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Querdenker in unternehmen

Krisensicher bleiben: Warum Unternehmen jetzt Weiterdenker brauchen

Zusammenarbeit Erstellt am: 11. Februar 2021 10 Min.

Sie sind Weiterdenker, Gamechanger oder Organisationsrebellen – für echte, wahre Querdenker gibt es viele Namen. Was sie alle gemeinsam haben, warum sie Unternehmen krisensicher machen und was sie von der gleichnamigen Corona-Protestbewegung unterscheidet, erklärt Autorin Anne Schüller in ihrem neuen Buch. Wir haben mit ihr darüber gesprochen:

Zugegeben, als ich die Presseinformation über Anne Schüllers neues Buch geöffnet habe, war ich erst mal stutzig: „Querdenker verzweifelt gesucht!“ ist am Cover zu lesen – ein Begriff, der in Corona-Zeiten einen zweifelhaften Ruf genießt. Beabsichtigte Provokation oder unglücklicher Zufall? Im Interview erklärt uns die Autorin, wen sie mit „Querdenker“ meint und warum diese essenziell für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen sind.

„Querdenker verzweifelt gesucht!“ – Ein gewagter Titel in Corona-Zeiten #

Querdenker cover

Frau Schüller, der Titel Ihres neuen Buches ist angesichts der aktuellen Corona-Proteste doch sehr gewagt formuliert. War das eine bewusste Entscheidung?

Das Buch ist im ersten Lockdown entstanden. Damals war von der Querdenker-Bewegung, die nun gegen die Corona-Maßnahmen protestieren, noch weit und breit nichts zu sehen oder zu hören. Der Titel stand aber schon weit vorher fest, denn er ist immer das erste, was bei Buchprojekten festgelegt wird. Er wird dann mit einer ISBN-Nummer versehen und geschützt. Danach kann man ihn nicht mehr ändern.

Hätten Sie den Titel unter den aktuellen Umständen geändert?

In der jetzigen Situation hätte ich einen anderen für meinen Buchtitel gewählt. Ein Querdenker im ursprünglichen Sinne kann mit sehr vielen verschiedenen Begriffen umschrieben werden: Er ist Weiterdenker, er ist ein Zukunft-Gestalter, er ist Gamechanger oder Changemaker, ein Organisationsrebell … Und viele haben sich vor Corona mit Stolz als Querdenker positioniert.

Lösungsorientiert statt dagegen: was Querdenker auszeichnet #

Sehen Sie den Begriff „Querdenker“ aktuell in Gefahr?

Ja, wenn der Begriff nur noch mit dieser Gruppe demonstrierender Menschen auf der Straße assoziiert wird, dann ist das nicht sehr glücklich. Viele kennen den Begriff ja leider nur von der Corona-Protest-Bewegung und wissen gar nicht, dass es schon lange Querdenker gibt, die sich aber für etwas ganz anderes einsetzen und in der Öffentlichkeit nicht so präsent sind. Die Medien könnten dazu sehr viel beitragen, indem sie den Unterschied thematisieren. Gerade jetzt wäre es so wichtig, dass die „echten Querdenker“ mehr vor den Vorhang geholt werden.

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Querdenker ist nicht gleich Querdenker

„Querdenker United“ ist eine Community zur Förderung von Innovation und gegenseitigem Austausch, die seit 1999 existiert und sich von der Corona-Protestbewegung distanziert. Anne Schüllers Buch hat jedoch nur indirekt mit dieser Community zu tun, sondern thematisiert den Stellenwert von anders und innovativ denkenden Menschen in Unternehmen.

Was zeichnet den „ursprünglichen“ Querdenker aus?

Dazu gibt es eine allgemeine Definition: Der Querdenker ist immer grundsätzlich konstruktiv. Er will etwas besser machen, ist lösungsorientiert. Von den Persönlichkeitsmerkmalen her ist er neugierig, mutig, traut sich, Neuland zu betreten, er ist lernbereit und kann über sein Fachgebiet hinaus „quer“ über mehrere Disziplinen denken – sowohl wissenschaftlich als auch durch eigene Erfahrungen. Durch diese Eigenschaften und das sehr breite Interesse an Dingen sind Querdenker in der Lage, eben „über den Tellerrand“ zu schauen, aus der Reihe zu treten und neue Lösungen zu finden.

