LGBTQ+ am Arbeitsplatz: So steht es um die Gleichberechtigung
Jeden Juni organisieren sich LGBTQ+ Communities weltweit, um den Pride Month zu zelebrieren – und dabei für Rechte, Sichtbarkeit und Akzeptanz zu kämpfen. Diskriminierung gegen Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung ist weiterhin keine Seltenheit. Wir sprechen im Interview mit HOSI Linz darüber, wie es um die Gleichberechtigung von LGBTQ+ Personen am Arbeitsmarkt steht, wie offen sie mit ihrer Identität umgehen und was Arbeitgeber*innen tun können, um ihre Mitarbeitenden bestmöglich zu unterstützen.
Nichtdiskriminierung und Gleichberechtigung für Unternehmen immer wichtiger #
Wie steht es eigentlich um die Gleichberechtigung von LGBTQ+ Personen am Arbeitsmarkt? Haben wir es in Österreich Großteils mit Pink Washing unter dem Deckmantel von Diversity Management zu tun, oder gab es in den vergangenen Jahren doch tiefgreifendere Veränderungen?
HOSI Linz: Es wird tendenziell besser. Die tiefgreifenden Veränderungen fanden allerdings längst statt, als Österreich 2004 die einschlägige Antidiskriminierungsrichtlinie der EU in nationales Recht goss – oder besser gesagt: umsetzen musste. Diese verordnete Antidiskriminierung gilt aber nur für den Bereich Arbeitsmarkt und Beruf. Weiterhin fehlt eine solche für den wichtigen Bereich der Märkte, insbesondere Dienstleistungserbringung. Da hat der EU der Mut dann doch gemangelt.
In Österreich wie in Deutschland erfahren noch rund 30 Prozent der LGBTQ+ Personen Diskriminierung am Arbeitsmarkt (SORA-Studie 2017, DIW-Studie 2020). Jedoch erkennen Unternehmen zunehmend die Vorteile, Nichtdiskriminierung und Gleichberechtigung im eigenen Haus durchzusetzen und zu leben. Ein intaktes Sozialleben fördert nämlich die Arbeitszufriedenheit und den Unternehmenserfolg, wie internationale Studien belegen. Und schließlich sucht das Unternehmen soziales Ansehen in einer offenen, liberalen Gesellschaft und ist zudem als Arbeitgeber für das umfassende Wohl seiner Beschäftigten rechtlich und moralisch verantwortlich.
Was bedeutet LGBTQ+?
LGBTQ+ ist eine Abkürzung für ...
- Lesbian (lesbisch)
- Gay (schwul)
- Bisexual (bisexuell)
- Transgender
- Transsexuell
- Intersexuell
- + pan/omni uvm.
Menschen, die sich mit einer oder mehreren dieser Kategorien identifizieren, organisieren sich häufig im Rahmen der LGBTQ+ Community. Sie kämpfen dafür, dass alle Menschen – unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung oder Identität – gleich behandelt werden und dieselben Rechte haben.
Wie ist euer Eindruck: Tendieren LGBTQ+ Personen dazu, ihre Sexualität am Arbeitsplatz geheim zu halten? Wenn ja, was sind die Gründe dahinter?
HOSI Linz: Formale Antidiskriminierung bedeutet ja noch keinen effektiven Schutz. Diejenigen, die am Arbeitsplatz „versteckt“ leben, also ihre nicht-heterosexuelle Orientierung und nicht-biologische Geschlechtsidentität zu verbergen suchen, wissen zumeist gut, warum sie das tun. Vielleicht sehen wir mit den offen lebenden Personen nur die Spitze des Eisbergs, wenngleich die SORA-Studie aus 2017 nur – oder immerhin – auf 20 Prozent an versteckten LGBTQ+ Personen am Arbeitsmarkt kommt. Jedenfalls outen sich die meisten nicht aktiv, leugnen aber, wenn direkt gefragt, ihre sexuelle Situation nicht.
Zwar ist auch indirekte Diskriminierung verboten, doch ist sie faktisch schwieriger zu bekämpfen. Indirekte Diskriminierung bedeutet ungerechtfertigte Schlechterbehandlung, jedoch wird dafür ein anderer Grund vorgeschoben. Das Problem dabei ist die Beweisführung. Und selbst wenn eine indirekt diskriminierte Person gerichtlich Recht erhält, möchte sie dann oft nicht mehr in diesem Betrieb arbeiten. Daher kommt das immer noch währende Versteckspiel am Arbeitsplatz. Der Prozess bis hin zum offenen Leben (Going Public) ist oft schwer und lang, entlastet letztlich psychisch aber enorm.
Sexualität immer noch Auslöser für Mobbing #
Welchen Arten von Diskriminierung sind nicht-heterosexuelle Menschen am Arbeitsplatz am häufigsten ausgesetzt? Und warum wird die Sexualität eines Menschen überhaupt zur Zielscheibe von Anfeindungen?
HOSI Linz: Sexualität ist gesellschaftlich oft ein heikler Bereich, wo es leicht zu seelischen Verletzungen kommen kann. Einerseits hat Sexualität sehr viel mit Privatheit und dem Recht darauf zu tun, andererseits schwingt Sexualität im alltäglichen Leben oft mit und lässt sich innerhalb einer sozialen Gruppe wie am Arbeitsplatz nicht negieren. Freilich wird getratscht und geurteilt: Wer in einem gewissen Alter noch keine traditionelle Beziehung führt, mit dem oder der kann „etwas nicht stimmen“. Schon ist das mächtige gesellschaftliche Prinzip der Scham am Werk.
