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Entspannen im wald

Tief durchatmen! Weniger Stress durch Waldyoga

Gesundheit Erstellt am: 15. Mai 2019 6 Min.

Wer regelmäßig in den Wald geht, baut Stress besser ab. Das ist wissenschaftlich erwiesen. In Japan gibt es Waldbesuche daher bereits auf ärztliche Anordnung – Waldbaden heißt das dann. Daran orientiert sich ShinrinYoga: Entspannungsübungen, die die positive Wirkung des Waldes nützen. Waldyoga-Trainerin Angelika Gierer verrät uns mehr darüber und gibt Tipps, wie man sich den Wald ins Büro holen kann.

Hektik im Job, Troubles in der Familie und zu wenig Zeit für sich selbst: Stress ist eine der häufigsten Zivilisationskrankheiten und verantwortlich für viele körperliche und seelische Leiden. Kein Wunder, dass sich die meisten Menschen nach mehr Einfachheit sehnen und sich mehr Bezug zur Natur wünschen. „Die am häufigsten gebuchte Unterkunft auf Airbnb ist eine einfache Holzhütte in den Redwoods in Kalifornien“, verdeutlicht Angelika Gierer, ShinrinYoga-Trainerin. Im Interview erklärt sie, warum der Wald so gut für uns ist und wie Teams durch Waldyoga besser werden können.

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Angelika Gierer

Wie der Wald Stress reduziert #

Angelika, sobald man in den Wald geht, fühlt man sich meist besser. Man atmet tief durch und wird ruhiger. Warum wirkt der Wald so positiv auf Körper und Geist?

Angelika Gierer: Was wir immer schon gespürt haben, das wurde die letzten dreißig Jahre wissenschaftlich bestätigt: Der Wald wirkt auf den Teil des vegetativen Nervensystems, der für die Entspannung zuständig ist. Über die Terpene in der Waldluft, das sind jene sekundären Pflanzenstoffe, über die die Bäume im Wald kommunizieren, wirkt er auch sehr positiv über die Atmung auf das Immunsystem. Das geht bis hin zur Zellregeneration.

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Das Wood Wide Web

Wenn Bäume von Schädlingen befallen werden, geben sie Duftstoffe ab, um die anderen Bäume zu warnen. Auch unterirdisch sind die Pflanzen im Wald über das mykorrhizale Netzwerk verbunden, um miteinander zu kommunizieren. Im Waldyoga versucht man, von dieser Verbundenheit zu lernen.

Ist Wald gleich Wald oder gibts da Unterschiede?

Angelika Gierer: Naja, ein Nadelbaumwald verströmt mehr dieser Terpene. Aber am besten ist sicherlich ein gesunder Mischwald, der möglichst wild belassen wird. Am entspannendsten wirkt der übrigens, wenn er nicht sehr dicht ist. Das hat mit unserer Evolution, mit Flucht- und Schutzinstinkt zu tun – unserem Gehirn wird suggeriert: Da ist die Gefahr sichtbar.

Gerade in städtischen Gegenden gibts nicht mehr sehr viel Wald. Spielt die Größe eine Rolle?

Angelika Gierer: Auch wenn du nur ein bisschen Natur hast: Geh dort hin! Wenn man in der Nähe eines Waldes wohnt, auch wenn er klein ist, hat das eine unheimlich positive Wirkung auf das Herz-Kreislauf- und das Immunsystem. Hauptsache Bäume, Hauptsache Natur. Man weiß auch aus der Krankenhaus-Forschung, dass Menschen, die auf grün blicken können – und wenn es nur ein Baum ist – viel schneller genesen.

Waldyoga zur Entspannung im Arbeitsalltag #

Wie nützt man den Wald im ShinrinYoga?

Angelika Gierer: Da geht es um Achtsamkeit und Sinneswahrnehmungen. Zuerst schütteln wir alles Belastende außerhalb des Waldes ab und fahren bewusst auf ein Schneckentempo runter. Wir machen Atemübungen und konzentrieren uns auf unsere Sinne, wie beim klassischen Waldbaden: Man lauscht dem Rauschen und entdeckt die riesige Klangwolke des Waldes. Dann achten wir bewusst auf das taktile Empfinden der Hände, auf den Geruchssinn und auf unser Sehen. Wir schauen zum Beispiel mal eine Viertelstunde nur auf einen Fleck und entdecken die Vielfalt im Waldboden, schulen dabei unsere Achtsamkeit. Oder wir blicken in die Ferne und tun unseren Augen etwas Gutes.