„Der Querdenker ist grundsätzlich immer konstruktiv.“

Damit haben Sie meine nächste Frage schon beantwortet. Querdenken hat also nichts mit „dagegen sein“ zu tun? Trägt die Corona-Protest-Bewegung den Namen „Querdenker“ zu Unrecht?

Ja, sie machen genau das nicht, was einen Querdenker auszeichnet. Natürlich stellt er Dinge in Frage, aber um sie zu ändern, weil sie nicht mehr gut genug sind, weil sie historisch gewachsen sind und nicht mehr in die Zeit passen – um es im Unternehmenskontext zu sehen. Ein Querdenker möchte alte Denkweisen, alte Prozesse verändern und stellt dazu das Alte erstmal in Frage. Das stört die sogenannte heilige Ordnung – das ist die Bedeutung von „Hierarchie“ – in einem Unternehmen. Er wird möglicherweise als Störenfried wahrgenommen, denn er ist gegen etwas Bestehendes – allerdings nur, um es zu verbessern. Er ist nicht gegen etwas, nur um dagegen zu sein. Das ist der Querulant, der stellt sich quer und möchte Neues, Anderes nicht zulassen. Meiner Meinung nach haben die Menschen, die gerade als „Querdenker“ gegen die Corona-Maßnahmen demonstrieren, genau den falschen Begriff gewählt.

„Die Menschen, die gerade als sog. Querdenker demonstrieren, haben den falschen Begriff gewählt.“

Anne M Schueller 278x300

„New normal“: Wandelbarkeit macht zukunftsfähig #

„Verzweifelt gesucht“ heißt es in Ihrem Buch. Warum sind Querdenker so schwer zu finden?

Es gäbe sie schon … Doch in klassischen Unternehmen werden Mitarbeiter dafür belohnt, dass sie sich in die jeweils üblichen Vorgehensweisen einfügen und sich an vorgegebene Prozesse halten. Menschen tun das, wofür sie belohnt werden. Man erzieht in klassischen Unternehmen also dazu, Konformismus zu zeigen und dann verlernt man das Querdenken. So verkümmert das Potenzial in Unternehmen, obwohl es gerade im Moment so wichtig wäre, es zu nützen.

Sie spielen damit auf den „Change-Prozess“ an, von dem Sie im Buch schreiben. Neue Wege, neue Arbeitsweisen zu finden, sei aktuell so wichtig wie nie zuvor – was genau meinen Sie damit?

Corona hat gezeigt, wie wichtig Wandelbarkeit für Unternehmen ist. Wenn ein plötzliches Ereignis auftaucht, ist Veränderungsfähigkeit einfach essenziell, damit ein Unternehmen schnell neue Ideen entwickeln kann – sowohl intern, was das Funktionieren des Unternehmens betrifft, als auch extern, was die Bedürfnisse des Kunden angeht. So etwas kann nur mithilfe entsprechender Mitarbeiter funktionieren und die Unternehmen, die diese Mitarbeiter haben, haben ja auch zu Beginn der Corona-Krise sehr schnell umgedacht und innovative Lösungen gefunden, um sich an die neue Situation anzupassen. Es hat sich also gezeigt, dass diejenigen, die lösungsorientierte Ideen hatten und schnell waren, um diese auch umzusetzen, bisher besser durch die Krise gekommen sind.

Adaptive Unternehmen sind demnach besser für das vielzitierte „new normal“ gerüstet?

Im Moment sprechen alle von der Post-Corona-Zeit und von „new normal“, aber ich denke, „normal“ wird es nicht mehr. Unvorhersehbare Ereignisse wird es in Zukunft mehr geben und die werden genauso plötzlich eintreten, wie Corona kam. Das können Ereignisse sein, die mit Corona in Zusammenhang stehen, aber auch umweltbedingte Ereignisse und vor allem solche, die mit Digitalisierung und Technologie zu tun haben, denn diese Entwicklung verläuft exponentiell. Zu glauben, jetzt kommt die neue Normalität und die bleibt dann so, ist ein Irrtum.

