Erfahrungsbericht: So denkt ein Mediziner über den Gesundheitsbereich
Das österreichische Gesundheitssystem bietet bereits seit Jahren Anlass für Kopfzerbrechen. So richtig verändert oder gar verbessert hat sich unter den vergangenen Gesundheitsminister*innen nicht viel, obwohl oftmals beteuert wurde, dass eine Pflegereform notwendig sei und unmittelbar anstünde. Doch was denken die Beschäftigten über den Zustand ihrer Branche? Wir haben mit drei Fachkräften aus dem Gesundheits- und Pflegebereich gesprochen:
Alex (Anm.: Name von der Redaktion geändert) arbeitet als selbstständiger Mediziner in einer Ordination und spricht mit uns über seine Erfahrungen im österreichischen Gesundheitsbereich.
Dies ist der zweite Artikel einer dreiteiligen Interviewserie über die Arbeitsbedingungen und Herausforderungen im Gesundheits- und Pflegebereich. Alle Artikel spiegeln die persönlichen Meinungen der Interviewten wider und sind nicht repräsentativ für den jeweiligen Berufsstand.
Fast die Hälfte der Beschäftigten im Gesundheitsbereich will wechseln #
Was war während der Pandemie die größte Herausforderung für dich?
Alex: Die massiven Umstrukturierungen hatten wesentliche Auswirkungen auf meinen Alltag. Abteilungen mussten geschlossen, Teams aufgelöst und neu aufgebaut werden. Außerdem wurde auf reine Terminordination umgestellt.
Fast die Hälfte aller Beschäftigten im Gesundheitsbereich denkt darüber nach, die Branche zu wechseln. Gab es auch für dich in den letzten Monaten Momente, in denen du über einen Wechsel nachgedacht hast?
Alex: Das kommt tatsächlich ständig vor. Beispielsweise wenn ich daran denke, welche Verdienstmöglichkeiten Anwält*innen und Notar*innen haben.
Wo siehst du die größten (strukturellen) Defizite im Gesundheitsbereich? Warum scheuen sich junge Menschen heutzutage davor, in diesen Sektor einzusteigen?
Alex: Wer heutzutage ein der Ausbildung entsprechendes Einkommen erzielen möchte, muss sich auf einiges gefasst machen. Ohne Nachtarbeit, Überstunden sowie sogenannte Massenabfertigung bzw. „Durchschleuse-Medizin“ kommt man heute nicht mehr weit.
„Ohne Nachtarbeit und Überstunden erzielt man kein der Ausbildung entsprechendes Einkommen.“
Mehr Hilfskräfte einstellen für mehr Entlastung #
Wie könnte man Gesundheitsberufe für (junge) Menschen wieder interessanter machen?
Alex: Ein Anfang wäre, unnötig komplizierte Bürokratieprozesse abzubauen. Mit der Einstellung von Hilfskräften könnte in puncto Organisation und Management nachhaltig für Entlastung gesorgt werden.
Welche Herausforderungen kommen auf das österreichische Gesundheitssystem deiner Meinung nach in den nächsten Jahren zu?
Alex: Eine Kostenexplosion bei Medikamenten und Untersuchungsmethoden ist bereits absehbar. Im Personal- und Fachkräftemangel stehen wir ja bereits mittendrin – das wird in den kommenden Jahren bestimmt nicht besser werden. Zudem wird das Leistungsangebot aufgrund von Finanzierungsproblemen notwendig werden.
„Es ist mir ein Anliegen, meinen Mitmenschen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.“
Gesundheitsberufe sind psychisch und physisch fordernd - warum hast du dich für deinen Beruf entschieden? Welche Erlebnisse und Aspekte geben dir auch heute noch das Gefühl, die richtige Entscheidung getroffen zu haben?
Alex: Das Gute an meinem Job ist, dass er ziemlich krisensicher ist. Zudem habe ich schon immer den Wunsch gehabt, meinen Mitmenschen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Die Dankbarkeit, die Patient*innen ausdrücken, wenn man ihnen weiterhilft, tut wirklich gut.
Denkst du, dass du deinen Beruf bis zur Pension ausüben wirst? Wenn nein, warum und was müsste sich ändern?
Alex: Nachdem ich nichts anderes gelernt habe, ja! Alle meine finanziellen Investments zielen schließlich auf die Ordinationsübernahme ab. Aber mit viel Selbstreflexion – selbstständig, aber auch mit professioneller Hilfe – und der Unterstützung meiner Familie sollte das möglich sein.
Erfahrungsbericht 1: Eine Krankenschwester erzählt #
Im ersten Teil unserer Interview-Reihe haben wir mit einer Krankenschwester über die Defizite des Gesundheitsbereichs gesprochen und über jene Gründe, die sie in der Branche halten:
Erfahrungsbericht 3: Die Arbeit als Apotheker*in #
Im dritten und letzten Erfahrungsbericht erzählt eine Apothekerin unter anderem, warum es ständig Kolleg*innenmangel gibt, obwohl in Österreich genügend Menschen Pharmazie studieren.
Bianca Schedlberger
Content Managerin
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