Wozu soll Gendern gut sein?
Geh mir weg mit diesem Gendergaga! Hast du das schon mal gehört? Beim Thema geschlechtergerechte Sprache wird schnell hitzig gestritten. Die einen halten es für unbedingt nötig, andere lehnen es vehement ab. Aber warum wird so erbittert darum gestritten? Ein Gastkommentar von Sigi Lieb:
Warum ist Gendern so ein Thema? #
Sprache ist unser Werkzeug, um uns der Welt mitzuteilen. Sie ist persönlich und sie ist emotional. Niemand lässt sich gerne sagen, wie er oder sie zu sprechen und zu schreiben hat. Sprachzwang lehnen fast alle ab. Andererseits kursieren zum Thema ‚Gendern‘ viele Missverständnisse, die das Thema dramatisieren und Verwirrung stiften.
In diesem Blogbeitrag wird zunächst erklärt, worum es sprachlich beim ‚Gendern‘ wirklich geht und was das mit der Gleichberechtigung in unserer Gesellschaft zu tun hat. Im zweiten Teil gibt es Tipps, wie du deine Sprache gemäß deinem eigenen Sprachgefühl so gestalten kannst, dass sie Wertschätzung und Gleichberechtigung stärkt.
Genus, Sexus und Gender in der deutschen Sprache #
Gegner*innen der geschlechtergerechten Sprache werden nicht müde zu betonen, dass Genus und Sexus nicht das Gleiche ist. Das stimmt. Der Genus beschreibt das grammatikalische, der Sexus das körperliche und das Gender das soziale Geschlecht. Die Gabel zum Beispiel hat ein weibliches Genus, der Löffel ein männliches, das Messer ein sächliches. Keiner der drei Gegenstände hat einen Sexus oder ein Gender.
Anders verhält sich das bei Personenbezeichnungen, also Rollen, Funktionen, Berufe oder Titel:
- Die Mutter, Tochter, Tante, Schwester, Zofe, Magd, Prinzessin oder Königen haben nicht nur ein weibliches Genus, sondern sind ebenso weiblichen Geschlechts.
- Der Vater, Sohn, Onkel, Bruder, Diener, Knecht, Prinz oder König haben nicht nur ein männliches Genus, sondern sind ebenso männlichen Geschlechts.
Deshalb schrieb schon Johann Christoph Gottschedt in seiner „Grundlegung der deutschen Sprachkunst“ 1748:
„Wörter, die männliche Namen, Ämter, Würden oder Verrichtungen bedeuten, sind auch männlichen Geschlechts.“
und
„Alle Namen und Benennungen, Ämter und Titel, Würden und Verrichtungen des Frauenvolkes sind weiblichen Geschlechts.“
Und so lange die Rollen und Berufe weitgehend nach Geschlecht getrennt waren, gab es kaum sprachliche Konflikte. Im Gegenteil: Die Genus-Sexus-Kongruenz wurde auch bei Berufs- und Rollenbildern sehr klar: Stewardess, Sekretärin, Hausfrau, Putzfrau, Krankenschwester, Hebamme, alle mit weiblichem Genus.
In dem Maße, in dem alle Geschlechter alle Berufe ergreifen konnten und die Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen flexibler wurde, wurde darüber diskutiert, wie sich das in der Sprache niederschlagen soll. Während Berufsbezeichnungen für ehemals typische Frauenberufe neue Namen bekamen, sollten sich Frauen bei ehemals typischen Männerberufen mitgemeint fühlen.
Seit den späten 70er Jahren des 20sten Jahrhunderts entwickelte sich die feministische Linguistik, vorangetrieben von Senta Trömel-Plötz und Luise F. Pusch. In ihrem Werk ‚Das Deutsche als Männersprache‘ analysiert Pusch, wie sehr die deutsche Sprache Männer bevorzugt und Frauen versteckt. Seit nunmehr 40 Jahren werden diese Thesen erforscht und sind mit vielen unterschiedlichen Studiendesigns belegt: Generisch gemeinte Maskulina wirken nicht generisch. Sie erzeugen überwiegend Vorstellungen von Männern. Wenn Frauen aber nicht gedacht werden, werden sie beim Tun vergessen.
Die Bücher ‚Unsichtbare Frauen‘ von Caroline Criado-Perez und ‚Das Patriachat der Dinge‘ von Rebekka Endler zeigen zahllose Beispiele auf, bei denen Frauen vergessen und benachteiligt werden, zum Beispiel in der Stadtplanung, der Medizin, bei Sicherheitskleidung, der Ausstattung im Leistungssport sowie der Fahrzeugsicherheit.