„Zu glauben, jetzt kommt die neue Normalität und die bleibt dann so, ist ein Irrtum.“

Gerade in der Technologie gibt es das nicht mehr, da sich Technologien miteinander verbinden, und so ständig Neues entsteht. Darauf kann man sich als Unternehmen nicht einstellen, das ist nicht planbar. Darum muss ich als Unternehmer die ständige Veränderungsbereitschaft hochhalten. Damit, wenn etwas Unvorhergesehenes geschieht, genügend kluge Köpfe im Unternehmen sind, die um die Ecke denken, über den Tellerrand schauen und aus der Reihe tanzen, um so schnell wie möglich reagieren zu können. Solche Leute gibts in klassischen Unternehmen aber nicht, da sie in der Vergangenheit nicht gebraucht wurden. Deswegen sind sie „verzweifelt gesucht“.

Heißt: Unternehmen, die Querdenken nicht fördern, wird es irgendwann nicht mehr geben?

Ja, diese oldschool-Unternehmen, die alten Prozessen und Denkweisen verhaftet sind, werden die Zukunft nicht erreichen, weil sie nicht agil und adaptiv genug sind. Sie werden aber auch keine Querdenker gewinnen können, da in diesen Unternehmen ein Mindset gelebt wird, das besagt: Das Alte ist doch noch gut genug, das hat sich etabliert, in der Vergangenheit waren wir damit immer erfolgreich, daran rütteln wir nicht.

„Es gibt immer Gründe, warum Mitarbeiter nichts sagen, obwohl sie wissen, es müsste anders laufen.“

Gibts Möglichkeiten, um dieses Mindset zu verändern?

Wenn ein Unternehmen grundsätzlich die Bereitschaft zeigt, sich verändern zu wollen, dann sollte es erst einmal schauen, welche Mitarbeiter noch das Potenzial zum Querdenker haben. Wer hat gute Ideen und traut sie sich auch zu sagen? Wen habe ich noch nicht mundtot gemacht? Dazu brauchts eine Kultur, die Widerspruch erlaubt, wo Mitarbeiter sagen dürfen: „Das funktioniert nicht gut, das können/müssen/sollten wir besser machen.“ Denn meist ist es ja so, dass Mitarbeiter sehr wohl wissen, was man besser/einfacher/verständlicher machen könnte, aber sie dürfen es in ihrem Unternehmen nicht sagen, weil sie sonst mit Komplikationen rechnen müssen: keine Beförderung, kein Jahresbonus, der Chef wird sauer und unterschreibt den Urlaubsantrag nicht … Es gibt immer Gründe, warum Mitarbeiter nichts sagen, obwohl sie wissen, es müsste anders laufen.

„Es gibt im Neuland keine Erfolgsgarantie.“

Darum ist eine Unternehmenskultur mit Erlaubnis – besser noch mit Pflicht – zum Widerspruch der erste Schritt. Der zweite ist die Einführung von Experimentierfeldern, damit Mitarbeiter das, was sie verbessern möchten, auch ausprobieren können. Wichtig ist, dass sie dabei Fehler machen dürfen, dass sie auch scheitern dürfen. Es gibt im Neuland keine Erfolgsgarantie. Berühmtestes Beispiel dafür ist Thomas Edison, der mal gesagt hat, er kenne nun 10.000 Wege, wie eine Glühbirne nicht funktioniert. So ist das auch mit Ideen: Ich muss viele ausprobieren, um eine zu finden, die funktioniert.

„Eine Idee muss die Chance haben, ins Leben zu kommen!“

Ich höre aber oft von Unternehmen: "Ideen hätten wir schon, aber wir wissen nicht, ob es sich rentiert …" Das weiß man zu Beginn nie und es ist absolut unrealistisch, gleich mit Zahlen arbeiten zu wollen – die kann man erst liefern, wenn man die Idee ausprobieren konnte. Eine Idee muss die Chance haben, ins Leben zu kommen! Und wenn die Idee mit Kunden zu tun hat, dann müssen diese so früh wie möglich mit in die Entwicklung eingebunden werden. Nur so kann man sicher sein, dass man den Kunden immer das bietet, was ihren Bedürfnissen entspricht und sie immer wieder begeistert.

Zur Person #

Anne M. Schüller ist Managementdenkerin, Keynote-Speaker, Autorin und Businesscoach. Nach über zwanzig Jahren in leitenden Positionen internationaler Dienstleistungsunternehmen verabschiedete sie sich 2002 aus der Konzernwelt, um als Beraterin und Vortragende den Weg für alternative, zeitgemäße Organisationsstrukturen zu ebnen.


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