Zum Seiteninhalt springen
Zurück zu Zusammenarbeit
Feder

Zu sensibel für den Job? - „Hochsensibilität ist eine Gabe“

Zusammenarbeit Aktualisiert am: 09. Juni 2020 3 Min.

Schätzungsweise 15 bis 20 Prozent aller Arbeitnehmer*innen kann man als „hochsensibel“ bezeichnen, was bedeutet, dass ihr Nervensystem einfach weitaus empfindlicher und aufnahmefähiger ist als bei anderen Menschen. Was aber auch Probleme mit sich bringen kann. Ronald Lengyel, Experte auf diesem noch nicht breitenwirksam diskutierten Gebiet, im karriere.at-Interview.

Begriffsdefinition #

Was versteht man unter dem Begriff Hochsensibilität? Wie äußert sich diese in der Arbeitsumgebung? Können Sie exemplarisch ein Beispiel anführen?

Ronald Lengyel: Hochsensible Menschen haben ein besonders empfindliches Nervensystem und nehmen dadurch viel mehr Informationen auf, weiter reagieren sie viel empfindlicher auf Reize aus ihrer Umwelt. Man spricht von Hochsensibilität, wenn man Geräusche, Licht, Gerüche, Druck, Hitze, Kälte, Stimmungslagen und Sinnzusammenhänge intensiver wahrnimmt als andere Menschen. Diese Eindrücke werden tiefer verarbeitet und führen schneller zu einer Überstimulation als bei einem nicht hochsensiblen Menschen.

Ein Beispiel dazu ist, dass hochsensible Mitarbeiter oft große Konzentrationsprobleme in Großraumbüros haben, da ständiges Telefonläuten, die Geräuschkulisse durch Gespräche von Kolleg*innen oder eine kühle Büroatmosphäre für sie Stressfaktoren sind.

Unterscheidung #

Wie unterscheiden sich hochsensible Menschen von „normal“ sensiblen Personen?

Ronald Lengyel: Positiv besetzte Aspekte sind: Ausgeprägte Fähigkeit zwischen den Zeilen zu lesen, hohe Intuition, starker Gerechtigkeitssinn, großer Idealismus, hohe Feinfühligkeit, intensives Empfinden und Wahrnehmen von Erlebtem, Genauigkeit und Verlässlichkeit, sehr gute Wahrnehmung von Details, tiefe Reflexionen und Denken in großen Zusammenhängen und hohe Kreativität.

Negativ besetzte Aspekte sind hingegen: Geringe Stressresistenz, Neigung zu diversen Überempfindlichkeiten (Allergien, Nahrungsmittel), Abgrenzungsschwäche, hohe Schreckhaftigkeit, Neigung zu Überreaktionen, rasche Gereiztheit, hohes Rückzugsbedürfnis, häufiges Überforderungsgefühl.

Bedürfnisse von hochsensiblen Menschen #

Welche besonderen Bedürfnisse entstehen dadurch?

Ronald Lengyel: Die Bedürfnisse sind ganz individuell, die einen brauchen in den Pausen absolute Ruhe, andere halten es in einem Großraumbüro gar nicht aus. Grundsätzlich besteht bei allen das Bedürfnis nach Akzeptanz der Stärken und Schwächen im beruflichen und privaten Umfeld, um ihr persönliches Potenzial entfalten zu können.

Dazu zählt auch ein wertschätzender Umgang von und mit Führungskräften und Kolleg*innen. Dabei sprechen wir nicht von „Sonderbehandlungen“ sondern davon, dass das Umfeld so mit hochsensiblen Menschen umgeht, dass diese sich wohlfühlen.

Wie wird mit Hochsensiblen in der Wirtschaftswelt umgegangen?

Ronald Lengyel: Das Thema Hochsensibilität ist im deutschsprachigen Raum noch weitgehend unbekannt und soll keinesfalls als „neue Krankheit oder als Trendthema“ gesehen werden. Leider wissen noch sehr wenige Menschen über Hochsensibilität Bescheid, auch sehr wenige Menschen, die zu diesem Menschentyp zählen. Deshalb soll eine entsprechende Aufklärungsarbeit geleistet werden. Da unsere Wirtschaft auf Leistung und Gewinnmaximierung aufgebaut ist wird der einzelne Mensch und dessen Bedürfnisse oft zu wenig wahrgenommen. Daher ist es wichtig dieses Thema auch in der Mitarbeiter*innenführung zu berücksichtigen, um durch das Eingehen auf ihre Bedürfnisse auch ihr Potenzial voll nutzen zu können.

Was kann ein Arbeitgeber leisten, wenn Hochsensible Teammitglieder sind?

Ronald Lengyel: Das Thema Hochsensibilität ist lediglich ein weiterer Aspekt, der aufzeigt, wie wichtig die emotionale und soziale Kompetenz von Führungskräften zu bewerten ist. Mitarbeitende sollen in dem Ausmaß gefordert und gefördert werden, dass sie sich in ihrem Aufgabenbereich wohl fühlen, denn nur so ist es möglich, dass deren Leistung voll ausgeschöpft wird und sie sich auch mit ihrem Unternehmen identifizieren. Dazu zählen nicht nur die Arbeitsaufgaben, sondern auch die Arbeitsplatzgestaltung und die Unternehmenskultur.

