Zeit für Geld: Was sind zeitgemäße Arbeitszeitmodelle?
In der neuen Folge von Zeitausgleich steht die Diskussion um flexible Arbeitszeitmodelle und deren Auswirkungen im Fokus. Traditionelle Ansichten über Zeit als Gegenleistung für Geld werden zunehmend hinterfragt. Unternehmen stehen vor der Herausforderung, mit dem Wandel Schritt zu halten und innovative Arbeits(zeit)modelle zu entwickeln, die den Bedürfnissen ihrer Mitarbeiter*innen gerecht werden. Hier werden die Situation am Arbeitsmarkt, Trends als auch Erfahrungsbeispiele aus der Praxis mit ihren Vor- und Nachteilen diskutiert.
Die Teilzeitquote in Österreich ist in den letzten 20 Jahren um mehr als zehn Prozent gestiegen und liegt aktuell bei 31 Prozent (Quelle: Statistik Austria). Der Arbeitsmarkt hat auf die neuen Anforderungen in Bezug auf die Arbeitszeit unterschiedliche Antworten. Diese Antworten geben und diskutieren Georg Konjovic mit Sigrid Uray-Esterer (Comfluencerin - Kommunikation & Personal Branding) und Mario Koller (Co-CEO und Chief Innovation Manager bei Drehm Pharma GmbH) in einer neuen Folge von Zeitausgleich. Der Podcast zur Arbeitswelt in Österreich.
Geschichte und aktuelle Situation von Arbeitszeit am österreichischen Arbeitsmarkt #
In den Medien liest man Schlagzeilen wie „Vollzeitbeschäftigte gehen in Pension“, „Immer mehr wollen weniger arbeiten“. Man spricht von einem Teilzeit-Boom. Die Anzahl der ausgeschriebenen Stellen in Teilzeit ist tatsächlich von Jahr zu Jahr gestiegen: 2021 noch bei zehn Prozent lag, stieg diese 2022 auf 13 Prozent und 2023 bereits auf 15 Prozent an.
Die gesetzliche Regulierung von Arbeitszeit begann in Österreich im 19. Jahrhundert:
- 1885 hat man zum ersten Mal einen elfstündigen Arbeitstag, die Sechs-Tage-Woche und eine 24-stündige Sonntagsruhe gesetzlich geregelt.
- 1919 wurde der Arbeitstag auf acht Stunden reduziert und die 48-Stunden-Woche eingeführt.
- 1959 wurde zwischen den Sozialpartnern im Rahmen eines Generalkollektivvertrags die Arbeitswoche mit 45 Stunden vereinbart.
- 1975 wurde die 40-Stundenwoche eingeführt.
Die Diskussion um die Arbeitszeit hat eine lange Geschichte. Warum hat die Debatte um Stundenreduktion, 4-Tage-Woche, Arbeitszeitflexibilisierung jetzt wieder so an Aktualität gewonnen? Sigrid Uray-Esterer sieht dafür vor allem die folgenden zwei Gründe:
1. Viele Organisation mussten durch die Pandemie andere Arbeitsformen auszuprobieren, allen voran Homeoffice. Damit einhergehend musste man sich folgende Fragen stellen:
„Wie wollen wir, wie können wir überhaupt miteinander arbeiten? Und da sind einfach irrsinnig viele Fragen aufgekommen. Also angefangen vom hybriden Führen: Wie gehe ich mit meinen Mitarbeitenden um, wenn ich nicht über ihre Schulter schauen und sie kontrollieren kann? Hin zu: Was machen wir eigentlich daheim?“
2. Bedürfnis nach anderen, flexiblen Arbeitsmodellen verstärkt aufgekommen.
Einerseits muss man die wirtschaftlichen Aspekte fürs (Wieder-)Aufkommen der Debatte rund um Arbeitszeit in Betracht ziehen. Andererseits gibt es dafür auch gesellschaftspolitische Gründe. Heute arbeiten 13 Prozent der erwerbstätigen Männer und 51 Prozent der Frauen in Teilzeit. Die Gründe für Teilzeitarbeit sind unterschiedlich, jedoch sind deutliche Geschlechtsunterschiede zu erkennen: Während Frauen vor allem in Teilzeit arbeiten, um Care-Arbeit zu leisten, sind die Hauptgründe bei den Männern der Wunsch nach mehr Freizeit oder ein berufsbegleitendes Studium (Quelle: Arbeitszeit im Wandel 2023).
Ein Lösungsansatz, welcher in der Podcast-Folge diskutiert wird, ist das Job-Sharing-Modell. Wenn du dich für dieses Thema interessierst, höre in die Folge rein oder schau auf den folgenden Blogartikel:
Leistung messen #
Viele Diskussion rund um die Arbeitszeit basieren auf einem sehr klassischen Betrachtungsmodell beim Thema Arbeit: Geld wird gegen Zeit getauscht. Muss Stundenreduktion gleichzeitig weniger Gehalt bedeuten?
Eine Umfrage hat ergeben, dass sich jede*r Zweite nicht leisten kann, in Teilzeit zu arbeiten (Quelle: Arbeitszeit im Wandel 2023). Die finanzielle Komponente spielt daher eine große Rolle in der Wahl des Arbeitszeitumfangs. Darüber hinaus sind viele gut bezahlte Positionen, wie beispielsweise Führungspositionen, häufig nur als Vollzeit ausgeschrieben sind.
