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Unbegrenzt urlaub machen

Unbegrenzter Urlaub: So funktioniert das Modell

Zusammenarbeit Erstellt am: 16. Juli 2019 10 Min.

Urlaub nehmen, so viel man will – das gibts in Österreich erst bei wenigen Arbeitgebern. Wir konnten zwei davon ausfindig machen und durften nachfragen, welche Erfahrungen sie bisher mit dem Modell gemacht haben. 1000things und Objectbay erzählen uns, warum sie sich dazu entschlossen haben, unbegrenzten Urlaub anzubieten, und warum sich mehr Unternehmen trauen sollten, es zu probieren.

Netflix war einer der internationalen Pioniere des unbegrenzten Urlaubs. Seit 2004 dürfen Mitarbeiter dort so viele freie Tage konsumieren, wie sie möchten – vorausgesetzt natürlich, das Arbeitspensum erlaubts. Das Modell fand schnell zahlreiche Nachahmer, allerdings mit unterschiedlichen Ergebnissen. Während die einen über die bessere Work-Life-Balance schwärmten, brach bei anderen ein richtiger Arbeitswahn aus: Unter der Prämisse, dass man nur dann auf Urlaub gehen dürfe, wenn die Arbeit erledigt sei, nahmen sich die Mitarbeiter der Online-Plattform Kickstarter beispielsweise gar nicht mehr frei und das Unternehmen ging zurück zur alten Regelung.

Unbegrenzter Urlaub ist in Österreich noch selten #

In Österreich ist die Idee des unlimitierten Urlaubs noch ziemlich unbekannt und wird bei entsprechend wenigen Firmen angeboten. Wir haben zwei davon zum Interview gebeten, um uns über ihre Beweggründe für die Einführung und ihre Erfahrungen zu berichten:

So kann unlimitierter Urlaub funktionieren #

Es sind zwei Unternehmen aus dem IT- und Medien-Bereich, die sich dafür entschieden haben, die Verantwortung über Urlaub und Arbeitsleistung an ihre Mitarbeiter zu übertragen. 1000things, der „Guide für das moderne Stadt- und Landleben“ mit Sitz in Wien und Objectbay, die Software-Entwickler aus Oberösterreich, haben diese Entscheidung aus unterschiedlichen Gründen, jedoch mit derselben Intention getroffen: eine zukunftsfähige Arbeitsumgebung zu schaffen, in der Mitarbeiter so eigenverantwortlich wie möglich tätig sein dürfen.

Unbegrenzter Urlaub bei 1000things #

Über Jan Pöltner und die Idee hinter 1000things haben wir bereits in einer unserer „Willst du, kannst du.“-Stories berichtet. Schon im Video wurde ersichtlich, wie wichtig Freiheit für Jan ist und wie er diese Einstellung an seine Mitarbeiter weitergibt. Ein logischer Schritt: Urlaub ohne Limit. Im Interview erzählen uns Jan und Chefredakteurin Viktoria, wie das bei 1000things funktioniert.

Jan, warum hast du dich dafür entschieden, deinen Mitarbeitern unbegrenzten Urlaub zu gewähren?

Jan Pöltner: Das hat sich bei uns einfach so ergeben. Ich selbst bin immer schon sehr gern viel gereist beziehungsweise bin ich nach wie vor sehr viel in der Weltgeschichte unterwegs. Das wollte ich auf alle Mitarbeiter übertragen. Wir leben deshalb bei uns ein sehr offenes Modell. Du kannst dir so viel oder so wenig Urlaub nehmen, wie du willst. Das wird auch nicht überprüft.

„Solange die Arbeit passt, die Kundenzufriedenheit passt und die interne Zufriedenheit passt, funktioniert das Modell.“

Jan Poeltner 225x300

Jan Pöltner: Unsere Kollegin zum Beispiel war heuer über den Winter sechs Wochen in den USA. Zwei Wochen davon hat sie auch ein bisschen von unterwegs gearbeitet und den Rest ist sie herumgefahren.

