Unsichtbare Arbeit: Wenn Leistung nicht messbar ist
Hausarbeit und Kinderbetreuung, daneben ein Teil- oder Vollzeitjob ... Die Corona-Krise hat besonders sichtbar gemacht, welch hohen physischen und emotionalen Belastungen vor allem Frauen jeden Tag ausgesetzt sind. Manche ihrer Tätigkeiten werden in der Gesellschaft nicht als solche wahrgenommen, das Phänomen wird als unsichtbare Arbeit bezeichnet. Vielleicht, weil ihr Wert nicht anhand von konkreten Zahlen festgemacht werden kann?
Der Begriff der unsichtbaren Arbeit geistert nun schon seit geraumer Zeit durch moderne Gesellschaften. Um diesen überhaupt verstehen zu können, ist es wichtig, zunächst den Arbeitsbegriff an sich zu definieren.
Arbeit – ein Definitionsversuch #
Das Gabler Wirtschaftslexikon bietet eine sehr umfassende Definition. Demnach sei Arbeit eine „zielgerichtete, soziale, planmäßige und bewusste, körperliche und geistige Tätigkeit“. Das würde bedeuten, dass die meisten menschlichen Aktivitäten dazu zählen, inklusive Hobbys. Prinzipiell keine falsche Definition, doch sie holt zu weit aus.
Das Arbeitsverständnis der Wikipedia-Parodie Stupidedia entlockte mir ein Schmunzeln. Ihm zufolge sei Arbeit, „dass man zu einer Zeit, in der man nichts Besseres zu tun hat, etwas tut, auf das man eigentlich keine Lust hat, zusammen mit Leuten, die man nicht leiden kann.“ Trifft auf mich glücklicherweise nicht zu und auf dich hoffentlich auch nicht.
Aber dieser Satz verdeutlicht meiner Meinung nach einen ganz zentralen Aspekt des Arbeitsbegriffs. Nämlich, dass Arbeit oft etwas ist, das man unabhängig davon tut, ob man gerade darauf Lust hat oder nicht. Nicht die Beschäftigung steht im Vordergrund, sondern die Tatsache, dass etwas erledigt gehört oder wir auf einen Job angewiesen sind, um zu überleben.
Stichwort Lohnarbeit. Die meint menschliche Arbeit, die unter den Bedingungen eines freien Arbeitsmarktes in einer Marktwirtschaft eingebettet ist. Im Gegenzug für seine Arbeitskraft erhält der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber ein vertraglich festgelegtes Entgelt. Subsistenz-, Haus- und Familienarbeit sowie ehrenamtliches Engagement fallen per Definition zwar ebenfalls in die Kategorie Arbeit. Sie werden jedoch finanziell nicht abgegolten und sind daher sozusagen unsichtbar.
Ist nur Lohnarbeit richtige Arbeit? #
Das wirft eine schwierige Frage auf: Ist nur Lohnarbeit richtige Arbeit? Was ist mit der Pflege von kranken Angehörigen oder der Betreuung von Kindern, die nicht beruflich, sondern privat und ohne Bezahlung erledigt werden? Würde diese Leistung nicht so häufig im familiären Kreis erbracht, hätten viele ein Problem. Nicht jede Familie hat die finanziellen Mittel, um Pflegepersonal zu beschäftigen oder den Nachwuchs in Tagesstätten unterzubringen. Der gesellschaftliche Wert einer Tätigkeit darf nicht von der Höhe (oder Existenz) einer monetären Entlohnung abgeleitet werden. Wird er aber oft genug.
Care Work bedeutet ins Deutsche übersetzt Pflegearbeit, umfasst aber auch Pflichten der Haus- und Fürsorgearbeit. Oxfam, ein internationaler Verbund unterschiedlicher Hilfs- und Entwicklungsorganisationen, hat erst kürzlich eine umfangreiche und hoch informative Studie zum Thema Care Work und der damit verbundenen Ungerechtigkeit gegenüber Frauen veröffentlicht. Darin heißt es, dass Frauen und Mädchen weltweit mehr als 12 Milliarden Stunden unbezahlte Pflegearbeit leisten und das täglich! Würde man sie auf Basis eines Mindestlohns dafür entschädigen, wären das umgerechnet über 11 Billionen US-Dollar pro Jahr.
