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Digitale weiterbildung

Keine Angst vor Weiterbildung! Erkenntnisse eines „digitalen Nachzüglers“

Arbeitsleben Erstellt am: 08. Oktober 2020 9 Min.

Weiterbildung, lebenslanges Lernen: altbekannte Schlagworte, die nur von wenigen gelebt werden. Schuld daran ist unser Verständnis von Lernen, meint Bildungsexperte Christoph Schmitt. Wie eine neue Art des Lernens aussehen muss und warum mangelnde Lernbereitschaft riskant ist, hat er im Interview erzählt.

Bildung: Was vornehm klingt, wird plötzlich zur lästigen Pflicht, sobald ein "Weiter" davor steht. Wenn man dann auch noch etwas dabei „lernen“ muss, hört sich der Spaß für die meisten ganz auf. „Auf meine alten Tage lern ich nix Neues mehr!“, hört man nicht selten von Menschen, die gerade mitten im Berufsleben stehen.

Besonders groß wird die Ablehnung von Weiterbildungsmaßnahmen, wenn es sich um den ominösen Themenkomplex der „Digitalisierung“ handelt. Das kennt auch der ehemalige Lehrer und Hochschuldozent Christoph Schmitt. Er hat sich als „digitaler Nachzügler“ in die Materie eingearbeitet und ein Buch über seine Erfahrungen geschrieben. Bei der Freiräume (Un)Conference hält er eine Keynote darüber, wie wir Lernen neu lernen können und was Digitalisierung damit zu tun hat. Wir haben ihn vorab zum Interview gebeten.

Wer Weiterbildung am meisten braucht #

Craig Vezina von der Z-School hat gesagt, dass man immer dann am meisten lernt, wenn etwas unmittelbar mit der eigenen Lebensrealität zu tun hat. Deswegen seien Fortbildungsmaßnahmen sinnlos, wenn das Gelernte dann nicht im Arbeitsalltag angewendet werde.

Christoph Schmitt: Ja, genau. Das ist das alte Organisationsmodell von Bildung: Ich lerne irgendwo etwas, aber danach komm ich wieder in die Firma und schaffe Umsatz für meinen Arbeitgeber. Das funktioniert in der Kultur der Digitalität nicht mehr, weil das technische Entwicklungen einerseits überflüssig machen und andererseits der schnelle Wandel, in dem wir uns befinden, mehr Vernetzung von Bildung beziehungsweise Lernen und Arbeit erfordert. Das Problem ist, dass viele Menschen das immer noch nicht verstanden haben. Ich sehe auf der einen Seite sehr starke Automatisierungs- und Technologisierungstendenzen, auf der anderen Seite sehe ich aber, dass die Menschen sich nicht adäquat darauf vorbereiten – weder in der Ausbildung, noch in der Weiterbildung. In den Bibliotheken, Warenhäusern und vielen anderen Bereichen ist das analoge Denken noch die Norm.

„Gerade in den Berufen, die am meisten von der Automatisierung betroffen sind, bilden sich die Menschen am wenigsten weiter.“

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Gleichzeitig schreitet die Digitalisierung in einem Affenzahn voran und Menschen in ihren täglichen Arbeiten in der Verwaltung, im Büro oder an der Kasse werden immer noch so geführt und eingesetzt, als ob es das alles gar nicht gäbe. Und, was am schlimmsten ist: Gerade in den Berufen, die am meisten von der Automatisierung betroffen sind, bilden sich die Menschen am wenigsten weiter. Das ist ein hohes Risiko. Ich möchte aber keine Angst schüren, sondern wünsche mir vielmehr, dass wir eine neue Lernkultur schaffen. Das wäre das Gebot der Stunde.

Wie geht man vor, wenn man sich besser an diese neue Art des Lernens und der Weiterbildung anpassen möchte?

Christoph Schmitt: Ich sehe da vor allem den Beitrag des Individuums besonders stark gefragt. Nicht mehr warten, dass irgendjemand deinem Ansuchen zustimmt und ein Budget freigibt, sondern du selbst fängst möglichst bald damit an, dich mit neuen Dingen zu beschäftigen. Das kann über digitale Netzwerke sein, wo man sich mit anderen über aktuelle Veränderungen in der Branche austauscht. Man kann gar nicht früh genug damit beginnen, zu verstehen, wie wichtig diese Vernetzung ist und dass man sich allein darüber schon viele wichtige Kenntnisse aneignen kann. Dann gibt es aber auch einen institutionellen Zugang, wo es eine Art zivilen Ungehorsam geben muss: Lehrpersonen, die anders unterrichten als üblich, HR-Manager, die Recruiting und Mitarbeiterführung anders gestalten als vorgegeben. Das braucht aber auch wieder das Individuum. Du musst selbst damit anfangen. Diese Erfahrung habe ich am eigenen Leib gemacht.

Lernen wird zum Selbstläufer: Erfahrungen als „digitaler Nachzügler“ #

Möchtest du uns von deinen Erfahrungen erzählen?

Christoph Schmitt: Ich habe einige Jahre an der Hochschule Luzern unterrichtet und mitbekommen, dass Informatik-Studierende noch während des Studiums von Firmen über soziale Netzwerke angeworben wurden. Das waren teilweise Bachelor-Studierende im vierten Semester, die so eine tolle online-Präsenz und beeindruckende Portfolios hatten – das hat mich fasziniert. Also habe ich mich damit beschäftigt, wie man sich diese Präsenz in digitalen Netzwerken aufbaut, wie man ein Portfolio für eine Online-Bewerbung erstellt. Ich musste außerdem erst mal herausfinden, wo die Communitys sind, die sich mit den Themen beschäftigen, die mich interessieren. Wie kommuniziere ich innerhalb dieser Communitys? Wie kann ich einerseits nützlich für diese Netzwerke sein, andererseits selbst davon profitieren?

Deine Erfahrungen hast du auch in einem Buch niedergeschrieben. „Digitalisierung für Nachzügler“ heißt es. Was war denn dein Antrieb, dich überhaupt mit Digitalisierung zu beschäftigen?

Christoph Schmitt: Mein Problem war, dass ich in den klassischen Systemen als Lehrer am Gymnasium oder als Dozent an der Universität gemerkt habe, dass die Art, wie wir Lernen lernen bereits sinnlos ist. Ich wollte meine Erfahrungen mit anderen teilen und Menschen finden, mit denen ich darüber ins Gespräch kommen kann. Ich habe dann ein Blog gestartet und irgendwann waren es so viele Artikel, dass ich mir gesagt habe, ich versuche ein eBook. Also musste ich verstehen, wie man eBooks macht, wie ich sie vermarkten kann, welche Vertriebskanäle es gibt. Ich wollte einfach meine Erfahrungen, mein Wissen, meine Meinungen mit anderen teilen und musste lernen, wie ich das mit den modernen Kommunikationskanälen machen kann.

Wie hast du das herausgefunden, wenn es dir niemand beigebracht hat?

Christoph Schmitt: Ich hab es mir selbst beigebracht. 2015 habe ich einen MOOC mitgemacht zum Thema Arbeit 4.0. Da ging es um die ersten Bewegungsabläufe sozusagen. Ich habe Slack kennengelernt als Kollaborationstool und gesehen: Ah, so kann ich kommunizieren, so funktioniert ein Blog und so weiter. Und dann wurde es zum Selbstläufer. Denn sobald ich irgendetwas nicht kann, zapfe ich mein persönliches Netzwerk an, schaue TED-Talks oder suche mir Youtube-Tutorials und lerne dadurch Neues.

Tipp: Am Blog empfehlen wir regelmäßig unsere beliebtesten TED-Talks, zum Beispiel in diesem Artikel:

Best-of TED-Talks: 5 inspirierende Vorträge, die du sehen solltest

Erstellt am: 19. Mai 2016 6 Min.

Was 1984 als Innovations-Konferenz in Kalifornien begann, hat mittlerweile die ganze Welt erobert: Die Rede ist von TED-Talks - kurze Keynotes, die sich rund um Technologie, Gesellschaft, Unterhaltung und Design drehen. Zur Einstimmung auf die Wiener TEDx im Herbst gibt es bereits heute ein paar Empfehlungen aus hunderten TED-Talks, die bereits online verfügbar sind.

Eigenverantwortliches Lernen ist die Zukunft, auch im Beruf #

Das ist eine ganz eigenverantwortliche Art des Lernens, wie es sich vermutlich auch Lehrer von ihren Schülern oder Chefs von Mitarbeitern wünschen würden.

Christoph Schmitt: Ja, genau. Aber dazu muss man auch mit der Zeit gehen. Ich habe gerade erst gesehen, dass zwei große Handelsketten für Unterhaltungselektronik hier in Leipzig Digitalisierungsworkshops für Kinder anbieten. Das finde ich toll, aber das ist genau das, was die Schulen nicht machen. Die digitalisieren vielleicht die Klassenzimmer und nehmen den Umgang mit sozialen Medien in den Unterricht auf. Aber wie man das Lernen digitalisieren kann und welche Schulungen und Weiterbildungen Lehrerinnen und Lehrer bräuchten, um die Angst davor zu verlieren, das ist kein Thema. Digitalisierung ist eine neue Kulturtechnik, das müsste im Bildungssystem mal ankommen.