Eure Mitarbeiter dürfen also auch aus dem Urlaub arbeiten? Dann ist es ja kein Urlaub mehr …

Jan Pöltner: Klar nimmt man manchmal den Laptop mit, aber es ist uns auch ganz, ganz wichtig, zu sagen: Du sollst das jetzt nicht als Work and Travel sehen, sondern wirklich abschalten und den Urlaub genießen. Aber wie du das machst, liegt in deiner Eigenverantwortung. Das ist eine sehr weite Leine und sehr auf Vertrauen basiert, aber es funktioniert. Ich glaube auch, dass das die neue Art sein wird, wie in Zukunft gearbeitet wird. Und wir haben auch schon viele Leute gehabt, die genau deswegen zu uns gewechselt sind. Weil wir sehr hohe Abeitsqualität bieten, weil nicht kontrolliert wird, wie viel du arbeitest, wie viel Urlaub du hast, wie viel Homeoffice du machst oder wie wenig … Und das haut hin. In den fünf Jahren, die es uns jetzt gibt, hatten wir kein einziges Mal den Fall, dass das jemand ausgenützt hätte und irgendwie 30 Wochen auf Urlaub war oder nur mehr Homeoffice gemacht hat.

Ein Modell wie das eure braucht sehr viel Vertrauen vom Chef, aber vor allem auch Eigenverantwortlichkeit von den Mitarbeitern. Wie schafft ihr das?

Viktoria Klimpfinger: Absolut, ohne Vertrauen und Verantwortungsbewusstsein geht das nicht. Ich glaube, wenn alle den Job ein bisschen als ihr Baby betrachten, dann gehts auch allen darum, etwas zum Erfolg beizutragen. Man will die anderen ja nicht runterziehen, sondern geht dann gern in die Arbeit und will was weiterbringen. Es ist aber super angenehm, zu wissen, dass man einfach abschalten kann, wenn man abschalten will und ich glaub, keiner von uns hat das Bedürfnis, das auszunützen. Es geht uns eh so gut im Job, warum sollten wir das also?

Jan Pöltner: Ich glaub, allein schon das Wissen, dass man sich so viel Urlaub nehmen könnte, wie man will, ist viel wert und bietet so viel Lebensqualität, dass man das nicht ausnützt. Und das trägt sicher viel dazu bei, dass man sich im Job wohlfühlt.

Wie läuft der unlimitierte Urlaub bei euch konkret ab?

Viktoria Klimpfinger: Wir haben einen online-Urlaubsplan, in den man sich einträgt. Wichtig ist schon, und das haben wir auch im Team ausgemacht, dass von den einzelnen Departments nicht alle gleichzeitig weg sind. Das wär einfach kontraproduktiv.

Jan Pöltner: Vor allem bei unserer Größe – wir sind ja „nur“ 15 Leute, da würde es nicht funktionieren, wenn jetzt fünf Leute gleichzeitig auf Urlaub sind. Da muss man sich schon abstimmen, vor allem, wenn es um längere Urlaube geht. Bei drei, vier Wochen auf jeden Fall. Wenns jetzt nur um ein verlängertes Wochenende geht, ist es egal, das kann man bei uns auch ganz spontan entscheiden. Wenn ich am Donnerstag länger bleib und die Arbeit erledigt ist, nehm ich mir halt Freitag frei, das ist kein Thema.

Wie lang war der längste Urlaub bisher?

Jan Pöltner: Ich glaub, das waren die sechs Wochen USA gerade eben.

Kommen wir noch mal zurück zu „Work and Travel“. Wie funktioniert dieses Modell bei euch?

Jan Pöltner: Also, das ist kein Modell in dem Sinn. Im Fall der einen Kollegin wars eben so, dass sie doch noch ein bisschen was zu tun hatte und das von unterwegs aus erledigen wollte. Das geht natürlich. Wir betonen aber immer sehr stark, dass du dir das Handy oder den Laptop nicht mit in die Freizeit nehmen und permanent nachsehen sollst. Das ist uns total wichtig, dass man zum Beispiel Slack, das wir als Kommunikationstool verwenden, sofort beim Rausgehen abdreht.