In Österreich werden einem Artikel des Online-Magazins Grad zufolge jährlich 9,7 Milliarden Stunden für Hausarbeit, Pflege, Kinderbetreuung oder ehrenamtliche Mitarbeit aufgewendet. Zwei Drittel davon erledigen Frauen. Zusätzlich zu einer Teil- oder sogar Vollzeitbeschäftigung.
Übt man Care Work als Beruf aus – beispielsweise als Kindergärtner*in, Sozialarbeiter*in oder Putzkraft –, bekommt man im Gegenzug zwar Geld. Die Höhe des Lohns lässt im Vergleich zum Aufwand aber oft zu wünschen übrig. Hinzu kommt, dass im Sozialbereich oftmals keine angemessene Work-Life-Balance zu erwarten ist. Ein Grund dafür ist der Mangel an Personal. Etwaige Defizite müssen von der vorhandenen Belegschaft ausgeglichen werden, was wiederum die emotionale und körperliche Belastung erhöht.
Rollenteilung Schnee von gestern? #
Für Frauen in meinem Alter heute unvorstellbar, herrschte im 19. Jahrhundert während der Industrialisierung eine dezidierte Trennung zwischen der öffentlichen Erwerbsarbeit und dem privaten Haushalt, den Aufgaben eines Mannes und denen einer Frau. Während ersterer für den Broterwerb zuständig war, lag es an der Frau, das Zuhause in Schuss zu halten und die Kinder zu erziehen. Die Spezies der reinen Hausfrau ist zwar im Aussterben begriffen. Doch die traditionelle Rollenteilung ist auch im 21. Jahrhundert in den Köpfen der Menschen noch fest verankert.
„Mental load“ – Was ist das? #
Der Begriff „mental load“ bedeutet ins Deutsche übersetzt etwa „die Last des Dran-Denkens“ und taucht vor allem im Zusammenhang mit der emotionalen Arbeit auf. Der „mental load“ hat seinen Ursprung in der Cognitive Load Theory, die sich mit der Frage beschäftigt, wie das menschliche Gehirn mit seiner begrenzten Kapazität am besten lernt. Das Geheimrezept: Eine Informationsüberladung bestmöglich vermeiden!
Frauen übernehmen als „Haushaltsmanagerinnen“ tendenziell den Großteil der daheim anfallenden Aufgaben. Sie erledigen Einkäufe, kutschieren Kinder durch die Gegend, legen Arzttermine fest und nehmen sich auch schon mal um kranke oder alte Verwandte an. Wann immer es ums Kümmern geht, sind sie die erste Ansprechperson. Sämtliche Haushalts- und Familienprozesse – und damit das große Ganze – immer im Blick zu haben, damit andere nicht dran denken müssen, zehrt auf Dauer an der Substanz. Und auch die vermeintliche Verpflichtung, immer ein offenes Ohr für die Probleme anderer haben zu müssen, ermüdet emotional.
Konsequenzen der Unsichtbarkeit #
Oft internalisieren Frauen die hohen Anforderungen, die die Gesellschaft und das tradierte Rollenbild an sie stellen, stillschweigend und ohne darüber zu reflektieren. Damit setzen sie sich einem erhöhten Leistungsdruck aus. Sie neigen dazu, sich nicht nur über ihre berufliche Leistung zu definieren, sondern auch über jene, die sie zu Hause bringen. Zum Beispiel: Wie viele Aufgaben konnte ich heute von der To-do-Liste streichen?
Das eigene Wohlbefinden muss unter solchen Umständen wohl oder übel hintangestellt werden. Zeit für sich selbst, für Hobbys und Freunde bleibt da oft kaum. Dass es kein sonderlich angenehmes Gefühl ist, sich selbst zu vernachlässigen, haben wir vermutlich alle schon einmal am eigenen Leib erfahren. Der Körper reagiert mit Erschöpfung, häufig auch mit Krankheiten. Frustration ist ein weiteres Symptom von Überarbeitung, die nähere Umgebung bekommt das unmittelbar zu spüren.
