Flexible Arbeitszeiten: 6 Modelle aus der Praxis
Sind fixe Arbeitszeiten veraltet? Ja, wenn es nach Österreichs Arbeitnehmer*innen geht. Working 9 to 5 ist in vielen Berufen schlicht nicht mehr nötig, das erkennen auch Arbeitgeber. Um dem starren Konstrukt zu entkommen, gibt es viele Möglichkeiten. In diesem Artikel bekommst du einen Überblick über flexible Arbeitszeitmodelle, die bereits erfolgreich umgesetzt werden.
Der Faktor Arbeitszeit wird für in Österreich lebende Arbeitnehmer*innen zunehmend relevant. Im Mai 2023 wurde in Auftrag von karriere.at eine repräsentative Studie durchgeführt. Für 83 Prozent ist ein ausreichendes Maß an Freizeit wichtig. Jede*r Dritte würde für eine Verkürzung der Arbeitszeit auch Abstriche beim Gehalt annehmen. Weitere Erkenntnisse aus dieser Studie zum Thema Arbeitszeit gibt es im folgenden Factsheet kostenlos zum Download.
„70 Prozent der Arbeitnehmer*innen in Österreich erwarten sich von ihrem Arbeitgeber eine flexible, selbstständige Zeiteinteilung sowie flexible Arbeitszeiten wie zum Beispiel in Form von Gleitzeit.“
Gleitzeit einführen, auf Kernzeiten verzichten ... Wie Unternehmen dem Wunsch der Arbeitnehmer*innen entsprechen, ist höchst unterschiedlich. Denn zur Umsetzung von flexiblen Arbeitszeiten im Arbeitsalltag gibt es die verschiedensten Modelle. Wir haben uns sechs davon angesehen:
Modell 1: 30 Stunden bei vollem Gehalt #
Das sicher radikalste Modell ist die 30-Stunden-Woche. eMagnetix, eine Werbeagentur aus Oberösterreich, gilt als Vorreiter dieser neuen Arbeitsform. Seit 2018 bedeutet Vollzeit hier 30 Stunden pro Woche, beim Gehalt gibt es keine Abstriche. Geschäftsführer Klaus Hochreiter erzählt uns, wie das Modell umgesetzt werden konnte: „Angekündigt haben wir die Umstellung im Februar 2018, im Juni dann auf 34 Stunden reduziert und seit Oktober 2018 gilt bei uns die 30-Stunden-Woche. Bis zur Ankündigung vergingen über zwei Jahre, in denen wir sehr ausführlich geplant und getestet haben. Dazu haben wir von Beginn an die Mitarbeiter ins Boot geholt. Jeder hat sich überlegt, wo er in seinem Bereich Zeit sparen und wie er effizienter arbeiten kann. Zudem haben wir genau recherchiert, welche Tools dabei helfen können.“ Die endgültige Entscheidung pro 30-Stunden-Woche wurde schließlich gemeinsam getroffen.
Weniger Stunden verlangen mehr Effizienz.
Im Vorfeld wurden verschiedenste Berechnungen durchgeführt, erklärt Hochreiter: „Wir haben geschaut, wo wir eventuelle Umsatzverluste kompensieren können, und stark an Zeitmanagement und Effizienz gearbeitet. Ziel war, dass bei 8,5 Stunden weniger nicht die eigentliche Arbeitsleistung geschmälert wird, sondern die unnötigen administrativen Zeitfresser wegfallen.“ Dazu wurden Arbeitsschritte wie das Reporting digitalisiert und neue Regeln eingeführt. Das private Handy beispielsweise ist als Zeitfresser Nummer eins während der Arbeitszeit tabu und muss in die Schublade.
„Nicht die Arbeitsleistung wird geschmälert, sondern die unnötigen Zeitfresser fallen weg.“
30 Stunden verbessern die Arbeitsqualität.
Nicht nur die Mitarbeiter*innen, auch die Kunden waren zu Beginn skeptisch, ob bei weniger Arbeitszeit die Qualität der Arbeitsleistung gehalten werden kann. Diesbezüglich wurden alle mittlerweile eines Besseren belehrt, erzählt der Agenturchef: „Der große Vorteil ist, dass wir durch die 30-Stunden-Woche auch viel bessere Bewerbungen bekommen als früher, und dadurch ist die Qualität unserer Arbeit sehr gestiegen. Gleichzeitig hat sich die Fluktuation verringert und dadurch können wir die hohe Qualität sicherstellen.“
Modell 2: Die 4-Tage-Woche #
Ein ähnliches Arbeitszeitmodell hat das Grazer Unternehmen Bike Citizens bereits 2014 eingeführt. Die Arbeitszeit wurde von 38,5 auf 36 Stunden pro Woche reduziert, das Gehalt entsprechend angepasst. Dafür dauert eine Arbeitswoche nur mehr vier Tage.