„Wir sind zwar ein Online-Unternehmen, aber wir wollen keine permanente Erreichbarkeit, denn das macht dich wirklich kaputt.“

Viktoria Klimpfinger 225x300

Jan Pöltner: Man sieht das ja bei vielen Agenturen, wie groß die Fluktuation dort ist. Bei manchen Agenturen, mit denen wir zusammenarbeiten, haben wir jedes Monat eine neue Kontaktperson. Eh klar, da bist du nur gestresst, hast 70-Stunden-Wochen, bist bis Mitternacht erreichbar – und das wollen wir nicht. Die letzte Kündigung hatten wir bei uns im Marketing vor eineinhalb Jahren. Das ist für ein Medienhaus etwas sehr Seltenes und spricht sehr für den Teamzusammenhalt und die Zufriedenheit im Job – obwohl wir keine Klimaanlage haben …

(Anm.: Am Tag des Interviews ist es wahnsinnig heiß, weshalb sich Jan und Viktoria sehr über die angenehm klimatisierten Räume im karriere.at-Headquarter in Linz freuen.)

Unbegrenzter Urlaub bei Objectbay #

Objectbay ist ein Software-Unternehmen mit Hauptsitz in Traun, Oberösterreich. In anonymen Arbeitgeberbewertungen erreicht es top Platzierungen und macht mit innovativen Arbeitskonzepten auf sich aufmerksam. Der unbegrenzte Urlaub ist aber mit Sicherheit der herausragendste Benefit der Firma. Annalena Ulamec, zuständig für People Operations, erklärt uns, warum sie das Modell nur weiterempfehlen kann.

Annalena, seit wann bietet ihr euren Mitarbeitern unbegrenzten Urlaub an und warum?

Annalena Ulamec: Wir haben im Jahr 2016 damit gestartet. Ein Kollege hatte damals alle Urlaubstage zum Lernen für sein Studium aufgebraucht und keine mehr für unseren Betriebsurlaub zu Weihnachten übrig. Unser Geschäftsführer hatte sich zu dem Zeitpunkt schon mit dem Modell des unbegrenzten Urlaubs bei Netflix beschäftigt und hat dann die Idee geboren: Warum probieren wir es nicht einfach? Die Produktivität in der Softwareentwicklung ausschließlich nach gearbeiteten Stunden zu messen, ist nicht mehr richtig zeitgemäß, da diese von ganz anderen Faktoren wie eben der Motivation, dem Wohlbefinden und dem sozialen Umfeld am Arbeitsplatz abhängen.

„Das Ergebnis ist wichtig – nicht, wie lang man anwesend ist. Deshalb haben wir uns gedacht, das probieren wir einfach.“

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Viele Firmen hätten in eurem Fall wohl eher gesagt: Wenn du keine Urlaubstage mehr hast, musst du eben arbeiten oder du bekommst weniger Gehalt. Da hast du Pech. War das für euch keine Option?

Annalena Ulamec: Man muss dazu sagen, wir sind ein agiles Unternehmen. Wir haben uns den agilen Prinzipien verschrieben und bringen unseren Mitarbeitern entsprechend viel Vertrauen entgegen. Durch diese Selbstorganisation und die Eigenverantwortung funktioniert das sehr gut. Also, nein, für uns war es keine Option, dass der Mitarbeiter sich alleine ins Büro setzt oder weniger Gehalt bekommt.

Wie setzt ihr das Modell bei euch um?

Annalena Ulamec: Natürlich hat jeder seine gesetzlichen 25 Tage Urlaub. Wenn dieser Anspruch aufgebraucht ist, dann kann man den unlimitierten Urlaub in Anspruch nehmen. Wir sind zwar, wie jeder andere Arbeitgeber in Österreich auch, dazu verpflichtet, darüber Aufzeichnungen zu führen, aber wir kontrollieren nicht, wer sich wie viel Urlaub nimmt. Am Ende des Jahres wird das Urlaubskontingent auf Null gesetzt und jeder hat wieder seinen Anspruch von fünf Wochen – oder eben mehr.

Wie wird die Möglichkeit bei euch angenommen?

Annalena Ulamec: Im ersten Jahr war das noch sehr neu für alle und es wurde nur zaghaft angenommen. Aber in den letzten beiden Jahren trauen sich unsere Mitarbeiter mehr und nützen das Angebot sehr gut.