„Sexuelle Minderheiten stehen unter Rechtfertigungsdruck. Viele Betroffen schämen sich wegen ihres Status außerhalb der Norm und verstecken sich.“
Die Mehrheit ist, wie in jeder Hinsicht, auch in ihrer Sexualität gerechtfertigt und geschützt, weil diese die Norm ist (Stichwort „Heteronormativität“). Man braucht sich dafür nicht zu rechtfertigen, es ist okay, allgemein akzeptiert. Die sexuellen Minderheiten stehen hingegen unter Rechtfertigungsdruck. Viele Betroffene schämen sich wegen ihres Status außerhalb der Norm und verstecken sich, aber Verstecken ist sehr anstrengend und immer weniger erfolgversprechend.
Schon immer wird Sexualität auch als soziales Machtmittel eingesetzt, um sich von anderen abzuheben und sich über andere zu erheben. Allein der „Verdacht“ von „Abnormität“ reicht schon, dass halblaut bis offen verächtliche Bemerkungen oder übergriffige Witze gemacht werden; das ist Mobbing – und ganz allgemein gar nicht so selten.
Das Beste wäre freilich ganz selbstverständlich offen, selbstbewusst
und selbstbestimmt zu leben. Das bringt Erleichterung und setzt die
anderen unter Rechtfertigungsdruck, wenn sie mit nicht-normativer
sexueller Orientierung und Identität nicht zurechtkommen können oder
wollen.
Gibt es eurer Einschätzung nach Branchen oder Berufe, die LGBTQ+ Personen eher anziehen und in denen sie weniger Angst davor haben, zu ihrer sexuellen Orientierung zu stehen?
HOSI Linz: Nun, eine Studie stellt fest, dass LGBTQ+ Personen im Angestelltenbereich und unter den öffentlich Bediensteten überrepräsentiert sind (SORA 2017). Detailliertere Untersuchungen nach Branchen oder Berufen kennen wir aus jüngerer Zeit nicht.
„Alltägliche Paarbeziehungen können in der Arbeitsumgebung nicht ausgeklammert werden.“
Arbeitgeber*innen müssen klar Stellung beziehen
#
Manche Menschen sind der Meinung, dass Sexualität am Arbeitsplatz nichts verloren hätte. Welche Argumente haltet ihr hier dagegen?
HOSI Linz: Sexualität im engeren Sinn, also sexuelle Aktivität, hat am
Arbeitsplatz freilich keinen passenden Platz. Doch Sexualität im
weiteren Sinn, gemeint als alltägliche Paarbeziehung zwischen
Lebensabschnittspartner*innen, kann in einer Arbeitsumgebung nicht
ausgeklammert bleiben, wo es die üblichen sozialen Kontakte gibt – nicht
nur die Mensch-Maschine-Beziehung. Es wird halt vom Wochenende und vom
Urlaub erzählt, es werden Fotos herumgezeigt, es werden
Familienereignisse besprochen usw. In diesem Sinn gehören sexuelle
Orientierung und Geschlechtsidentität zum Leben: Auch am Arbeitsplatz,
wo wir einen beträchtlichen Teil unseres Lebens verbringen.
Wo seht ihr konkrete Verbesserungsmöglichkeiten für Arbeitgeber*innen? Durch welche Maßnahmen können diese eine tolerante Unternehmenskultur schaffen?
HOSI Linz: Bildung ist auch hier Trumpf: Fakten kennen, Zusammenhänge klären, sich in die Lage anderer einfühlen können, das gesellschaftliche Miteinander fundiert denken und gestalten. Eine solche Bewusstseinsbildung ist von oben herab nicht hinreichend zu vermitteln. Veränderung muss auch von unten kommen. Die Wirtschaft hat dabei sicher eine wichtige und starke Position inne, und sie hat, wie gesagt, schon allein ein eigenes Interesse daran.
Antworten auf die Fragen des miteinander Umgehens sind Teil einer gelebten Unternehmenskultur. Seitens der Unternehmen ist es entscheidend, die Probleme – wie allgemein bei Mobbing – erst überhaupt einmal anzusprechen und vernünftig auszureden, um sie konstruktiv lösen zu können. Auszusprechen ist, was einem nicht passt, und alle Seiten sind in die moderierten Gespräche einzubinden. So können sich geteilte, verinnerlichte Verhaltensnormen etablieren. Es muss klarwerden, dass es absolute „No Gos“ gibt, dass also niemand Intoleranz und Diskriminierung dulden würde.
Sexualität ist kein Tabu, aber eine Angelegenheit, die Feingefühl, Einfühlungsvermögen und Respekt erfordert, ja sogar in Akzeptanz des Andersartigen münden kann und soll. Sexualität darf kein Mittel für Machtspielchen sein. Gelangt man in einzelnen Fällen auf keinen grünen Zweig, so ist die entsprechende Norm des Unternehmens durchzusetzen: Zu Gunsten der Schwachen wie auch aller anderen, die guten Willens sind.
Mit welchen konkreten Schritten ein Unternehmen zum Ziel gelangt, das liegt bei den jeweils Verantwortlichen, denn jedes Unternehmen ist einzigartig.
Über HOSI Linz #
Die HOSI Linz (Homosexuelle Initiative Linz – Die Lesben- und Schwulenbewegung in OÖ) ist ein eigenständiger, seit 1982 existierender Verein, der vor allem an der Gleichstellung und Entdiskriminierung von Lesben und Schwulen in OÖ arbeitet. Neben Lobbyarbeit, wie beispielsweise Mitwirkung im Gesetzwerdungsverfahren auf Landes- und Bundesebene, bietet der Verein insbesondere Beratung für Lesben, Schwule und TransGender und deren Angehörige an und bietet Aufklärungsarbeit, Workshops und Seminare zum Thema (Homo-)Sexualität an.
Bianca Schedlberger
Content Managerin
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