New Work in der Praxis – Teil 1: Transparenz im Unternehmen
In unserer neuen Serie „New Work in der Praxis“ präsentieren wir Unternehmen, die neue Arbeitskonzepte bereits im Alltag etabliert haben. In der ersten Folge erklären zwei IT-Firmen, wie sie absolute Transparenz schaffen und was sie unter „New Work“ verstehen.
Auf der Freiräume (Un)Conference in Graz werden jedes Jahr Pioniere und Querdenker im Bereich neue Arbeits- und Organisationsformen vorgestellt. Zwei davon sind Axtesys und ITdesign, die sich ganz der Selbstorganisation verschrieben haben. Eine zentrale Voraussetzung dafür ist in beiden Unternehmen Transparenz. Wir haben Angelika Weber, Geschäftsführerin von Axtesys, und Michael Botek, Geschäftsführer von ITdesign, zum Interview gebeten.
New Work braucht Vertrauen und Transparenz #
Was versteht ihr unter dem Begriff „New Work“?
Angelika Weber: New Work bedeutet für uns, dass sehr selbstständig gearbeitet wird und viele Entscheidungen, wenn nicht alle, dort passieren, wo sie gebraucht werden. Also nicht von oben herab. Und dass auch die strategische Weiterentwicklung bei den Personen liegt, die etwas machen – auch bereichs-übergreifend. Bei uns haben sich zum Beispiel ein paar aus dem Kreis der Projektleiter gemeinsam mit jemandem aus der Buchhaltung zu einem neuen Kreis „Controlling“ zusammengeschlossen, weil es sie interessiert hat. New Work heißt für uns, auch so offen zu sein, dass man solch übergreifendes Zusammenarbeiten ermöglicht. Es heißt ja auch „agile“ oder „lean“, also stetige Veränderung ist essenziell.
Michael Botek: Da stimme ich Angelika zu. Für mich ist New Work ganz stark selbstorganisiertes Arbeiten ohne Kontrolle. Eine der Kernfragen ist: Vertraue ich meinen Mitarbeitern, ja oder nein? Wenn ich ihnen nicht vertraue und alles kontrollieren will, dann kann ich New Work gleich vergessen. Wenn ich ihnen aber vertraue, dass sie ihre Arbeit auch ohne Kontrolle gut erledigen, einfach weil sie sie gern machen, dann kann ich mein Unternehmen in diese Richtung weiterentwickeln.
Was braucht es eurer Meinung nach für solche offenen Arbeitsweisen?
Angelika Weber: Da braucht es ganz klare Strukturen. Je offener und unüblicher eine Arbeitsweise ist, umso mehr Regeln und Rahmenbedingungen braucht man letztendlich. Gerade bei sehr offenen Arbeitsumgebungen braucht man klare Richtlinien: Was ist erlaubt und was ist nicht erlaubt?
Michael Botek: Ja, definitiv. Auch bei uns gibt es Regeln, die strikt einzuhalten sind. Die Dinge müssen halt klar sein. Es gibt zum Beispiel eine Regel bei uns, die besagt, du musst am Dienstag deine Arbeitszeiten der Vorwoche eingetragen haben. Wenn ich das nicht mache, verletze ich einen Wert. Und dann gibts Konsequenzen: Stress mit den Kollegen, Diskussionen … Und derlei klare Regeln gelten auch für unsere Kunden, denn Dienstleistung ist Vertrauenssache.
New Work bedeutet Arbeiten ohne Kontrolle #
Stichwort Vertrauen: Das ist, wie ihr angesprochen habt, die Grundvoraussetzung für selbstorganisiertes Arbeiten. Wie zeigt ihr euren Mitarbeitern, dass ihr ihnen vertraut?
Michael Botek: Bei uns gibt es kein „Muss“. Weil wir davon ausgehen, dass jeder das am besten macht, das er gern tut. Wann, wo und wie ist uns dabei egal.
