringt.“
Als Laie stellt man sich das gerne wie bei CSI-Serien oder Ähnlichem vor – wie ist es wirklich?
Müller: Als Kriminalpsychologe beurteile ich Menschen, die ich noch nie gesehen habe – ausschließlich aufgrund ihres Verhaltens, also WIE jemand ein Verbrechen begangen hat, oder anders ausgedrückt, welche Entscheidungen er bei der Durchführung getroffen hat. Meine Datenbasis ist nicht das Wort oder das Schriftstück, z.B. ein CV, aus dem ich meine Schlussfolgerungen ziehe, sondern ausschließlich das Verhalten. Sigmund Freud hat uns gelehrt, dass uns unsere Persönlichkeit jeden Tag aus allen Poren dringt – diese zusätzliche Möglichkeit stelle ich interessierten Personen aus dem HR-Bereich zur Verfügung.
Lügendetektor, Verhörzimmer … Was kommt da auf einen Kandidaten zu?
Müller: Es gibt eben keine Fragen und, mit Verlaub, auch keine Verhörzimmer und Lügendetektoren. Wir beurteilen ausschließlich aufgrund des Verhaltens und nicht, was ein Mensch sagt, denn jeder Mensch hat – ich würde sogar sagen: Gott sei Dank – das Recht zu lügen oder Dinge schöner darzustellen. Aber es gibt einen Augenblick, in dem ein Mensch nicht lügt: Nämlich dann, wenn er für sich eine Entscheidung trifft.
„Nicht eine Blume macht den Strauß, es ist das Zusammenwirken mehrerer Pflanzen.“
Kann man wirklich vom Verhalten einer Person auf sein Agieren im Unternehmen schließen?
Müller: Die Verhaltensbeurteilung ist kein Ersatz für eine saubere HR-Beurteilung, das Einholen von Referenzen bzw. das genaue Studium eines CVs oder der Arbeitsstabilität in den letzten Jahren. Es ist EINE zusätzliche Möglichkeit, über diese Person etwas in Erfahrung zu bringen, nicht mehr und nicht weniger. Sie gestatten einen Vergleich: Nicht eine Blume macht den Strauß, es ist das Zusammenwirken mehrerer Pflanzen in der richtigen Position, die zu einem abgerundeten Bild führen, oder eine Mineralwasserflasche von links betrachtet zeigt den Namen und die Information, ob Kohlensäure vorhanden ist oder nicht – aber erst der Blick aus einer ganz anderen Perspektive sagt uns das Ablaufdatum, den Gehalt an mg Natrium und den Hersteller der Flasche. Sie können gerne auf einen Teil verzichten, objektiv wird die Beurteilung aber erst dann, wenn Sie sich derselben Sache aus unterschiedlichen Seiten genähert haben.
„Ein CV sagt wenig über Sie aus - die Art, wie Sie Ihr Auto einparken aber sehr viel.“
Was kann Profiling im Unternehmen alles leisten?
Müller: Profiling ist ein mondäner Begriff unter dem man alles versteht, was ein „Profiler“ von sich gibt, aber leider wissen die wenigsten, was eigentlich unter diesem Begriff gemeint ist – sicher nicht das Erstellen eines Täterprofiles, damit wären wir dann wirklich bei CSI und Samstagabend-Unterhaltung. Es geht um die Beurteilung von Menschen anhand ihrer Taten und nicht anhand dessen, was sie uns sagen. Der Unterschied ist sehr bald auch bei Integrationsprozessen, Interaktionen, Verhalten in Krisensituationen und Führungsthemen bemerkbar. Ein CV sagt halt sehr wenig über das Einfühlungsvermögen und die Resilienz eines Menschen aus, die Art wie er sein Auto einparkt aber schon. Den Schmuck, den Sie tragen, das Auto, das Sie fahren, ja die Art, wie Sie Ihren Schreibtisch um 18.30 Uhr am Abend zurücklassen, sind scheinbar unwichtige Details, in der Regel beinhalten Sie aber mehr Informationen über Ihre Persönlichkeit als das von Ihnen ausgefüllte CV.
Wie kann so ein Prozess in ein bestehendes Recruiting eingebaut werden?
Müller: Es geht um die Betrachtungsweise und das Verständnis, welche Informationen von Bedeutung sein können und um die Kenntnis, welche Fehlerquellen üblicherweise unseren Blick auf das Wesentliche eintrüben oder gar verfälschen könnten. Es ist ein Fehler, andere Menschen anhand der eigenen ethischen und moralischen Vorstellung zu messen, denn wir haben in der Psychologie kein Metermaß oder eine Waage, um etwas über Fleiß, Ausdauer, Aggression oder spezielle Fähigkeiten zu messen. Unsere Messlatte bedeutet: vergleichen. Wir messen das Verhalten, indem wir das Verhalten einer Person am Verhalten vieler Menschen vergleichen. Wenn Sie aber ausschließlich Ihre eigene Messgröße als Vergleich hernehmen, ist das zwar die beste Basis, um ein Vorurteil zu kreieren, nicht aber, um über einen Menschen objektiv etwas auszusagen. Der kriminalpsychologische Ansatz geht vom ausschließlichen Verhaltensvergleich aus und ist – einmal mehr – kein Ersatz für eine saubere Beurteilung, sondern lediglich ein zusätzliches Hilfsmittel.
Wo liegen die Herausforderungen und Fehlerquellen für HR-Manager?
Müller: Ich bin nicht in der Position, die Fehlerquellen von HR-Leuten zu beurteilen, ich kann nur anbieten, dass eine Beurteilung von Fähigkeiten etwas mehr bedeutet als das Einsammeln von CVs und Referenzen – was aber heute ohnehin schon keinen Standardprozess mehr darstellt. Die Zeiten haben sich diesbezüglich einfach weiterentwickelt und insbesondere seit 2008 wird kein umsichtig und interdisziplinär denkender HR-Manager mehr z.B. auf eine Frage verzichten: Wie viele berufliche Krisen haben Sie in Ihrer Laufbahn bereits erfahren? Bekanntlich sind es ja nicht die Erfolge, sondern der Umgang mit den Misserfolgen, die uns beständig und resilient werden lassen. Auch das sind Erkenntnisse aus der Kriminalpsychologie, die wir vermitteln können und das auch tun.
Kann das einem erfahrenen HR-Manager tatsächlich neue Dimensionen eröffnen?
Müller: Ich hoffe, das kann er selbst entscheiden, wenn er alle Aspekte selbst geprüft, analysiert und getestet hat. Sich der zusätzlichen Möglichkeit zu verschließen, ohne zu wissen, was Sie zusätzlich bieten kann, erinnert ein wenig – und Sie vergeben jetzt, wenn ich es etwas harsch formuliere – an ein Zitat von Alexander von Humboldt: „ Die gefährlichste Weltanschauung ist die Anschauung jener, die die Welt nie angeschaut haben!“
Zur Person #
Dr. Thomas Müller ist Europas führender Kriminalpsychologe. Durch sein Mitwirken bei der Aufklärung der spektakulärsten Serienmorde der Gegenwart, z.B. in den Fällen Jack Unterweger und Franz Fuchs, wurde der gebürtige Tiroler einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Unser Kontakt verlief über den BeLinked HR-Leader Tag in Schloss Mauerbach, wo er im November 2015 eine Keynote zum Thema hielt.
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