Ein Beispiel für erfolgreiche Arbeitszeitverkürzung ist Island. 2015 startete die Insel ein Experiment und führte für 2500 Beschäftigte aus mehr als 100 Unternehmen die 4-Tage-Woche bei 35 oder 36 Stunden ein. Die Erfolge sprachen für sich: Die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn führte dazu, dass die Arbeitnehmer*innen glücklicher, gesünder und produktiver waren. Aus diesem Grund entschied sich die isländische Regierung, die 4-Tage-Woche für 86 Prozent der Isländer*innen einzuführen.
In Großbritannien haben 61 Firmen mit ca. 2.600 Mitarbeiter*innen 6 Monate lang die 4-Tage-Woche getestet. Die meisten Unternehmen wollen das Modell beibehalten. Denn die Beschäftigten sind gesünder und produktiver. (Quelle: The UK's four-day week pilot, Autonomy, 2023)
Was die direkte Ausführung der 4-Tage-Woche betrifft, so gibt es unterschiedliche Ansätze, was die Arbeitszeitverteilung betrifft. Manche Unternehmen setzen die verkürzte Arbeitswoche um, behalten aber die maximale Normalarbeitszeit (z.B. 40 Stunden) bei. Andere Arbeitgeber reduzieren neben den Arbeitstagen auch die Arbeitszeit selbst, indem die Mitarbeitenden statt 40 oder 38,5 Stunden nur 35 oder 36 Stunden arbeiten.
Modell 3: Die 4-Tage-Woche im Sommer #
Eine Alternative zur dauerhaften 4-Tage-Woche ist die saisonale Reduktion der Arbeitszeit – damit wird flexibel auf Mitarbeiter*wünsche oder auch geringere Auslastung reagiert. Zwei Unternehmen haben uns von ihren Erfahrungen damit erzählt:
Der Sommerbonus bei BeKa-Software
So reduziert BeKa-Software in den Sommermonaten auf vier Tage Arbeitszeit. Geschäftsführer Klaus Hagenauer erklärt, was die Beweggründe für diese Entscheidung waren: „Wir sind der Meinung, dass man eine attraktive Balance zwischen Arbeit und Freizeit bieten muss.“ Dazu, so Hagenauer, müsse man den Mitarbeiter*innen so viele Freiheiten wie möglich geben. „Unsere einzige Restriktion ist, dass unsere Projekte in time und in budget erledigt werden. Wie die Mitarbeiter*innen das machen, ist ihnen selbst überlassen.“
So funktioniert der Sommerbonus
„Die Mitarbeiter*innen arbeiten in vier Tagen 36 Stunden, das Unternehmen schenkt ihnen die restlichen 2,5 und somit können alle am Freitag zuhause bleiben. Wir machen das aus Wertschätzung den Mitarbeiter*innen gegenüber und haben mit diesem Modell exzellente Erfahrungen gemacht.“
„Mit der Arbeitszeitreduktion im Sommer können wir auch zum Umweltschutz beitragen.“
Vor- und Nachteile der geringeren Arbeitszeit
Nicht alle Mitarbeiter*innen können mit der neu gewonnenen Freiheit umgehen, weist Hagenauer auf die Nachteile hin, relativiert aber im selben Atemzug: „Es gab lediglich zwei Fälle, in denen die Freiheit überstrapaziert wurde. Hier hat das Team aber sofort interveniert. Ein anderer Nachteil ist, dass wir bei stundenbasierten Abrechnungen natürlich Geld verlieren. Aber die Mitarbeiter*innenzufriedenheit ist uns das wert.“ Insgesamt hätten auch Kunden und Bewerber diese Umstellung sehr positiv aufgenommen, erzählt Hagenauer weiter und weist auf einen positiven Nebeneffekt hin, an den man nicht sofort denken würde: „Ich bin ein sehr umweltbewusst denkender Mensch und mit dieser Maßnahme können wir einiges zum Umweltschutz beitragen. Die Mitarbeiter*innen müssen einen Tag weniger in der Woche zur Arbeit fahren und wir sparen Energie, wenn die Firma einen Tag mehr geschlossen ist.“
Sunny Fridays bei Storyclash
Auch ein zweites Unternehmen hat uns von seinen Erfahrungen mit der sommerlichen 4-Tage-Woche erzählt. „Sunny Fridays“ heißt das Modell bei Storyclash – wie es funktioniert, hat uns CEO Andreas Gutzelnig im Interview erklärt.