„Wie wir sprechen, ist Ausdruck unseres Denkens und hat Folgen für die Bilder und Vorstellungen in den Köpfen derer, die unsere Worte aufnehmen. Das erzeugt ein gewisses Maß an Verantwortung für die eigene Wortwahl.“
Der Genderstern für geschlechtliche Vielfalt und als Gattungsbegriff #
In jüngerer Zeit kommt hinzu, dass auch intergeschlechtliche und transgeschlechtliche Personen in der Sprache wahrgenommen werden möchten. Intergeschlechtlich bedeutet dabei, dass ein Baby mit gemischtgeschlechtlichem Körper zur Welt kommt. Transgeschlechtlich bedeutet, dass eine Person ihr Geburtsgeschlecht ablehnt und sich stattdessen entweder dem anderen Geschlecht zugehörig fühlt oder sich als zwischen den Geschlechtern wahrnimmt.
Dies führte zur Herausbildung neuer Sonderzeichen in der Sprache, darunter den Genderstern als Symbol für geschlechtliche Vielfalt. Der Genderstern ist der im DACH-Raum das am weitesten verbreitete Zeichen (alternativ Unterstrich und Doppelpunkt). Der Genderstern steht einerseits für geschlechtliche Vielfalt. Andererseits kann er helfen, den neutralen Gattungsbegriff zu erzeugen, der sonst fehlt. Denn wenn wir im Deutschen über Berufe sprechen, zwingt uns die Grammatik zu einer Geschlechtszuweisung:
Wir suchen zum nächstmöglichen Zeitpunkt
- einen Elektriker
- eine Elektrikerin
- eine Elektriker*in.
Diese letzte Version mit Stern signalisiert in einer Stellenanzeige einerseits, dass eine Person mit diesem Beruf, ungeachtet ihres Geschlechts gesucht wird. Andererseits zeigt sich die Arbeitgeberin als modernes Unternehmen, das neuen gesellschaftlichen Entwicklungen gegenüber offen ist.
Besonders dann, wenn ein Vokalwechsel die Suchmaschine stören würde, ist auch die Beidnennung für Stellenanzeigen eine gute Alternative, zum Beispiel: Betriebsarzt oder Betriebsärztin gesucht (alle Gender). Das österreichische Gleichbehandlungsgesetz verbietet eine Diskriminierung aufgrund von geschlechtlicher Zugehörigkeit.
Info
Im Zentralen Personenstandsregister sind offiziell sechs Eintragungen möglich: männlich, weiblich, inter, divers, nicht-binär und kein Eintrag.
Das gilt auch für die neuen Geschlechtseinträge im österreichischen Personenstandsrecht. Seit 2018 gibt es neben männlich und weiblich auch inter, divers, nicht-binär oder kein Eintrag. All diese Menschen haben Anspruch darauf, gleichberechtigt in die Berufswelt integriert und angesprochen werden.
Was bedeutet geschlechtergerechte Sprache? #
In den meisten Sprech- und Schreibsituationen braucht es allerdings keinen Genderstern oder andere Sonderzeichen. Denn geschlechtergerechte Sprache besteht hauptsächlich daraus, Gendermarkierungen in der Sprache zu vermeiden. Gendern meint also im Regelfall ent-gendern.
„Geschlechtergerechte Sprache besteht hauptsächlich daraus, Gendermarkierungen in der Sprache zu vermeiden.“
Und dort, wo eine Gendermarkierung nötig oder gewünscht ist, das zu sagen, was gemeint ist und nicht, etwas zu sagen und etwas anderes zu meinen oder mitzumeinen. Geschlechtergerechte Sprache vermeidet also generische Maskulina und benutzt stattdessen neutrale Formen oder schreibt den Satz mit einem Verb statt einem Nomen.
7 Tipps für geschlechtergerechte Formulierungen #
Im Folgenden findest du sieben schnelle Tipps, wie du deine Texte mit einfachen Mitteln geschlechtergerecht formulieren kannst.
- Neutrale Wörter wie Mensch, Person, Eltern, Kind, Gruppe, Mitglied, Team haben kein spezifisches Gender und schließen alle ein.
- Gerade im beruflichen Kontext lassen sich viele Wörter leicht mit neutralen Endungen neutralisieren: Führungskraft, Geschäftsleitung, Assistenz, Ansprechperson sind Menschen aller Gender.