Warum sollte ich für jemand anderen entscheiden, wo der seine Arbeit am besten macht? Unsere Leute können schon selbst entscheiden, wann sie sinnvollerweise im Büro sind und wann nicht. Das tragen sie in ihren Kalender ein und dann wissen alle Bescheid. Ganz einfach. Wenn ich da jetzt ein mordskompliziertes Beantragungs-System einführe, verschwendet das nur Zeit. Ich sag immer: Konzentrier dich lieber auf deine Arbeit als auf das System.
„Wir arbeiten nicht mit der Karotte.“
Michael Botek: Das gilt bei uns übrigens auch für Sales: Es gibt da praktisch keine Vertriebsprämien, um die Umsatzziele zu erreichen, eben keine Karotte, die ihnen vor der Nase baumelt. Die müssen ihren Job genauso gut von sich aus erledigen wie die anderen. Wenn sie das nicht tun, kommen wir eh drauf, dazu brauchts keinen Druck durch Prämien. Daran scheitern bei uns aber auch viele Leute, die diese Karotte, diese Zielvorgaben, brauchen.
Angelika, „Vertrauen“ steht bei Axtesys im „Wertekatalog der scheinbaren Widersprüche“ gemeinsam mit „Transparenz“. Was bedeutet das?
Angelika Weber: Genauso wie es für freie Arbeitsweisen klare Rahmenbedingungen braucht, geht Offenheit nur mit Vertraulichkeit. Nur, wenn wir unseren Mitarbeitern voll vertrauen, können wir alle Unternehmensdaten offenlegen. Umgekehrt fördert diese Transparenz das gegenseitige Vertrauen.
„Wir wollen, dass jeder Mitarbeiter jederzeit weiß, was im Unternehmen los ist, wie es den Projekten, den Finanzen, den Kollegen geht.“
Angelika Weber: Wir haben zum Beispiel wöchentliche one-on-ones, in denen man zehn Minuten lang mit seinem Buddy gemeinsam aktuelle Befindlichkeiten besprechen kann. Die Idee ist, dass wir dadurch in der Geschäftsführung ein Gefühl dafür bekommen, wie es im Team läuft und wie es den Mitarbeitern geht. Das ist so ein „scheinbarer Widerspruch“. Wenn mir jemand im Vier-Augen-Gespräch etwas anvertraut, will ich das nicht weitersagen. Das ist klar. Ich kann aber weitergeben: Bei dem ist es gerade schwierig, bitte Rücksicht nehmen. Eine vertrauliche Information sorgt dadurch für mehr Transparenz.
Welche Dinge sind bei euch transparent?
Angelika Weber: Alles, auch die Gehälter und die Finanzen. So ermöglichen wir auch die Mitbestimmung bei Gehaltsverbesserungen, die übrigens fast nie für sich selbst eingefordert, sondern von Kollegen vorgeschlagen werden: Der oder die zeigt besondere Leistung, sollte mehr verdienen.
Michael Botek: Wir handhaben das auch so. Vom Gehalt über Jobcodes, bis zu Firmenautos … Alles ist transparent. Wir haben aber auch Dinge definiert, die nicht transparent sein dürfen. Ein Gesundheitszustand ist klarerweise nicht transparent. Dadurch, dass wir alles im Unternehmen mitdokumentieren, ist auch da jede Entscheidungsfindung transparent nachverfolgbar, wobei wir nicht jede Information zu jeder Zeit einsichtbar machen. Das wäre nicht sinnvoll.
Wie wird das Gehalt bei ITdesign transparent gemacht?
Michael Botek: Wir haben eine ganz klare Gehaltspyramide mit Anforderungen, was man pro Joblevel können muss. Das heißt, ich kann mir jederzeit genau ansehen, was ich leisten müsste, damit ich in die nächste Stufe komme. Dann kann ich darauf hinarbeiten. Den Antrag, in das nächste Level zu wechseln, kann ich dann stellen, wenn ich schon 70 Prozent des neuen mache. Du bekommst nicht den neuen Job und dann schauen wir, ob du es kannst, sondern du machst ihn einfach und dann steht er dir zu.
Die drei Voraussetzungen für Transparenz im Unternehmen #
Was ist in Unternehmen wichtig, damit eine derartige Transparenz gelebt werden kann?