Manche Firmen befürchten wahrscheinlich, dass ihre Mitarbeiter gleich mal für zwei Monate verschwinden, sobald sie das anbieten. Wie sind eure Erfahrungen?

Annalena Ulamec: Da muss ich etwas ausholen. Aber zwei Monate geht niemand auf Urlaub, so viel ist klar. Die Kundenzufriedenheit steht bei uns an oberster Stelle und unsere Teams „committen“ sich gemeinsam einem Kunden, einem Projekt gegenüber. Entsprechend machen sie sich selbstständig aus, wann jemand auf Urlaub geht.

„Genau durch diese Eigenverantwortung, diese Selbstorganisation, sagt niemand einfach zu den anderen: So, Tschüss! Ich bin jetzt für zwei Monate weg!“

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Wer bietet unlimitierten Urlaub?

Wenn ihr weitere österreichische Unternehmen kennt, die das Modell des unlimitierten Urlaubs leben, verratet es uns in den Kommentaren! Wir sind gespannt.

Annalena Ulamec: Der Grund ist, dass man sich gemeinsam zu etwas verpflichtet hat und auch dazu steht. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Unsere Teams sind selbst dafür verantwortlich, dass ihr Projekt gut läuft und der Kunde zufrieden ist. Darum lässt niemand seine Kollegen einfach so im Stich.

Also ist der unbegrenzte Urlaub eine Frage des Vertrauens und Zutrauens.

Annalena Ulamec: Ja, und dabei ist sehr wichtig, dass auch die Geschäftsführung den Mitarbeitern das nötige Vertrauen entgegenbringt. Das spürt man bei uns absolut. Wie schon gesagt, uns allen ist es am wichtigsten, dass die Kunden zufrieden sind. Aber wir wissen auch, dass Mitarbeiter besser arbeiten, wenn sie ausgeruht sind. Wenn man bewusst Stunden aufbauen muss, um sich den nächsten Zwickeltag freinehmen zu können, sorgt das für Stress und so eine Arbeitsatmosphäre möchten wir nicht.

Habt ihr einen positiven Effekt im HR gemerkt?

Annalena Ulamec: Der unbegrenzte Urlaub bringt uns durchaus Aufmerksamkeit im Recruiting und Bewerber oder Interessierte auf Messen fragen immer wieder nach, was es damit auf sich hat. In Österreich ist dieses Modell noch sehr unbekannt und viele können es kaum glauben. Auf die Mitarbeiterzufriedenheit hat es sich auf jeden Fall positiv ausgewirkt. Bei unseren Umfragen wird immer wieder angegeben, dass unsere Mitarbeiter diese Freiheit sehr genießen und schätzen.

Gab es auch negative Effekte oder Probleme damit?

Annalena Ulamec: Nein, damit gibt es keine Probleme. Wie gesagt, das Gute an der Selbstorganisation ist, dass sich die Teams selbstständig ausmachen, wer wann auf Urlaub gehen darf. Der Geschäftsführer entscheidet diesbezüglich gar nichts.

Ich habe von Unternehmen gelesen, die wieder auf eine fixe Anzahl von Urlaubstagen zurückgewechselt haben, weil sich die Mitarbeiter letztlich weniger frei genommen haben als vorher. Kannst du dir das vorstellen?

Annalena Ulamec: Also, bei uns ist das definitiv nicht so … Ich kann es mir aber vorstellen, wenn es keine ausreichende Vertrauenskultur gibt. Eigenverantwortung und Selbstorganisation müssen von der Geschäftsführung vorgelebt werden. Wenn das nicht der Fall ist, trauen sich die Mitarbeiter natürlich nicht. Wenn die Geschäftsführung ihr Vertrauen aber klar kommuniziert und die Mitarbeiter das spüren, dann funktioniert das.

Würdest du anderen Unternehmen empfehlen, unbegrenzten Urlaub auszuprobieren?

Annalena: Ja, definitiv! Der unbegrenzte Urlaub ist ein ultimativer Vertrauensbeweis den Mitarbeitern gegenüber. Vertrauen schafft Motivation und damit auch mehr Produktivität. Außerdem arbeitet es sich auch viel entspannter – und das ist eine super Sache!

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Bildnachweis: shutterstock/Dean Drobot; 1000things; objectbay


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