Wie kann ein Betroffene*r selbst an sich arbeiten, um sich selbst besser zu positionieren/weniger angreifbar zu machen?

Ronald Lengyel: Ich möchte an dieser Stelle erwähnen, dass wir bei der Hochsensibilität von einer Gabe sprechen und hochsensible Menschen ein enormes Potenzial für unsere Wirtschaft haben. Viele von ihnen werden in kreativen oder sozialen Berufen tätig oder gehen in die Selbständigkeit, da sie in unserem jetzigen System wenig bis gar keinen Platz haben dieses zu entfalten. Wenige Menschen wissen, dass sie hochsensibel sind, beziehungsweise wie man mit dieser Gabe umgeht. Deshalb ist es wichtig Aufklärungsarbeit zu leisten, um Informationen an Menschen und Unternehmen geben zu können. In erster Linie ist es wichtig zu erkennen, was einem gut tut und was einem schadet. Kurzum, man soll an seiner eigenen Resilienz arbeiten. Dazu gehört es auch seine (Arbeits-)Umwelt so zu gestalten, dass man aus ihr Kraft schöpfen kann und die Tätigkeit Freude macht.

Kann man zahlenmäßig abschätzen, wie viele Menschen in Österreich von diesem Thema betroffen sind?

Ronald Lengyel: In ihren Forschungsergebnissen zum Thema Hochsensibilität spricht Elaine Aron von 15-20 Prozent aller Menschen (sowohl Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber). Da dies doch eine beträchtliche Zahl ist, erscheint es mir wichtig, dass dieses Thema bekannt gemacht wird, damit auch hochsensiblen Arbeitnehmern ein optimales Arbeitsumfeld geboten werden kann, in dem ihr Beruf zur Berufung werden kann.

Zur Person:

Ronald Lengyel, Magister (FH) für wirtschaftswissenschaftliche Berufe, MSc im Bereich Coaching und Organisationsentwicklung, HTL-Matura im Bereich Holztechnik und Holzwirtschaft. Spezialisiert auf emotionale und soziale Kompetenz und Hochsensibilität.

High Performer*innen: Talente erkennen und halten

Erstellt am: 21. Juni 2022 2 Min.

Sie lernen schneller und kriegen in der gleichen Zeit mehr gebacken als andere: High Performer*innen. Doch wenn sie nicht die Wertschätzung für ihre Mehrleistung bekommen, verlassen sie das Unternehmen auch schnell wieder. Der Unternehmensberater Helmut Kosa weiß, was High Performer*innen ausmacht.


Avatar Redaktion 2x

Redaktion
Mehr erfahren

Entdecke mehr zu diesem Thema

Pedant*innenen, Nörgler*innen, Querulanten: So entschärfst du Kollegen*innen-Zeitbomben

Aktualisiert am: 21. September 2023 3 Min.

Verschiedene Persönlichkeiten, die an einem Ort zusammentreffen - willkommen im Biotop Arbeitsplatz! Im Idealfall ergänzen sich unterschiedliche Persönlichkeiten und funktionieren als Team. Im schlimmsten Fall vergiften negative Persönlichkeiten die Arbeitsatmosphäre. Drei Typen schwieriger Mitmenschen und wie der Umgang mit ihnen gelingt:

Cultural Fit: Vom Bauchgefühl zum strategischen Bewerbungsgespräch

Erstellt am: 14. Oktober 2014 6 Min.

"Beschreiben Sie den schlechtesten Chef, den Sie je hatten!" Geht es um die Besetzung neuer Stellen, zählt längst nicht mehr ausschließlich die fachliche Qualifikation. Cultural Fit ist in aller Munde und im Recruitingprozess müssen Personaler verstärkt prüfen, ob Bewerber auch menschlich ins Unternehmen passen. Arbeitnehmer, deren Werte sich mit denen des Arbeitgebers decken, sind zufriedener, leistungsbereiter und bleiben dem Unternehmen länger erhalten. HR-Expertin Christina Wurm über ungeschriebene Gesetze in Organisationen und Fragen, die man Bewerbern im Jobinterview stellen kann.

Scheitern im Rampenlicht: Die „Fuckup Night“ als Reha vom Versagen

Erstellt am: 06. Juli 2017 5 Min.

Wer scheitert, lässt sich nicht gerne dabei zusehen. Denn Spott und Häme sind gewöhnlich die Lorbeeren der Gescheiterten. Anders verhält es sich bei den Fuckup Nights, einem Veranstaltungskonzept, das sich ganz dem beruflichen Misserfolg widmet. Wer hinfällt, muss schließlich auch wieder aufstehen und fällt das nicht viel leichter, wenn jemand dabei hilft? Wir haben uns diese spannende Idee angesehen: