Mentale Gesundheit am Arbeitsplatz: Tipps für die Praxis
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GesundheitErstellt am:
09. April 2024202404095 Min.5 Min.
Damit Mitarbeiter*innen langfristig den Belastungen im Arbeitsalltag standhalten und produktiv sein können, braucht es ein tieferes Verständnis für das Thema mentale Gesundheit am Arbeitsplatz. Eva Wiesmüller-Schandalik, Arbeits-und Organisationspsychologin , verrät im Interview, wie Führungskräfte die Zeichen richtig deuten und Mitarbeiter*innen unterstützen können.
Was mentale Gesundheit mit Unternehmenserfolg zu tun hat #
Welche Bedeutung hat mentale Gesundheit am Arbeitsplatz und welche Rolle spielt sie deiner Meinung nach für das Wohlbefinden der Mitarbeitenden und den Unternehmenserfolg?
Eva Wiesmüller-Schandalik: Internationale Studien legen nahe, dass in Europa 50bis 60 Prozent der krankheitsbedingten Arbeitsausfälle in der einen oder anderen Form auf Arbeitsstress zurückzuführen sind. Etwa 28Prozent der Arbeitskräfte in der EU sind mit Stress in der Arbeitswelt konfrontiert.
Diese Belastungen beeinträchtigen nicht nur die Lebensqualität sondern auch die Arbeitsleistung. Die gesamtwirtschaftlichen Kosten, die sich daraus ergeben, belaufen sich je nach Schätzungen auf 1,5bis 4 Prozent des BIP, je nachdem ob neben den direkten medizinischen und betrieblichen Kosten auch noch eine Bewertung des Verlusts an Wertschöpfung und der Einschränkung der Produktivität vorgenommen wird.
Welchen Einfluss haben Führungskräfte auf die Zufriedenheit von Mitarbeiter*innen? Wie kann man diese positiv beeinflussen? Wo fängt die Verantwortung für das Wohlbefinden an und wo hört sie auf? Kann man Wohlbefinden am Arbeitsplatz von der Privatperson abgrenzen?
Welche Herausforderungen und Stressfaktoren beeinflussen heutzutage die mentale Gesundheit der Arbeitnehmer*innen und wie können Unternehmen diesen begegnen?
Wiesmüller-Schandalik: Die grundlegenden Veränderungen der Arbeitswelt wirken sich unmittelbar auf die Arbeitsbedingungen aus: Zunehmender Wettbewerb, Flexibilisierung und Einkommensunsicherheit führen zu erhöhterArbeitsintensität, steigender Verantwortung, mehr Zeitdruck und damit verbunden zu mehr Stress.
Arbeitsbedingungen stehen in einem direkten Zusammenhang mit der individuellen Gesundheit. Ein bahnbrechendes Erklärungsmodell dazu stellt das sogenannte Anforderungs‐Kontroll‐Modell (nach Robert Karasek und Töres Theorell) dar. Demnach entsteht Stress mit seinen negativen Auswirkungen auf die Gesundheit (Herz‐Kreislauf‐Beschwerden, psychischen Erkrankungen oder auch Erkrankungen des Bewegungsapparats) dann, wenn eine Arbeitssituation von hohen Anforderungen (wie z.B. Zeitdruck oder Hektik) plus niedrigem Gestaltungsspielraum geprägt ist.
„In Europa sind 50 bis 60 Prozent der krankheitsbedingten Arbeitsausfälle in der einen oder anderen Form auf Arbeitsstress zurückzuführen.“
Der zunehmende Stress hängt aber auch mit gesellschaftlichen Veränderungen zusammen: Mehrfachbelastungen durch Beruf und Familie, Schwächung (familiärer) sozialer Unterstützungsnetzwerke, Zunahme prekärer, unsicherer Arbeitsverhältnisse etc.
Somit
können Unternehmen in genau diesen arbeitspsychologischen
Themenbereichen Ansätze in der Verhältnisprävention initiieren, welche
die Arbeitsbedingungen für ihre Mitarbeitenden positiv und
gesundheitsförderlich beeinflussen:
keine Dauerereichbarkeit trotz flexibler Arbeitszeitgestaltung
Bewusstsein für erhöhte Arbeitsintensität und steigenden Zeitdruck
Erhöhung des Handlungsspielraums und Wertschätzung
Um den digitalen Stress, der durch die (falsche) Verwendung von (zu vielen) digitalen Tools verursacht wird, zu minimieren, können vor allem Arbeitgeber sehr viel tun – wobei „viel“ wäre es gar nicht, was zu weniger digitalem Stress im Unternehmen führen würde. Was die Lösung des Problems ist, erklärt Technostress-Experte Prof. Dr. René Riedl.
Gibt es konkrete Warnsignale bei Mitarbeitenden, bei denen Führungskräfte die Ohren spitzen sollten?
Wiesmüller-Schandalik: Die Erkennung von psychischen Belastungen bei Mitarbeiter*innen erfordert Sensibilität, Aufmerksamkeit und eine proaktive Herangehensweise seitens der Führungskräfte. Hier sind einige Möglichkeiten, wie Führungskräfte psychische Belastungen erkennen können:
Veränderungen im Verhalten
Höhere Fehleranfälligkeit
Übermäßige Fehlzeiten, häufige Pausen
Stimmungs- und Verhaltensveränderungen
Kommunikationsveränderungen
Änderungen im Erscheinungsbild und der Körpersprache
Feedback von Kolleg*innen
Was hilft?
Regelmäßige Gespräche
Einfühlsames Zuhören
Betriebliches Gesundheitsmanagement: Unterstützung z.B. durch EAP (Employee Assistance Programme).
Es ist wichtig zu beachten, dass die genannten Anzeichen nicht notwendigerweise auf psychische Belastungen hinweisen müssen, aber sie können als Indikatoren dienen, um genauer nachzufragen und gegebenenfalls Unterstützung anzubieten. Sensibles und einfühlsames Vorgehen ist entscheidend, um eine offene Kommunikation zu fördern und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden zu unterstützen.
Ebenfalls ist zu betonen, dass Führungskräfte keine professionellen Therapeut*innen sind. Wenn ernsthafte Belastungen festgestellt werden, sollten die Mitarbeiter*innen ermutigt werden, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
60 Prozent der Arbeitnehmer*innen sagen, dass ihr Job ihre mentale Gesundheit wesentlich beeinflusst. Und: Direkte Führungskräfte hätten einen größeren Einfluss auf die mentale Verfassung als Therapeut*innen oder Ärzt*innen, mit (Ehe-) Partner*innen liegen sie gleich auf. Ein Plädoyer an Führungskräfte: Schaut auf eure Mitarbeitenden!
Welche konkreten Präventionsmaßnahmen empfiehlst du, um Stress und Burnout am Arbeitsplatz vorzubeugen und zu bewältigen?
Wiesmüller-Schandalik: Die Prävention von Stress und Burnout am Arbeitsplatz erfordert eine ganzheitliche Herangehensweise. Hier sind konkrete Präventionsmaßnahmen, die Unternehmen implementieren können – idealerweise in Kombination.
Psychologische Unterstützung: Mitarbeiter*innenunterstützungsprogramme (EAP) oder Zugang zu professioneller psychologischer Unterstützung
Mentale Gesundheit in Klein- und Mittelunternehmen #
Wie können kleine und mittelständische Unternehmen mit begrenzten Ressourcen effektive Programme zur Förderung der mentalen Gesundheit implementieren?
Wiesmüller-Schandalik: Auch mit begrenzten Ressourcen ist es möglich, Mitarbeiter*innen zu unterstützen. Hier ein paar Beispiele:
Bewusstsein schärfen: Führe Schulungen und Sensibilisierungsprogramme durch, um das Bewusstsein für psychische Gesundheit zu schärfen.
Flexible Arbeitsbedingungen: Erwäge die Implementierung flexibler Arbeitszeiten, Telearbeit oder alternativer Arbeitsmodelle. Dies ermöglicht es Mitarbeiter*innen, besser mit persönlichen Herausforderungen umzugehen.
Regelmäßige Kommunikation: Schaffe einen offenen Kommunikationskanal zwischen Mitarbeitenden und Führungskräften.
Work-Life-Balance fördern: Ermutige Mitarbeitende, Pausen zu nehmen und Urlaub zu nutzen, um sich zu erholen.
Gesundheitsfördernde Aktivitäten: Organisiere kostengünstige gesundheitsfördernde Aktivitäten wie gemeinsame Sportveranstaltungen oder Gruppenaktivitäten.
Stressmanagement verbessern: Integriere einfach umsetzbare Stressmanagement-Techniken in den Arbeitsalltag, wie zum Beispiel kurze Pausen, Atemübungen oder Achtsamkeitsübungen.
Gesundheitsfördernde Arbeitsumgebung: Schaffe eine positive Arbeitsumgebung, die Sicherheit, Anerkennung und Zusammenarbeit fördert.
Netzwerke für den Erfahrungsaustausch: Ermutige Mitarbeitende, sich in informellen Gruppen oder Netzwerken auszutauschen, um soziale Unterstützung zu fördern.
Mag. Eva Wiesmüller-Schandalik ist Arbeits- und Organisationspsychologin bei Mavie Work. Ihre Expertise umfasst die Beratung und Konzeptionierung betrieblicher Projekte zur Personalentwicklung, Gesundheitsförderung und Evaluierung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz. Darüber hinaus arbeitet sie als psychologische Beraterin, Mentaltrainerin und systemischer Coach.
Weihnachten ist nicht mehr fern und was wäre Weihnachten ohne die uns seit Kindertagen an bekannten gleichen Weihnachts-Hits? Erträglich. Aber auch irgendwie nicht das Gleiche. Ich hab für euch eine Spotify-Playlist zusammengestellt, mit der ihr euch die nötige Portion Weihnachtsliebe (oder -hass) ins Auto, die Wohnung oder sonst wohin mitnehmen könnt. Oder ins Büro, um eure Kollegen zu schikanieren.
Manche Menschen ziehen Suderanten und Jammerlappen förmlich an. Als vertrauensvolle, gutmütige Zuhörer bekannt werden sie schnell zur „psychologischen Mülltonne“, bei denen alle Kollegen ihre Leiden und Probleme abladen. Keine angenehme Situation für die Betroffenen, denn wie kommt man aus dieser Rolle wieder raus? Die Psychologin gibt Rat.