Gefährlich wird ein „mental load“, wenn es über einen langen Zeitraum hinweg keine ausreichende Entlastung gibt. Dann kann die Überbelastung in ein waschechtes Burnout ausschlagen. Sich von diesem Erschöpfungsgrad zu erholen, ist oft ein langwieriger Prozess.
In Ausnahmesituationen zeigt sich: Frauen stehen an vorderster Front #
Nachdem sich das Corona-Virus Anfang März 2020 in Österreich rasend schnell auszubreiten begann, rückten Frauen und ihre Leistungen endlich auch in den Fokus der medialen und öffentlichen Aufmerksamkeit. Ohne ihren Beitrag in den systemrelevanten Berufen wäre die Pandemie kaum zu bewältigen gewesen, heißt es unisono.
Sie waren es, die in den Lebensmittelgeschäften an der Kassa saßen und ob Hamsterkäufen leer geräumte Regale wieder auffüllten. Sie waren es, die im Gesundheitsbereich für die Kranken und Schwachen da waren. Sie waren es, die die Fürsorgearbeit für Kinder übernahmen, nachdem landesweit Kindergärten und Schulen geschlossen wurden, und gleichzeitig im Homeoffice ihre Arbeit erledigten.
An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass ich die Belastung, die Männer während Corona erfahren haben, nicht klein reden möchte. Frauen traf es, wie so häufig, trotzdem härter.
Gesundheit ist Frauensache #
Das Gesundheitswesen wird von Frauen dominiert. Sie stellen 85,8 Prozent des Personals in der stationären Pflege und unglaubliche 92,2 Prozent in der mobilen, wie ein Standard-Artikel aus Dezember 2019 aufzeigt. Damit waren Frauen in Zeiten von Corona auch einem erhöhten Ansteckungsrisiko ausgesetzt, weil in vielen Situationen des Arbeitsalltags die Einhaltung des empfohlenen Mindestabstands schlicht und einfach nicht möglich ist. Die psychische und körperliche Belastung, der das Pflegepersonal während der letzten Monate ausgesetzt war, ist als Außenstehende*r vermutlich kaum nachvollziehbar.
Was können wir tun, um das System zu ändern? #
In den eigenen vier Wänden lautet das Zauberwort Umverteilung. Wer verhindern möchte, dass die Person, die zu Hause die meiste Verantwortung trägt, sich krank arbeitet, muss gewillt sein, ihr einen Teil dieser Last abzunehmen. Dafür braucht es Kommunikation und den Willen, die Karten auf den Tisch zu legen und über mögliche Lösungen zu diskutieren. Eine gerechte Teilung der täglichen Aufgaben sollte selbstverständlich sein. Ist sie es nicht, muss sie aktiv von der überbelasteten Person eingefordert werden. So viel Wertschätzung und Anerkennung muss in einer Partnerschaft sein, auch wenn für Care Arbeit am Ende des Monats kein Lohnzettel im Postfach wartet.
Im Arbeitskontext hat Corona dazu beigetragen, das Bewusstsein um die Bedeutung systemrelevanter Jobs zu schärfen. Die in der politischen Diskussion oft genannte „Kassiererin“ und das Pflegepersonal haben ihre „five minutes of fame“ inklusive Beifall vom Balkon vielleicht zu Beginn noch genießen können. Doch Aktionen dieser Art sind zwar nett gemeint, aber mehr dann auch nicht. Ist der Applaus erst verhallt, bleibt nicht mehr als eine schale Erinnerung zurück. Hier ist es wichtig, sich kollektiv für angemessene Löhne sowie verbesserte Arbeitsbedingungen innerhalb dieser Branche stark zu machen um sicherzugehen, dass diese Grundpfeiler der Gesellschaft auch in den kommenden Jahrzehnten stark bleiben.
Bianca Schedlberger
Content Managerin
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