Angelika Weber: Das sind unserer Meinung nach drei Dinge: genaues Recruiting, Vorleben der Werte und Kommunikation. Wir haben einen extrem strukturierten und langen Bewerbungsprozess. Der wird jedem Bewerber auch erst einmal telefonisch erklärt, um zu schauen, ob das passt. Es gibt eine erste „soziale Runde“, das ist wirklich ein Wertecheck.
„Ist das jemand, dem wir zutrauen, dass er mit unserer Organisation zurechtkommt, und passt der zu uns?“
Angelika Weber: Erst danach gibts eine fachliche Runde, in der die Anforderungen geprüft werden. Und wenn die für die ausgeschriebene Stelle nicht passen, bringt der Bewerber vielleicht andere Vorzüge mit. Wenn jemand menschlich passt, durch irgendeine Fähigkeit beeindrucken und die Unternehmenswerte mittragen kann, dann findet man für den eine Tätigkeit. So bekommen wir die richtigen Menschen.
Michael Botek: Auch da haben wir wieder Gemeinsamkeiten: Wir versuchen, schon im Vorfeld herauszufinden, ob die Leute mit unserer Arbeitsweise zurechtkommen. Wenn du dich bei uns bewirbst, bekommst du gleich mal alles offengelegt. Unsere Werte, das Organisationshandbuch und Informationen darüber, was da bei uns auf dich zukommt. Das schicken wir gleich mal vorab zu und klären dann im persönlichen Gespräch, ob wir zusammenpassen oder nicht. Wir bieten auch Probearbeiten an, worauf sich die Leute immer mehr einlassen. Komm mal für drei Tage vorbei, schau dir das an und dann sehen wir weiter.
Die Geschäftsführung nimmt in transparenten Organisationen eine zentrale Rolle ein. Wie lebt ihr eure Werte vor?
Angelika Weber: Wenn ich sage, ich will eine gute Feedbackkultur, muss ich auch Feedback geben und annehmen können. Und es muss mir ganz klar sein, dass eine offene Feedbackkultur auch heißt, dass ich von Mitarbeitern vielleicht einmal höre: Jetzt hast du aber einen Blödsinn gemacht. So kritikfähig muss man dann sein, dass man dem auch zustimmen kann. Wir fordern beispielsweise auch konkret Feedback ein, nach Besprechungen oder Kundenterminen – auch von unseren Kunden.
Michael Botek: Dazu muss ich erst unsere Organisation erklären: Unsere Firma ist auf Freiwilligkeit und Veränderung ausgelegt. Darum haben wir ein Management auf Zeit, das nach neun bis fünfzehn Monaten wieder wechselt. Somit kommt jeder mal dran und versteht, welche Aufgaben und Probleme es im Management gibt. Was wir gar nicht haben, ist: Was hat sich die Firma überlegt? Denn das ist ja in Wahrheit oft nur eine Umschreibung für: Was hat sich der Chef, der Besitzer überlegt?
„Bei uns ist die Firma eben nicht einer oder etwas ganz Abstraktes, sondern wir sind die Firma.“
Michael Botek: 18 unserer Mitarbeiter sind Gesellschafter, das heißt: Die Firma gehört den 18 Personen, die sie damals gegründet haben. Und darum haben natürlich viele Menschen ein großes Interesse daran, dass das ganze Unternehmen gut funktioniert. Und wie immer, wenn Menschen zusammenarbeiten, kristallisieren sich dabei Rudelführer heraus, das sind unsere zwei „Geschäftsführer“, die die Verantwortung nach außen hin tragen. Die unterscheiden sich nur in zwei Dingen von den anderen Mitarbeitern: Sie dürfen Kündigungen aussprechen und haben ein Vetorecht. Ansonsten dürfen bei uns alle alles mitentscheiden. So leben wir unsere Werte vor.
Demokratische Entscheidungen und offene Kommunikation sind in euren Unternehmen sehr wichtig. Welche Strategien habt ihr dazu?