- So lange du im Plural bist, sind auch nominalisierte Partizipien und Adjektive neutral: Studierende, Jugendliche, Erziehungsberechtigte, Beschäftigte, Angestellte, Verantwortliche, Teilnehmende, Reisende, Kriminelle. (Im Singular funktioniert das nicht, weil der Artikel als Gendermarkierung fungiert.)
- Wenn du statt eines Nomens ein Verb oder Adjektiv verwendest, verschwindet die Gendermarkierung von selbst. Das Buch wurde herausgegeben von… Den Auftrag erteilte… Wir suchen fachlichen Rat.
- Bei vielen zusammengesetzten Nomen kannst du durch Herleitung von der Sache oder der Tätigkeit die Gendermarkierung entspannt entfernen: Redepult, Gehweg, Medizinkongress, Fleischmesser.
- In der direkten Anrede gibt es kein Gender: ich/du/Sie und wir/ihr.
- Ein kreatives Spiel mit der Sprache ermöglicht neue Wörter und Sätze, die leichtfüßig und verständlich einseitige Genderzuweisungen vermeiden helfen.
Dort, wo du ein Gender benennen musst oder willst, musst du dich entscheiden: Beidnennung oder Genderstern.
- Die Beidnennung ruft gleichberechtigt Männer und Frauen in der semantischen Vorstellung auf, blendet aber nicht-binäre Geschlechtsidentitäten aus.
- Der Genderstern schließt explizit alle Gender ein, wird von manchen aber abgelehnt und erzeugt bisweilen Widerstand.
Stereotype jenseits von grammatikalischen Gendermarkierungen #
Die Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch, die 2024 80 Jahre alt wird, zeigt in ihrem Buch über das Deutsche als Männersprache noch viele weitere Beispiele, wie unsere Sprache voller Geschlechterstereotype steckt. Und wir haben sie verinnerlicht und reagieren unbewusst darauf. Das betrifft insbesondere auch Stellenanzeigen.
Wenn eine Firma einen durchsetzungsstarken Macher sucht, der auch bei Konflikten nicht zurückweicht, werden sich nur sehr wenige Frauen angesprochen fühlen. Möglicherweise reagiert aber auch ein Mann auf eine Erzieherstelle empfindlich, wenn zu sehr auf weibliche Stereotype abgestellt wird.
Achte bei der Stellenanzeige daher auf neutrale Beschreibungen: Wenn darin eine Person gesucht wird, die auch komplexe Interessenskonflikte erfolgreich zu einer Lösung führen kann, hat die Anzeige deutlich mehr Chancen, dass Frauen sich diese Aufgabe zutrauen. Schließlich sorgen sie dauernd dafür, dass der Laden läuft, Menschen miteinander auskommen, an einem Strang ziehen, sich vertragen und wenden dabei unterschiedlichste Techniken an.
Beschreibe in deinen Stellenanzeigen die Aufgaben und dafür nötigen Kompetenzen möglichst genau, ohne dabei auf stereotype Rollenbilder zurückzugreifen.
Freundlich, offen, Vielfalt akzeptierend #
Wenn du in deinem beruflichen Umfeld, geschlechtergerechte Sprache fördern willst, gehe auf die Bedürfnisse der Menschen ein. Schaffe Orientierung ohne Zwang. Niemand lässt sich gerne sagen, wie er oder sie schreiben und sprechen soll. Sprachzwang wird von einer überragenden Mehrheit als übergriffig empfunden. Gleichzeitig wollen Beschäftigte in Unternehmen aber eine Orientierung, wie ihre Firma nun mit dem Thema umgeht. Unternehmen haben ein Interesse, einheitlich in ihrer Unternehmenskultur aufzutreten, dazu gehört auch die Art und Weise, wie ein Unternehmen kommuniziert.
Deshalb ist es hilfreich, den Beschäftigten einen Handlungskorridor anzubieten, der einerseits die Unternehmenskultur repräsentiert und Orientierung bietet. In dem es andererseits aber genügend Freiraum gibt, das eigene Bauch- und Sprachgefühl zu berücksichtigen.
Zur Person
Sigi Lieb ist Diplom-Sozialwirtin und hat Erfahrung als Trainerin, Autorin, DaZ-Lehrerin, PR-Beraterin und Radio- und TV-Journalistin. 2022 hat sie als Expertin karriere.at begleitet sich mit gendersensiblen Sprache im Unternehmen sowohl in der Kommunikation nach außen als auch nach innen auseinanderzusetzen.
Gerade ist ihr Buch "Alle(s) Gender. Wie kommt das Geschlecht in den Kopf?" erschienen.
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Sarah Chlebowski
Content Managerin
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