„Digitalisierung ist eine neue Kulturtechnik.“

Apropos Bildungssystem: In einem deiner TED-Talks sagst du: Schule macht nicht hungrig, Schule macht satt. Es bräuchte also mehr Lernformate, die neugierig machen, die mehr Fragen aufwerfen, als sie beantworten können. Du hast in deiner Zeit als Lehrer „den Unterricht abgeschafft“, wie du in deiner Selbstbeschreibung angibst, um die Rahmenbedingungen für dieses eigenverantwortliche, hungrig machende Lernen zu schaffen. Wie hast du das gemacht?

Christoph Schmitt: Das war in einem Abiturfach am Gymnasium. Also kein Orchideenfach, wie manche vielleicht glauben. Und ich habe tatsächlich einfach das Format „Unterricht“ abgeschafft. Dieses „Dingdong. Platz nehmen, Unterricht bis Dingdong, Hausaufgabe, fertig.“ Diese ganzen Unterrichtsformate habe ich abgeschafft und stattdessen erklärt, welche Rahmenbedingungen wir haben, die inhaltlich vorgegeben sind, weil sie für unser Fach sinnvoll sind. Wir mussten also erst einmal alle aus dem alten Schema raus und verstehen, wie das geht, dass wir selbst – die Schüler und ich – die Verantwortung über Lerninhalte und Ergebnisse haben. Das hat unglaublich Spaß gemacht und mir selbst sehr geholfen, zu verstehen, wie ich anderen helfen kann, aus diesem klassischen Mindset auszusteigen. Das war für mich eine sehr wertvolle Erfahrung, über die ich dann auch mein Buch „Bildung auf Augenhöhe“ geschrieben habe.

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Diese Art des Lernens klingt stark nach unternehmerischem Denken, wie die Arbeit in einem agilen Team: Es gibt Rahmenbedingungen, es gibt Ziele, aber wie man sie erreicht, steht einem frei. Wie seid ihr da vorgegangen?

Christoph Schmitt: Ja, das mussten wir erst mal lernen. Was brauche ich als Schüler, um überhaupt selbstständig arbeiten zu können? Wie geh ich mit der Verunsicherung um, wenn ich nicht weiß, wo ich anfangen soll? Das sind ja die eigentlichen Lerneffekte. Fragen wie „Was ist der Unterschied zwischen Ethik und Moral?“ sind dann eher sekundäre Learnings. Wir haben quasi die Lerninhalte „missbraucht“ um an ihnen zu lernen, wie Projektarbeit und Teamwork funktionieren, wie man auch die unterschiedlichen Charaktere sinnvoll einsetzt, und was sinnvolle Präsentationsformen sind.

„Viele bilden sich privat quasi zum Airbus-Piloten aus und müssen im Job zurück in die Propellermaschine.“

Mittlerweile bist du im Coaching tätig und berätst vor allem HR-Manager. Wie kann man diese Form des Lernens in der beruflichen Weiterbildung umsetzen?

Christoph Schmitt: Ich berate Unternehmen zur Organisationsentwicklung. Oft muss man erst die organisationalen Rahmenbedingungen schaffen, damit sich das Individuum darin weiterentwickeln kann – das wäre auch im Bildungsbereich so. Viele Lehrerinnen und Lehrer sind top vernetzt und kennen sich digital bestens aus, bilden sich privat quasi zum Airbus-Piloten aus und müssen dann zurück in die Propellermaschine. In den Unternehmen beginnen wir immer damit, dass wir uns anschauen, wie sich die Organisationsstruktur verändern muss, damit Weiterentwicklung möglich wird. Und das beginnt immer mit dem Mindset. Wenn ich verstehe, welche Denkweisen warum nicht mehr zeitgemäß sind, kann Veränderung gelingen.

Über die Person #

Christoph Schmitt ist Gestalter innovativer Lernprozesse. Als systemischer Coach bringt er Menschen in Kontakt mit ihren Ressourcen und unterstützt Organsiationen bei der Teamentwicklung. Auf seiner Website www.bildungsdesign.com/ bietet er Blog-Artikel, Videos und Podcasts rund um innovatives Lernen, Weiterentwicklung und Digitalisierung.


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