ShinrinYoga hat aber den Fokus auf die Füße, auf die Verwurzelung. Es geht darum, rauszukommen aus dem digitalen Raum, aus dem Alltagstrott. Über die Füße kommen wir am schnellsten raus aus diesen Gedanken, die uns so sehr stressen. Wir sind alle sehr verkopft oder schweben irgendwo in unseren Gedanken herum und sind nicht in unseren Körpern. Darum geht es mir beim ShinrinYoga: Wieder mehr zu sich zu kommen, den eigenen Körper spüren und damit Blockaden und Verspannungen abbauen. Und das fördert natürlich auch die Kreativität.

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Die Lotusblume, eine gruppenstärkende Übung im Shinrin-Yoga

Wie nützt ShinrinYoga im Berufsalltag?

Angelika Gierer: Gerade am Beispiel der Augen kann man das gut erklären. Wir schauen ja alle immer viel zu nahe, indem wir vorm Bildschirm arbeiten oder viel lesen. Über ShinrinYoga kann ich dieses Fern-Schauen, also in die Ferne sehen, aber trainieren. Und dann kann man sogar im Büro mit geschlossenen Augen den Blick in die Ferne gleiten lassen, indem man sich den Wald vorstellt. Man erinnert sich sofort an den Geruch, an die Geräusche und die Weite. Stell dir zum Beispiel vor, du beißt in eine Zitrone. Da fließt sofort der Speichel und du spürst vielleicht sogar, wie sich der Mund zusammenzieht. Also über die Vorstellungskraft allein kann man schon viel im Alltag bewirken – und um sich den Wald gut vorstellen zu können, muss man eben immer wieder hingehen und seine Erinnerung mit neuen Eindrücken speisen.

Positive Teamerfahrungen und der Wald im Büro #

Warum sind deine Kurse speziell für Teams?

Angelika Gierer: Ich denke, dass gerade Teams sehr davon profitieren. So wie die Bäume durch das www (das Wood Wide Web) miteinander verbunden sind , so wird hier intuitiv die Erfahrung integriert, dass man Teil eines großen Ganzen ist, was nachhaltig achtsamer macht. Das fördert die Herzlichkeit, die gegenseitige Akzeptanz und das Wohlwollen. Alle diese Eigenschaften kann man trainieren wie einen Muskel und das bereichert ein Team sehr. Das Schöne daran ist: Was man lieben gelernt hat, will man nicht mehr zerstören. Sei es das Teamgefüge, der eigene Körper oder die Natur.

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Waldyoga ist gut für die Balance im Team

Wenn man nicht so oft in den Wald gehen kann: Wie kann man sich den Wald nach innen holen?

Angelika Gierer: Über Düfte kann man sich wunderbar den Wald ins Büro holen. Wir reagieren ja sehr stark auf Gerüche, und die ätherischen Öle in beliebten Raumdüften wie Zeder oder Tanne, das sind in Wahrheit diese Terpene, die von den Baumharzen abgesondert werden. Ich nütze in meinen Indoor-Kursen neben Düften auch Holztools für die haptische Erfahrung. So kann man sich den Wald sehr gut nach innen holen.

„Schon dreimal drei Minuten am Tag sind pure Stressreduktion!“

Viele Menschen entspannen auch gern durch Meditation. Worum gehts in deiner „Mindful Movement Meditation“?

Angelika Gierer: Da gehts um Wiederholungen: Das Gehirn profitiert sehr von repetitiven Handlungen. Dabei kann der Geist abschweifen, das ist ganz normal. Früher hat man gedacht, Meditieren heißt, nichts zu denken. Die Leute haben versucht, die Gedanken wegzuschieben und sich selbst verurteilt, wenn wieder ein Gedanke aufgetaucht ist. Aber darum geht es gar nicht. Es geht darum, die Wahrnehmung auf den Körper zu lenken und eine Art Reset zu bewirken. Man braucht dazu gar nicht viel: Schon dreimal drei Minuten am Tag sind pure Stressreduktion.

Über Angelika Gierer #

Mag. Angelika M. Gierer, Trainerin, Ausbildnerin und Gründerin von ShinrinYoga, lebt seit 1992 in Wien. Als ausgebildete Yoga- und Waldbaden-Trainerin vereint und verbreitet sie die Essenz aus ursprünglichem Yoga, buddhistischen Achtsamkeitspraktiken und japanischer Waldwissenschaft. Neben eigenen Ausbildungsangeboten begleitet sie Privatpersonen, Führungskräfte und ganze Teams in den Wald – indoor/imaginär sowie outdoor/real.

Bildnachweis: shutterstock/Kokulina; Werner Sedivy


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