Angelika Weber: Uns ist enorm wichtig, dass man sehr viel, teilweise überkommuniziert, damit die Zuständigkeiten klar sind. Dazu haben wir die verschiedensten internen Kommunikationskanäle und vor allem unsere wöchentliche Sitzung, wo alle Projekte, Finanzen und der aktuelle Stand der Firma durchgegangen werden. Das schaffen wir mittlerweile, durch ein strenges Protokoll, innerhalb von einer halben Stunde. Das wird am Ende an alle ausgeschickt. Generell versuchen wir alles digital zu dokumentieren. Darum bekommen auch Bewerber bei uns am Ende des Vorstellungsgesprächs eine Zusammenfassung dessen, was im Gespräch gesagt wurde und was von uns notiert wurde. Der Prozess ist also auch für den Bewerber transparent.
Michael Botek: Wir haben den Vorteil, dass wir alles genau dokumentieren müssen, weil sich unsere erweiterte Geschäftsleitung, wir nennen das „K-LAN“, eben dauernd verändert. Zur Entscheidungskultur: Wenn etwas nur eine bestimmte Abteilung betrifft, wird gleich direkt in der Abteilung entschieden. Wenn jemand ein übergreifendes Anliegen hat, dann nimmt der aktuelle „Abteilungsleiter“ das mit ins K-LAN. Dort wird dann demokratisch abgestimmt, ob man dem Problem nachgehen soll. Wenn ja, muss derjenige, der es angesprochen hat, sich etwas Neues einfallen lassen. Alle Mitarbeiter, die das Thema interessiert, bilden dann eine Taskforce und arbeiten einen neuen Vorschlag aus. Der kommt dann wieder ins K-LAN und jeder Abteilungsleiter kann den Vorschlag dann noch mal in seiner Abteilung diskutieren lassen.
„So fließen die Einwände und Meinungen aller in die finale Entscheidung ein.“
Michael Botek: Das klingt jetzt zwar furchtbar langsam, macht uns aber in der Umsetzung unheimlich schnell. Denn jeder Mitarbeiter weiß schon vor der Entscheidung Bescheid, worum es geht. Man muss den Sachverhalt nur einmal erklären. Und neben der schnellen Umsetzung sparen wir uns auch die Verärgerung von Einzelnen, weil die nicht informiert wurden. Zudem werden Entscheidungen dadurch sehr gut durchdacht.
Wenn es um Kommunikation geht, würde ich auch gern noch unsere gelbe Karte ansprechen: Das ist eine Art Vorwarnsystem. Angenommen, es passt etwas nicht, kann einer der Geschäftsführer dem Mitarbeiter sagen: „So, wie du jetzt tust, gehts nicht. Hier ist die gelbe Karte. Wenn du so weitermachst, bekommst du die rote.“ Dann wird darüber gesprochen, wo das Problem liegt und was man ändern kann. In diesem Fall gibt es dann klar messbare Halbjahresziele. Wenn die erreicht werden, ist die gelbe Karte wieder weg, ansonsten müssen wir uns trennen. Ganz transparent und easy.
Blogreihe „New Work in der Praxis“ #
Im zweiten Teil sehen wir uns an, wie sich Mitarbeiter aktiv in die Umgestaltung des Arbeitsplatzes einbringen können und was nötig ist, um mehr Partizipation im Unternehmen zu fördern. Im dritten Teil unterhalten wir uns mit Keynote-Speaker Georg Tarne über Ganzheit und gewaltfreie Kommunikation zur Konfliktlösung im Arbeitsalltag.
Über Axtesys #
Axtesys ist ein Software-Unternehmen, das sich sehr an moderner Softwareentwicklung orientiert. Dazu gehören selbstbestimmtes Arbeiten und die Organisation in Kreisen, die wie Smart Services ineinandergreifen, um reibungslos und skalierbar bestmögliche Qualität zu liefern.
Über ITdesign #
ITdesign bietet digitale Lösungen, um Firmen „IT-fit“ zu machen. Aufgrund der stark demokratisch geprägten Organsationsform, die seit mehr als zehn Jahren gelebt wird, wurde das IT-Unternehmen früher teilweise als „Sekte“ belächelt. Veränderung ist einer der Eckpfeiler der Struktur, weshalb es bei ITdesign keine fixe erweiterte Geschäftsführung gibt.
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Redaktion
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