Benötigen wir eine neue Betrachtung, wie Wertschöpfung gemessen werden kann? Auf diese Frage hat Mario Koller eine klare Antwort:
„Wir brauchen absolut eine neue Betrachtung. Und diese Frage beschäftigt mich jetzt seit eineinhalb Jahren massiv, wie man das besser hinkriegt. Da hängt so viel dran mit den eigenen Mitarbeiter*innen zu arbeiten, was es bedeutet, Output richtig zu messen, Bezahlungen nicht nach Zeit durchzuführen, nur weil wir es einfach gewohnt sind.“
Es ist wichtig, die Sichtweise in Frage zu stellen und stärker auf den tatsächlichen Output und die Effizienz der Arbeit zu fokussieren. Die Antworten werden auch nicht in jeder Branche gleich ausfallen. Es gibt Jobs, die sicherlich eine 1:1 Beziehung haben: Wenn ich mehr Zeit investiere, mache ich mehr Geschäft. Die Messung des Outputs ist beispielsweise in kreativen Berufen oder wissensbasierten Tätigkeiten oft komplexer als in Jobs mit direktem Zeit-Output-Bezug. Diese Frage lässt sich nicht nur anhand der unterschiedlichen Anforderungen von Branchen beantworten, sondern muss auch individuell gesehen werden:
„Eine Person, die 25 Jahre im Arbeitsleben steht, wird wahrscheinlich in 30 Stunden so viel leisten wie jemand, der frisch von der Uni kommt, der erst seinen Leerlauf hat, der erst einmal abchecken muss, wie etwas funktioniert. Das sind unterschiedliche Situationen.“
Wobei dieser Aussage Mario Koller entgegen hält, dass auch junge Personen mit wenig Berufserfahrung zum Erfolg eines Unternehmens beitragen können, indem sie bestehendes hinterfragen und neue Ideen einbringen:
„Wenn man das zulässt, dann müssen wir drüber reden, ob Effizienz jetzt nur der tatsächliche Output am Projekt ist oder auch Verbesserungen von Prozessen, Einbringen von Ideen, neue Sachen, neue Blickwinkel zulassen. Und ich glaube, wir müssen das alles ein bisschen weiterdenken, was tatsächlich Effizienz und Erfolg und Wichtigkeit für das Unternehmen ist.“
Die Herausforderung besteht darin, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Flexibilität und Leistung zu finden, ohne dabei in eine Zweiklassengesellschaft zu geraten. Verschiedene Branchen und Berufe müssen individuelle Modelle zur Arbeitszeitgestaltung entwickeln, die den spezifischen Anforderungen gerecht werden. Das kann bedeuten, dass in manchen Bereichen die Arbeitszeit flexibler gestaltet werden kann, während in anderen die Output-orientierte Leistungsbeurteilung im Vordergrund steht.
Auswirkungen des demografischen Wandels #
Wir wissen, dass die erwerbstätige Bevölkerung in Österreich signifikant abnehmen wird. Müssten wir nicht eher darüber diskutieren, die Arbeitszeit zu verlängern, anstatt zu verringern, um die Produktivität in Österreich und den wirtschaftlichen Wohlstand zu halten?
„Für mich ist das genauso die Milchmädchenrechnung, weil ich mir auch denke, Prozesse vereinfachen sich ja auch. Früher haben wir Faxe geschickt und Briefe geschrieben und jetzt schicken wir halt schnell ein E-Mail. Es werden sich Dinge vereinfachen.“
Nicht nur die Demografie verändert sich, sondern auch Arbeitsweise und Prozessen werden vor allem durch Digitalisierungsschube effizienter gemacht. Umso wichtiger sind daher lebenslanges Lernen und die Anpassungsfähigkeit an die sich wandelnden Anforderungen der Arbeitswelt.
Effizienz vs. Effektivität #
Die Einführung und Unterstützung von Künstlicher Intelligenz im Arbeitsmarkt wird in den nächsten Jahren die größte Effizienzsteigerung bewirken und damit die Anforderungen an viele Jobs verändern.
„Wir haben jahrelang oder jahrzehntelang überlegt, wie wir effizienter werden. Aber die Effizienz wird jetzt zukünftig in der Produktion immer mehr durch Roboter und in Wissen-Jobs durch die KI erbracht. Wir müssen anfangen, mehr über die Effektivität zu überlegen.“
Das zeigt, dass eine Bewertung der Arbeit allein nach Aspekten der Effizienz nicht ausreicht, da diese von neuen Technologien früher oder später verbessert wird. Menschen benötigen jedoch das Skillset, diese zu bedienen und effektiv einsetzen.
Die Zukunft der Arbeitswelt erfordert eine ganzheitliche Betrachtung, die sowohl die individuellen Bedürfnisse der Arbeitnehmer*innen als auch die Anforderungen der Unternehmen berücksichtigt. Flexibilität in der Arbeitszeitgestaltung sollte mit einer angemessenen Bewertung von Leistung und Output einhergehen, um eine zukunftsorientierte Arbeitskultur zu fördern.
Viele weitere Aspekte zu Arbeitszeitflexibilisierung #
- Welche soziale Verantwortung Unternehmen tragen?
- Was bedeutet Time-Flexibility-Washing?
- Generationsunterschiede und -konflikte
- Flexible Arbeitszeiten und Personalkosten.
Diese und viele weitere praktische Einblicke gibt es direkt in der Folge nachzuhören oder -sehen.
Audio
#
Video #
Bitte stimmen Sie unseren Cookie-Richtlinien zu, um dieses Video anzuzeigen.
Zustimmung geben
Sarah Chlebowski
Content Managerin
Mehr erfahren