Modell 4: Die geteilte Firma – Freizeit oder Geld? #
Ein spannendes Arbeitskonzept verfolgen die App-Entwickler
bluesource. Hier wird die Firma einfach in zwei Hälften geteilt, damit
alle Mitarbeiter*innen jeden zweiten Freitag frei haben kann. KANN ist
hierbei das ausschlaggebende Wort, denn mit über vierzig verschiedenen
Arbeitszeitmodellen wird hier ganz flexibel auf die jeweils aktuellen
Bedürfnisse der Mitarbeiter*innen eingegangen. Wer mehr arbeiten möchte, darf
das – bei entsprechender Bezahlung durch Überstundenpauschalen natürlich
– auch tun. „Von acht bis 42,5 Stunden pro Woche ist bei uns alles
möglich“, sagt COO Roland Sprengseis. Dass das Unternehmen dank dieser
und weiterer Maßnahmen kein Problem damit habe, neue Mitarbeiter*innen im
umkämpften IT-Bereich zu finden, erzählt er in diesem Artikel:
Modell 5: Urlaub, so viel man will #
So viele freie Tage konsumieren, wie du möchtest – klingt zu gut, um wahr zu sein? In manchen Unternehmen ist das bereits Realität. Und auch wenn es für manche Arbeitgeber*innen unmöglich erscheint, dass ein solches Modell auf lange Zeit funktioniert, ohne Produktivität und Effizienz der Mitarbeitenden anzugreifen, hat es sich unter den richtigen Rahmenbedingungen bewährt.
Der Erfolg des unbegrenzten Urlaubs steht und fällt mit den Mitarbeiter*innen. In einem motivierten Team, in dem gegenseitige Unterstützung selbstverständlich ist, werden Urlaube so geplant, dass das tägliche Treiben nicht ins Stocken gerät und niemand in Aufgaben ertrinkt. Solange Teams intensiv miteinander kommunizieren, kann dieses Modell gelingen. In Österreich beweisen das Bitpanda, Objectbay und 1000things Austria.
Was sich allerdings vor allem in Nordamerika beobachten lässt: Arbeitnehmer*innen verabschieden sich keineswegs den Großteil des Jahres in den Urlaub, sondern nehmen sich trotz ihrer Möglichkeiten überraschend wenig frei. Das wird zum einen mit dem FOMO-Phänomen (fear of missing out) in Verbindung gebracht. Andererseits hadern viele Arbeitnehmer*innen unterbewusst trotzdem mit der Sorge, dass es Konsequenzen geben könnte, wenn sie sich zu häufig freinehmen.
Dass es für unbegrenzten Urlaub bedingungsloses Vertrauen und einen starken Teamgeist braucht, haben uns 1000things Austria und Objectbay hier im Interview erklärt:
Modell 6: Jobsharing #
Eine spezielle Form der Teilzeitarbeit ist da sogenannte Jobsharing. Hierbei teilen sich zwei Personen ein Kontingent von 40 oder 60 Stunden. Wer wann und wer wie lange arbeitet, das schnapsen sich die betroffenen Mitarbeiter*innen untereinander bzw. in Abstimmung mit dem Unternehmen aus. Dieses Modell trifft man häufig in Pflegeberufen, vor allem Ärzt*innen teilen sich häufig eine Stelle.
Der große Vorteil: Die Arbeit lässt sich flexibel an die jeweiligen Lebensumstände der Arbeitnehmer*innen anpassen und hat sich auch in Führungspositionen bewähren können. Wichtig ist jedoch der gegenseitige Austausch. Nur, wenn beide Arbeitnehmer*innen genauestens über die Handlungen und Aufgaben des jeweils anderen informiert sind, kann Jobsharing funktionieren, ohne in einem Chaos zu enden. Kommunikation ist hier also oberstes Gebot!
Du willst mehr übers Job Sharing erfahren? Jana Tepe und Anna Kaiser unterstützen mit ihrem Unternehmen Tandemploy Menschen und Unternehmen bei der Umsetzung von Jobsharing und haben mit uns über das Thema gesprochen:
Zeitausgleich. Der Podcast zur Arbeitswelt in Österreich #
Unternehmen stehen vor der Herausforderung, mit dem Wandel Schritt zu halten und innovative Arbeits(zeit)modelle zu entwickeln, die den Bedürfnissen ihrer Mitarbeiter*innen gerecht werden. Im Rahmen der Podcastfolge werden die Situation am Arbeitsmarkt, Trends als auch Erfahrungsbeispiele aus der Praxis mit ihren Vor- und Nachteilen diskutiert.
Sarah Chlebowski
Content Managerin
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